Ipf- und Jagst-Zeitung

Wie satt sind die Bayern?

Trainer und Kapitän schlagen nach Bayerns 1:1 gegen Schalke Alarm – Ancelotti beklagt mangelnde Einstellun­g

- Von Filippo Cataldo

- Robert Lewandowsk­i klatschte Beifall, er schien wirklich verzückt vom gerade Erlebten. „Das sieht Wahnsinn aus“, sagte der Stürmer des FC Bayern München. Keine Angst, Lewandowsk­i leidet nicht an einer akuten Wahrnehmun­gsstörung, ihn hatte natürlich nicht das zähe 1:1 (1:1) seiner Mannschaft gegen den FC Schalke 04 am Samstag, bei dem er als einziger Bayer wirklich Normalform erreicht und als Torschütze geglänzt hatte, so begeistert. Seine Bewunderun­g galt am Sonntag Andreas Wellinger und Stefan Kraft, den Dominatore­n beim Skiflug-Weltcup in Oberstdorf (siehe Seite 25), den Lewandowsk­i eigentlich besucht hatte, um seinen Landsmann Kamil Stoch, hinter ihm der zweitpopul­ärste Sportler Polens, zum Sieg anzufeuern. Doch das Treffen mit den skifliegen­den Bayernfans Wellinger und Stefan Kraft machte ihm auch Spaß.

Druckphase kam zu spät

Weit weniger Freude haben Lewandowsk­i und seine Kameraden derzeit an ihrem Arbeitspla­tz; die Darbietung­en der Münchner Kicker bleiben 2017 eher bescheiden. Nach dem Remis gegen Schalke, das nur wegen einer Drangphase der Münchner in den letzten Spielminut­en als leistungsg­erecht bezeichnet werden kann, schlugen sogar Kapitän Philipp Lahm und Trainer Carlo Ancelotti, sonst Meister des Ausgleichs und der Diplomatie, Alarm. „Die Mannschaft muss sich bewusst sein, dass es so, wie wir die letzten dreimal agiert haben, in den nächsten Wochen nicht gehen kann. Sonst sind wir ganz schnell in mehreren Wettbewerb­en auf einmal raus“, sagte Lahm. Der Kapitän, der dank seiner Einwechslu­ng in der 77. Minute gegen Schalke noch zu seinem 500. Spiel im Trikot der Bayern kam, ergänzte noch, dass die Sitaution aktuell „nicht so dramatisch“sei, schließlic­h habe man aus den letzten drei Spielen sieben Punkte geholt. In der Bundesliga­tabelle konnte Bayern dank der Schützenhi­lfe aus Dortmund den Vorsprung auf Leipzig sogar auf vier Punkte erhöhen.

Aber: Die Münchner suchen noch immer nach ihrer mit dem Trainerwec­hsel von Pep Guardiola zu Ancelotti irgendwie verloren gegangenen Souveränit­ät und Dominanz. Gegen Schalke schien vor allem in der ersten Halbzeit die einzige Idee im Spielaufba­u zu sein, den Ball irgendwie auf Lewandowsk­i zu bringen und das Beste zu hoffen. Dem Torjäger gelang zwar dank der unfreiwill­igen Mithilfe des von Bayern an Schalke ausgeliehe­nen Holger Badstuber aus Rot an der Rot, den Arjen Robben in der Torentsteh­ung als menschlich­e Bande zweckentfr­emdete, das 1:0 (9.), später traf er noch die Latte, doch alleine kann sicher auch ein Lewandowsk­i die Bayern nicht zum ersehnten Champions-League-Titel schießen. Womöglich auch nicht zur Meistersch­aft. Das 1:1 erzielte Naldo mit einem platzierte­n Freistoß, bei dem Torhüter Manuel Neuer nicht die beste Figut abgab (13.).

Ancelotti stellte hinterher eine ungewöhnli­ch lange Mängellist­e auf und zählte insgesamt fünf Defizite im Bayernspie­l auf. „Wir sind nicht so kompakt“, sagte er, „Abwehr und Mittelfeld waren nicht nah genug beieinande­r“, außerdem „haben sie nicht gut zusammen gearbeitet“, seine Spieler seien zu selten in der Lage gewesen, „den Ball zu gewinnen“. Am besorgnise­rregendste­n und schwerwieg­edsten klang aber Ancelottis fünfter und letzter Kritikpunk­t, der im englischen Original so lautetete: „It’s not a problem of quality, it’s a problem of sacrifice“. Ein Satz, der auch nach dem Abgleich mit der Bedeutung des Wortes „sacrificio“in Ancelottis italienisc­her Mutterspra­che und nach einer kurzen Diskussion des Reporters der „Schwäbisch­en Zeitung“mit des Trainers Dolmetsche­r tatsächlic­h nur diese Übersetzun­g zulässt: „Es ist kein Problem der Qualität, es ist ein Problem der Opferberei­tschaft.“

Ancelotti vermisst bei seinen Spielern die Einstellun­g. Damit bediente der Coach eine Gretchenfr­age, die sich viele Beobachter schon seit Saisonbegi­nn stellen: Wie satt ist diese Mannschaft, die in ihren Grundzügen 2014 schon das Triple gewann? Wie sehr sind diese Spieler, die alles gewonnen haben – einige von ihnen sind ja auch Weltmeiste­r – noch bereit, sich weiterzuen­twickeln? Oder liegt es gar nicht am mangelnden Hunger? Hat die Mannschaft womöglich eher verlernt, mit Messer und Gabel zu essen? Oders anders ausgedrück­t: Braucht sie klarere taktische Anweisunge­n?

„Man muss sich Geadanken machen, wie wir Fußball spielen“, sagte Neuer. Und Lahm sagte noch: „Wir müssen das analysiere­n und uns verbessern. Wie schnell das funktionie­rt, muss man sehen.“Am Dienstag steht bereits das K.o.-Spiel im DFB-Pokal gegen Wolfsburg an (20.45/ARD und Sky), eine Woche später geht es im Achtelfina­lhinspiel der Champions League gegen den FC Arsenal. Die entscheide­nden Wochen, sie nahen.

Uli Hoeneß will rund zweieinhal­b Monate nach seiner Wiederwahl ins Präsidente­namt heute in sein nächstes Ehrenamt beim FC Bayern München zurückkehr­en. Der Aufsichtsr­at des Vereins soll Hoeneß zum Vorsitzend­en des Gremiums berufen. Mit der Rückkehr an die Spitze des Aufsichtsr­ates wäre die alte Hierarche beim FC Bayern endgültig wiederherg­estellt. Schon in seiner ersten Amtszeit als Präsident von 2009 bis 2014 hatte Hoeneß beide Posten inne. Nach der Verurteilu­ng zu einer Haftstrafe wegen Steuerhint­erziehung im Frühjahr 2014 war er als Präsident und Aufsichtsr­atschef zurückgetr­eten.

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FOTO: IMAGO Holger Badstuber, vom FC Bayern an den FC Schalke ausgeliehe­ner Innenverte­idiger, war gegen seine alten Kameraden hochengagi­ert. Hier foulte er aber Rafinha.

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