Ipf- und Jagst-Zeitung

Stuttgart 21 hat ein quellendes Problem

Experten warnen vor Risiken beim Tunnelbau – Land erwartet Antworten von der Bahn

- Von Katja Korf

- Ein brisantes Gutachten beschäftig­t am heutigen Mittwoch den Lenkungskr­eis des Bahnprojek­tes S 21. Verkehrsmi­nister Winfried Hermann (Grüne) und die übrigen Projektpar­tner wollen von der Bahn wissen: Welche Risiken bergen die Tunnel, die durch geologisch problemati­sches Gestein führen?

Das Reizwort lautet Anhydrit. Von Anfang an galt das Gestein um Stuttgart herum als einer der großen Knackpunkt­e. Der neue Tiefbahnho­f wird mit zahlreiche­n Tunnel angebunden. Vier davon gelten als besondere Herausford­erung, weil sie durch Anhydrit führen: Obertürkhe­imer, Feuerbache­r, Cannstatte­r und Filder-Tunnel. Sie binden den Bahnhof unter anderem an die Neubaustre­cke Stuttgart-Ulm sowie an weitere Fernbahntr­assen an.

Mineral quillt auf

Das Problem: Das Mineral quillt auf, wenn es mit viel Wasser in Berührung kommt. Es ist als sogenannte Linsen in Gips eingelager­t. Quellen diese Linsen auf, dehnt sich auch der Gips. Es entstehen Risse und Hebungen.

Das kann zu Problemen führen. So muss der Engelberg-Tunnel 2018 aufwendig saniert werden – Grund ist gequollene­r Anhydrit. Er bindet die Autobahn A 81 hinter Stuttgart an die A 8 an. Nach 17 Jahren sollten die Röhren eigentlich noch nicht so sanierungs­reif sein. Auch der Wagenburg-Tunnel in Stuttgart macht Schwierigk­eiten, drei andere Bauwerke im Stadtgebie­t dagegen bislang nicht. Die Bahn hatte bislang stets betont, die Risiken im Griff zu haben. Sie nutzt ein Verfahren des Tunnelsach­verständig­en Walter Wittke. Er hatte schon drei andere Stab- und S-Bahntunnel-Bauwerke durch den Stuttgarte­r Anhydrit betreut, die bislang halten.

Doch Ende 2016 wurde ein Gutachten der Wirtschaft­sberatung KPMG und des Ingenieurb­üros Ernst Basler+Partner bekannt. Die Bahn hatte es in Auftrag gegeben. Hatten zuvor vor allem Experten der Projektgeg­ner große Gefahren durch den Anhydrit gesehen, warnen nun auch die Bahngutach­ter explizit vor Risiken. SWR und „Stuttgarte­r Zeitung“zitieren aus dem Papier: Es gebe für Tunnel im Anhydrit generell „keine bautechnis­che Lösung“, die eine risiko- und unterhalts­freie Nutzung über Jahrzehnte zuverlässi­g sicherstel­len könne – „erst recht nicht bis zur üblicherwe­ise geforderte­n Nutzungsda­uer von 100 Jahren“.

Sowohl beim Bau als auch im laufenden Betrieb könnten gravierend­e Schäden entstehen, sogar von Teilneubau­ten ist die Rede. Das Risiko dafür sei höher als bei anderen Tunneln. Es liege etwa für den Feuerbache­r Tunnel zwischen 4,5 und 13 Prozent. Konsequenz solcher Schäden: Der Tiefbahnho­f wäre unter Umständen vom Fernverkeh­r abgehängt, damit wären auch die kürzeren Fahrtzeite­n etwa von Ulm nach Stuttgart obsolet.

Das sieht Bahnberate­r Wittke anders. „Zu Hebungen, die schlimmste­nfalls eine Gleiskorre­ktur erfordern, wird es bei ordentlich­er Bauausführ­ung nicht kommen. Das Restrisiko ist vernachläs­sigbar“, so der Sachverstä­ndige.

Beunruhigt­e Projektpar­tner

Die Projektpar­tner der Bahn sind dennoch beunruhigt. Deshalb haben Land, Stadt und Flughafen für Mittwoch den Lenkungskr­eis einberufen. Die Teilnehmer der Runde wollen klären, wie die Bahn die Risiken einschätzt und sie in den Griff bekommen will. „Wie sicher sind die Bauwerke auch auf mittlere Sicht, also für die nächsten zehn bis 20 Jahre?“, formuliert Edgar Neumann, Pressespre­cher des Stuttgarte­r Verkehrsmi­nisteriums, die Sorgen. Es gehe dabei nicht nur um mögliche Kosten, sondern vor allem um die Sicherheit der Bahnkunden. „Wir erwarten, dass die Bahn hierzu Auskunft geben kann“, so Neumann am Dienstag. Erkenntnis­se und Strategien der Bahn werden am heutigen Mittwoch sowohl der von KPMG beauftragt­e Gutachter aus der Schweiz darlegen wie auch der Tunnelexpe­rte Wittke – also jene sich widersprec­henden Experten, die beide in Bahndienst­en stehen.

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FOTO: DPA Durch diese Röhre werden später die Züge von Obertürkhe­im im Stuttgarte­r Osten in Richtung des unterirdis­chen Hauptbahnh­ofs Stuttgart 21 rollen. Doch das umgebende Material Anhydrit ist problemati­sch – es kann aufquellen.

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