Die Legenden der Islamisten
Istanbul, Bagdad, Brüssel, Paris, Berlin – der internationale Terrorismus kennt keine Grenzen. Doch wie entsteht Terrorismus mitten in Europa? Mit dieser Frage befasste sich ein Expertengremium auf Einladung der Konrad-AdenauerStiftung in Berlin.
Susanne Schröder vom Forschungszentrum Globaler Islam an der Goethe Universität Frankfurt spricht von dschihadistischen Ideologien und einem wachsenden Rechtspopulismus, die sich in Europa gegenseitig befeuern. Sie fordert, dass auch die westlichen Demokratien den Ideologien der Islamisten mehr entgegensetzen, eine bessere Erklärung für die Welt liefern müssen.
Das, was in den 1990er-Jahren in Deutschland als Leitkultur diskutiert und gleich in eine bestimmte Ecke gestellt wurde, könnte deshalb wieder an Bedeutung gewinnen. „Wir müssen unsere Werte genau definieren und ausformulieren“, empfiehlt Saad Amrani, Polizeichef von Ixelles, einer Stadt nahe Brüssel. Er warnt vor einer Vision vom Islam, der rückwärts gewandt ist. Saad Amrani wendet sich auch vehement dagegen, Imamen, die mental aus dem 14. Jahrhundert kommen, Raum zu geben.
Doch was macht junge Männer in Europa zu islamistischen Terroristen? Ist es die Verlierer-Rolle?
Im Gegenteil, sagt Marwan AbouTaam vom Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz. Das Terrornetzwerk al-Kaida habe noch das OpferNarrativ genutzt, der IS aber das des Siegers. „Du kannst mit uns Geschichte machen“, laute die Erzählung, die selbst bei Kindern ankomme. Man gebe eine ganz klare Orientierung bis hin zur Beinlänge der Hosen. Abou-Taam hat kein Verständnis dafür, dass in Mainz der Kindergarten einer Moschee vom Staat finanziert wird, die den Prediger al-Arifi einlädt, der gegen Juden, Homosexuelle und Schiiten hetzt und Ehemännern empfiehlt, ihre Frauen mit Schlägen zu züchtigen. „Das Bild unserer Gesellschaft darf nicht abstrakt bleiben“, so Abou-Taam, „dann verlieren wir die Migranten und uns selbst gleichermaßen.“Prävention sollte bei der Ideologie ansetzen.
Der Sondergesandte der OSZE zur Bekämpfung von Radikalisierung, Professor Peter Neumann vom King's College London, räumt radikalen Predigern wie Arifi eine Schlüsselrolle beim Entstehen von Terrorismus ein. Das Internet dürfe in diesem Zusammenhang nicht überbewertet werden, es seien meistens Kontakte persönlicher Art, durch welche die Kämpfer rekrutiert würden. Man geht von 50 bis 80 Prozent aller Rekrutierungen aus, die auf persönlicher Ansprache beruhten.
Einig waren sich alle Experten, dass es kein Staat in Europa, und selbst die USA nicht, schaffen könnten, alle Gefährder lückenlos zu überwachen. Saad Amrani aus Brüssel hat deshalb noch eine weitere Empfehlung: In Belgien müssen künftig Sozialarbeiter die Polizei informieren, wenn sie hören, dass sich jemand radikalisiert. Er hält dies für ein nachahmenswertes Modell.