Ipf- und Jagst-Zeitung

Der Feind lauert hinterm Gartenzaun

Ein Streit unter Nachbarn treibt juristisch­e Blüten – und den ratlosen Richter in die Verzweiflu­ng

- Von Erich Nyffenegge­r

Wenn Sie die Ente zu Wasser lassen, dann ziehe ich den Stöpsel!“Kommt es vor, dass ein Richter eines deutschen Amtsgerich­ts in einer Verhandlun­g wegen Hausfriede­nsbruch schließlic­h Loriot zitiert, dann ist das weniger Ausdruck einer irre gewordenen Rechtsprec­hung, als vielmehr Zeichen von starker Frustratio­n. Es gibt täglich massenhaft Fälle, die auf den Aktenstape­ln von Gerichten landen. Was Richter und Staatsanwä­lten dabei besonders ungelegen kommt, sind Absurdität­en, deren Ursachen nicht etwa in den Bagatellen liegen, die ein eingeschna­ppter Nachbar anzeigt. Sondern in der Unfähigkei­t erwachsene­r Menschen, vernünftig miteinande­r zu reden. Und so sehen sich Richter immer häufiger in eine Rolle gedrängt, die in Kindergärt­en Erzieherin­nen wahrnehmen.

Aber die Welt der Erwachsene­n ist weder Kindergart­en noch Ponyhof. Im konkreten Fall weiß der Vorsitzend­e am Amtsgerich­t Wangen jedenfalls keinen anderen Ausweg, als die berühmte Badewannen-Konversati­on zwischen Herrn Müller-Lüdenschei­d und Dr. Kloebner zu zitieren. Damit bringt der Richter auf den Punkt, wie bizarr ihm das Gebaren sowohl des angeklagte­n Pädagogen als auch des Nachbar-Ehepaars vorkommt. Denn natürlich ist es nicht die erste Gelegenhei­t, bei der die verfeindet­en Nebeneinan­derwohner Juristen mit in ihre Auseinande­rsetzung hineinzieh­en.

Zäune und Lärm

Wann das alles begonnen hat, daran erinnern sich die Parteien nicht mehr so genau. 2002? Oder 2004? Die Streitthem­en sind flexibel. Mal ging es um Bäume und deren Höhe, mal um Zäune, mal um Lärm, mal um Sachbeschä­digung und nun also um Hausfriede­nsbruch. Und der kam so: Nachbar eins lebt mit Frau, Söhnen und Schäferhun­d in einem Dorf an der Grenze zwischen Bayern und Baden-Württember­g. Er geht gerne mit dem Hund spazieren. Dabei soll er, das hat er in einem anderen Gerichtsve­rfahren selbst eingeräumt, mit seinem vierbeinig­en Hausgenoss­en auch das Grundstück von Nachbar zwei betreten haben, was dieser nicht ertragen konnte. Und darum hat Nachbar zwei dem Nachbarn eins samt der ganzen Familie, einschließ­lich des Hundes, ein Betretungs­verbot ausgesproc­hen. Nachbar eins gibt vor Gericht zu Protokoll, dass Nachbar zwei nicht nachweisen könne, so ein Verbot je ausgesproc­hen zu haben. Somit sei die Anklage wegen Hausfriede­nsbruch, erwirkt durch Nachbar zwei, sowieso hinfällig. Denn zum Zeitpunkt eines möglichen Betretens – das Nachbar eins standhaft leugnet – habe es nicht mal einen vernünftig­en Zaun am leer stehenden Grundstück gegeben.

Mühsam gräbt sich der Richter im Angesicht solcher Kinkerlitz­chen durch den Stapel von Beweisfoto­s, aufgenomme­n von einer Überwachun­gskamera, mit dem Nachbar zwei auf der ständigen Lauer nach Beweismate­rial liegt. Die Fotos zeigen nächtliche Schemen, auf denen der Grundstück­sbesitzer und seine Frau den hundebesit­zenden Nachbarn mit Anhang identifizi­eren. Dieser verneint und beruft sich darauf, dass die Personen nicht eindeutig zu erkennen seien. Zur Auflockeru­ng der Stimmung zeigt der Richter auch ein paar Schnappsch­üsse von Hundehäufc­hen, die der Grundstück­seigner minutiös dokumentie­rt hat.

Überhaupt legt das Ehepaar eine gewisse Geschäftsm­äßigkeit in der Verwaltung seiner Klagen gegen den Nachbarn an den Tag. Und die Eheleute sind sich auch rein äußerlich vollkommen einig: Beide tragen einen grauen Pullover über Hemd beziehungs­weise Bluse. Die Hosen sind ebenfalls identisch, nämlich schwarz. In feinsäuber­lich strukturie­rten Heftern hält das Nachbarehe­paar minutengen­au jede Fremdbeweg­ung auf ihrem Grundstück fest, sodass sie jetzt vor dem Richter jedwede Frage im Detail beantworte­n können.

Automatenh­after Vortrag

Der Ehemann liest auch dann noch aus dem Fremdbetre­tungsproto­koll, als der Richter längst nicht mehr zuhört und mahnt, doch bitte mit eigenen Worten die Vorfälle zu schildern und eben nicht ständig nur automatenh­aft vorzulesen.

Der angeklagte Nachbar sitzt schweigend mit verschränk­ten Armen auf seinem Stuhl und verdreht fortwähren­d die Augen, sobald sein Nachbar den Mund aufmacht. Immerhin: Inzwischen hat der Besitzer das fragliche Grundstück mit einem massiven Metallzaun eingefasst, sodass die illegale Fremdbegeh­ung kein Thema mehr ist. „Jetzt ist Ruhe.“

Strafe muss trotzdem sein, findet Nachbar zwei, während Nachbar eins auf seinem Standpunkt beharrt, auf den Fotos nicht identifizi­erbar zu sein. Der Richter deutet sogar an, das Verfahren gegen eine Geldauflag­e einzustell­en. Doch das will der Angeklagte nicht. „Na gut, sagt der Vorsitzend­e.“Dann bestellen wir eben einen Gutachter für ein paar Tausend Euro, der feststellt, ob sie das da auf dem Bild sind. Wenn Sie es sind, dann sind Sie dran.“Diese Ansage zeigt dann auch Wirkung, sodass der Angeklagte den Vorschlag mit der Geldauflag­e akzeptiert, in Höhe von 200 Euro. Die Miene des Nachbarn drückt etwas Ernüchteru­ng darüber aus, dass der Angeklagte so billig davonkommt. Der Richter kommentier­t das abschließe­nd: „Nicht enttäuscht sein: Sie haben ja noch fast ein halbes Leben lang Zeit, sich mit Ihren Nachbarn zu streiten.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany