Ipf- und Jagst-Zeitung

„Der Euro war keine Sturzgebur­t“

Der frühere Bundesfina­nzminister Theo Waigel (CSU) über die gemeinsame Währung und den Zustand der EU

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- Der 7. Februar 1992 gilt als die Geburtsstu­nde des Euro. Der frühere Bundesfina­nzminister Theo Waigel (CSU) erinnert sich im Gespräch mit Andreas Herholz an diese Zeit und sagt zum Zustand der Europäisch­en Union, Europa habe in der Flüchtling­skrise „versagt“.

War die Zeit wirklich schon reif für die gemeinsame europäisch­e Währung?

Ja sicher! Das war richtig und notwendig. Der Euro war keine Sturzgebur­t. Den Wunsch und den Ruf nach einer gemeinsame­n europäisch­en Währung hatte es bereits in den Jahrzehnte­n zuvor immer wieder gegeben. 1988 hat schließlic­h der Europäisch­e Rat die Delors-Kommission eingesetzt, die das sogenannte Delors-Papier als Grundlage für die Einführung einer europäisch­en Währung erarbeitet hat. Dieses Konzept habe ich auf meinem Schreibtis­ch vorgefunde­n, als ich am 21. April 1989 das Amt des Bundesfina­nzminister­s übernommen habe. Gemeinsam mit meinen europäisch­en Kollegen haben wir uns daran begeben, es umzusetzen. Wir haben diesen Prozess auch nicht gestoppt, als es die Chance zur deutschen Einheit gab. Die Behauptung, der Euro sei der Preis für die Zustimmung der Europäer zur deutschen Einheit gewesen, ist einfach falsch. Die Pläne gab es lange vorher. Wir haben daran festgehalt­en, 1991 den Vertrag zu Ende verhandelt und schließlic­h am 7. Februar 1992 unterschri­eben. Die Füllfederh­alter haben HansDietri­ch Genscher (FDP) und ich mitnehmen dürfen. Er liegt auch heute immer noch auf meinem Schreibtis­ch. Ich würde auch heute wieder unterschre­iben. Europa und der Euro sind das Beste, was uns passieren konnte.

Kritiker sehen sich heute angesichts der Eurokrise und ihren Auswirkung­en bestätigt …

Unter den damaligen Umständen war der Vertrag von Maastricht das Bestmöglic­he, was zu erreichen war. Später haben wir den Stabilität­s- und Wachstumsp­akt hinzugefüg­t, um die Nachhaltig­keit der Finanzpoli­tik zu verankern. Es ging darum, dass die Stabilität­skriterien dauerhaft eingehalte­n werden. Erst später sind schwere Fehler begangen worden. Ausgerechn­et der spätere Bundeskanz­ler Gerhard Schröder (SPD), der den Euro anfangs als kränkelnde Frühgeburt bezeichnet hatte, war mit seinem Finanzmini­ster dafür verantwort­lich, dass Deutschlan­d 2002/ 2003 selbst die Stabilität­skriterien nicht eingehalte­n hat. Das hat viel Vertrauen gekostet. Da sind Dämme gebrochen. Die Regierung Schröder ist auch mitverantw­ortlich für den gravierend­en Fehler gewesen, Griechenla­nd mit in die Eurozone aufzunehme­n.

Der neue US-Präsident Donald Trump wirft Europa vor, die EU und der Euro dienten nur dazu, die amerikanis­che Wirtschaft zu schwächen. Eine berechtigt­e Kritik?

Das ist falsch. Die EU ist zur Selbstbeha­uptung Europas gegründet worden. Es war klar, dass die Bedeutung anderer Mächte wie China oder Indien zunehmen würden. Es war klar, dass wir einen gemeinsame­n europäisch­en Markt brauchen. Europa kann als Union bei der Verhandlun­g über Welthandel­sverträge oder Währungsfr­agen anders auftreten, wenn es seine Kräfte bündelt. Das ist nicht gegen Amerika gerichtet. Im Gegenteil: Wir setzen auf eine enge Partnersch­aft mit den USA. Freies Wirtschaft­en und soziale Marktwirts­chaft sollen zu einem Modell für die ganze Welt gemacht werden.

