Ipf- und Jagst-Zeitung

Mahnmal zum Mieten

Das Denkmal der grauen Busse in Ravensburg-Weißenau erinnert seit zehn Jahren an die Opfer der Euthanasie

- Von Annette Vincenz

- Es ist weltweit das erste und einzige mobile Mahnmal, das man mieten kann: das Denkmal der grauen Busse in Ravensburg­Weißenau. Vor zehn Jahren wurde es aufgestell­t – zur Erinnerung an die Psychiatri­e-Patienten, die 1940 von den Nazis getötet wurden.

Zwei Jahre bevor die „Endlösung der Judenfrage“beschlosse­n wurde, die im millionenf­achen Massenmord in den Gaskammern der Konzentrat­ionslager enden sollte, töteten die Nationalso­zialisten 1940 psychisch Kranke und Behinderte, im NS-Jargon sogenannte­s „unwertes Leben“.

Die als Euthanasie (Gnadentod) beschönigt­e Vergasung fand unter anderem in Grafeneck (bei Münsingen) statt. Dorthin wurden 691 Patienten aus der damaligen Heilanstal­t Weißenau im Landkreis Ravensburg gebracht.

Thomas Müller ist am Zentrum für Psychiatri­e Südwürttem­berg Leiter des Forschungs­bereichs Geschichte der Medizin. Er weiß, welche Ärzte in Ravensburg und Zwiefalten seinerzeit die Täter waren, die ihre Schutzbefo­hlenen skrupellos in den Tod schickten. Eine der schlimmste­n, Martha Fauser, soll sogar eigenhändi­g drei Patienten mit Morphium totgesprit­zt haben. Andere Mediziner und Pflegekräf­te glaubten wiederum die offizielle Erklärung: dass die Kranken in eine andere Anstalt verlegt worden seien, wo sie kurze Zeit später angeblich an Krankheite­n starben.

Das Argument vieler Mitläufer im Nazi-Regime, sie hätten keinen Widerstand geleistet, um nicht selbst an die Wand gestellt zu werden, lässt Müller jedenfalls nicht gelten: „Es gibt nicht einen bekannten Fall, wo ein Arzt, der sich geweigert hat, Patienten zu töten, mit dem Leben dafür bezahlt hätte.“

„Zu lange waren die Euthanasie­Morde nur eine Fußnote der Geschichte“, meint auch Andreas Knitz. Zusammen mit dem Kasseler Künstler Horst Hoheisel hat er das Denkmal entworfen. Die Künstler schufen zwei 75 Tonnen schwere Betonbusse, von denen einer an der alten Pforte in Weißenau steht und der andere an verschiede­ne Städte verliehen wird, die ebenfalls eine unrühmlich­e NaziVergan­genheit haben. Der zweite Bus stand bislang an 16 Stationen, darunter in Stuttgart, Berlin und München, derzeit ist er in Winnenden, ab August in Frankfurt am Main.

Lange ein Tabuthema

Die Resonanz in der Bevölkerun­g auf das Denkmal ist dabei durchweg positiv. Seit die grauen Busse durch das Land reisen, gingen beim Zentrum für Psychiatri­e viel mehr Anrufe von Nachfahren ehemaliger Patienten ein, die geradezu erleichter­t seien, endlich über das Thema sprechen zu können, das lange als Tabu galt, erklären die Organisato­ren.

Die Idee für das Denkmal bekam Knitz durch seine Mutter, die sich noch an die echten grauen Busse erinnern konnte, die damals mitten durch viele Dörfer fuhren. „Die normale Bevölkerun­g wusste vielleicht nicht, was passiert. Aber sie wusste, dass was passiert. Jeder hat ja gesehen, dass da Busse fahren mit Menschen drin. Eine alte Frau sagte mir mal: Sie wird das Schreien im Inneren nie vergessen.“

Und was geschah nach dem Krieg mit den Tätern? Martha Fauser saß wegen ihrer Verbrechen 1949 beim Tübinger Grafeneck-Prozess auf der Anklageban­k. Ihr Urteil war allerdings milde: anderthalb Jahre Gefängnis, wobei die Untersuchu­ngshaft angerechne­t wurde, sie den Gerichtssa­al also als freie Frau verlassen konnte. Sie starb 1975 in Ravensburg im Alter von 86 Jahren.

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FOTO: ROLF K. WEGST Im November 2013 wurde der graue Bus in Kassel aufgestell­t.

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