Der Feind lauert hinterm Gartenzaun
Ein Streit unter Nachbarn treibt juristische Blüten – und den ratlosen Richter in die Verzweiflung
Wenn Sie die Ente zu Wasser lassen, dann ziehe ich den Stöpsel!“Kommt es vor, dass ein Richter eines deutschen Amtsgerichts in einer Verhandlung wegen Hausfriedensbruch schließlich Loriot zitiert, dann ist das weniger Ausdruck einer irre gewordenen Rechtsprechung, als vielmehr Zeichen von starker Frustration. Es gibt täglich massenhaft Fälle, die auf den Aktenstapeln von Gerichten landen. Was Richter und Staatsanwälten dabei besonders ungelegen kommt, sind Absurditäten, deren Ursachen nicht etwa in den Bagatellen liegen, die ein eingeschnappter Nachbar anzeigt. Sondern in der Unfähigkeit erwachsener Menschen, vernünftig miteinander zu reden. Und so sehen sich Richter immer häufiger in eine Rolle gedrängt, die in Kindergärten Erzieherinnen wahrnehmen.
Aber die Welt der Erwachsenen ist weder Kindergarten noch Ponyhof. Im konkreten Fall weiß der Vorsitzende am Amtsgericht Wangen jedenfalls keinen anderen Ausweg, als die berühmte Badewannen-Konversation zwischen Herrn Müller-Lüdenscheid und Dr. Kloebner zu zitieren. Damit bringt der Richter auf den Punkt, wie bizarr ihm das Gebaren sowohl des angeklagten Pädagogen als auch des Nachbar-Ehepaars vorkommt. Denn natürlich ist es nicht die erste Gelegenheit, bei der die verfeindeten Nebeneinanderwohner Juristen mit in ihre Auseinandersetzung hineinziehen.
Zäune und Lärm
Wann das alles begonnen hat, daran erinnern sich die Parteien nicht mehr so genau. 2002? Oder 2004? Die Streitthemen sind flexibel. Mal ging es um Bäume und deren Höhe, mal um Zäune, mal um Lärm, mal um Sachbeschädigung und nun also um Hausfriedensbruch. Und der kam so: Nachbar eins lebt mit Frau, Söhnen und Schäferhund in einem Dorf an der Grenze zwischen Bayern und Baden-Württemberg. Er geht gerne mit dem Hund spazieren. Dabei soll er, das hat er in einem anderen Gerichtsverfahren selbst eingeräumt, mit seinem vierbeinigen Hausgenossen auch das Grundstück von Nachbar zwei betreten haben, was dieser nicht ertragen konnte. Und darum hat Nachbar zwei dem Nachbarn eins samt der ganzen Familie, einschließlich des Hundes, ein Betretungsverbot ausgesprochen. Nachbar eins gibt vor Gericht zu Protokoll, dass Nachbar zwei nicht nachweisen könne, so ein Verbot je ausgesprochen zu haben. Somit sei die Anklage wegen Hausfriedensbruch, erwirkt durch Nachbar zwei, sowieso hinfällig. Denn zum Zeitpunkt eines möglichen Betretens – das Nachbar eins standhaft leugnet – habe es nicht mal einen vernünftigen Zaun am leer stehenden Grundstück gegeben.
Mühsam gräbt sich der Richter im Angesicht solcher Kinkerlitzchen durch den Stapel von Beweisfotos, aufgenommen von einer Überwachungskamera, mit dem Nachbar zwei auf der ständigen Lauer nach Beweismaterial liegt. Die Fotos zeigen nächtliche Schemen, auf denen der Grundstücksbesitzer und seine Frau den hundebesitzenden Nachbarn mit Anhang identifizieren. Dieser verneint und beruft sich darauf, dass die Personen nicht eindeutig zu erkennen seien. Zur Auflockerung der Stimmung zeigt der Richter auch ein paar Schnappschüsse von Hundehäufchen, die der Grundstückseigner minutiös dokumentiert hat.
Überhaupt legt das Ehepaar eine gewisse Geschäftsmäßigkeit in der Verwaltung seiner Klagen gegen den Nachbarn an den Tag. Und die Eheleute sind sich auch rein äußerlich vollkommen einig: Beide tragen einen grauen Pullover über Hemd beziehungsweise Bluse. Die Hosen sind ebenfalls identisch, nämlich schwarz. In feinsäuberlich strukturierten Heftern hält das Nachbarehepaar minutengenau jede Fremdbewegung auf ihrem Grundstück fest, sodass sie jetzt vor dem Richter jedwede Frage im Detail beantworten können.
Automatenhafter Vortrag
Der Ehemann liest auch dann noch aus dem Fremdbetretungsprotokoll, als der Richter längst nicht mehr zuhört und mahnt, doch bitte mit eigenen Worten die Vorfälle zu schildern und eben nicht ständig nur automatenhaft vorzulesen.
Der angeklagte Nachbar sitzt schweigend mit verschränkten Armen auf seinem Stuhl und verdreht fortwährend die Augen, sobald sein Nachbar den Mund aufmacht. Immerhin: Inzwischen hat der Besitzer das fragliche Grundstück mit einem massiven Metallzaun eingefasst, sodass die illegale Fremdbegehung kein Thema mehr ist. „Jetzt ist Ruhe.“
Strafe muss trotzdem sein, findet Nachbar zwei, während Nachbar eins auf seinem Standpunkt beharrt, auf den Fotos nicht identifizierbar zu sein. Der Richter deutet sogar an, das Verfahren gegen eine Geldauflage einzustellen. Doch das will der Angeklagte nicht. „Na gut, sagt der Vorsitzende.“Dann bestellen wir eben einen Gutachter für ein paar Tausend Euro, der feststellt, ob sie das da auf dem Bild sind. Wenn Sie es sind, dann sind Sie dran.“Diese Ansage zeigt dann auch Wirkung, sodass der Angeklagte den Vorschlag mit der Geldauflage akzeptiert, in Höhe von 200 Euro. Die Miene des Nachbarn drückt etwas Ernüchterung darüber aus, dass der Angeklagte so billig davonkommt. Der Richter kommentiert das abschließend: „Nicht enttäuscht sein: Sie haben ja noch fast ein halbes Leben lang Zeit, sich mit Ihren Nachbarn zu streiten.“