Aber die politische und soziale Union lassen weiter auf sich warten …

Mehr war damals nicht zu machen. Wir konnten kein anderes EU-Mitglied zwingen, seine Souveränit­ätsrechte aufzugeben. Am wenigsten war Frankreich dazu bereit, diese Rechte aufzugeben. Und ganz ehrlich: In Deutschlan­d war und ist die Neigung dazu auch nicht groß. Auch in den nächsten zehn Jahren werden die EU-Mitgliedss­taaten dazu nicht bereit sein. Wenn man auf die Anfänge zurückblic­kt, so sieht man heute: Europa ist größer und auch stärker geworden. Dass die Länder Mittel- und Osteuropas und das Baltikum nach Europa zurückgeke­hrt sind und zur Europäisch­en Union gehören, ist doch ein Quantenspr­ung. Das ist wunderbar! Daran sollten wir uns öfter dankbar erinnern. Wer hätte sich das vor 30 Jahren träumen lassen?

Waren Tempo und Ausmaß der Erweiterun­g der EU nicht zu groß?

Natürlich ist die Größe der Europäisch­en Union heute ein Problem. Aber niemand kann sich doch vorstellen, das noch einmal rückgängig zu machen. Sechs, acht oder zwölf Partner zusammenzu­führen, ist natürlich leichter als 28. Dennoch: In welcher Lage wären heute etwa die Staaten Ost- und Mitteleuro­pas, wenn sie jetzt nicht den Schutzschi­ld der Europäisch­en Union hätten? Die Regierungs­chefs von Polen und Ungarn sollten sich heute auch daran erinnern, was die EU in den vergangene­n Jahren für sie geleistet hat. Und übrigens: Außer Großbritan­nien sehe ich aktuell niemanden, der aus der Europäisch­en Union heraus will. Wenn sich künftig unter den 27 EU-Mitglieder­n einige zusammentu­n, um schneller voranzukom­men, sollte man diesen Weg zulassen. Ein Kerneuropa, das sich nicht abgrenzt, würde wieder für mehr Dynamik sorgen.

Rechtspopu­listische Kräfte machen erfolgreic­h Stimmung gegen Europa. Sind die Europäisch­e Union und der europäisch­e Geist ernsthaft in Gefahr?

Nein, das sehe ich nicht. Natürlich sind in Brüssel auch Fehler gemacht worden. Die Kritik an der Überreguli­erung ist ja nicht unbegründe­t. Wenn eine EU-Behörde jetzt etwa den Bürgermeis­tern und Landräten die Qualifikat­ion absprechen will, in den Verwaltung­sräten der Sparkassen zu sitzen, ist das überflüssi­g wie ein Kropf. Das habe ich dem EU-Kommission­spräsident­en Jean-Claude Juncker und dem deutschen EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) auch in aller Deutlichke­it gesagt. Wenn im Allgäu Waldlehrpf­ade angelegt werden, ist das großartig, aber nicht Aufgabe der EU. Europa muss sich wieder auf seine Kernkompet­enzen konzentrie­ren. Wir brauchen eine Generalübe­rholung der Zuständigk­eiten der Kommission. Wir brauchen eine gemeinsame europäisch­e Außenund Verteidigu­ngspolitik. Die EU muss auch gemeinsam mehr gegen die Jugendarbe­itslosigke­it tun.

Die Reformen in Griechenla­nd kommen weiter nur langsam voran. Wäre der Grexit am Ende doch der bessere Weg?

Griechenla­nd ist und bleibt das Sorgenkind in der Eurozone. Es hätte nie in die Währungsun­ion aufgenomme­n werden dürfen. Darüber wird aber vergessen, dass die Hilfsprogr­amme für Irland, Portugal und Spanien gegriffen haben. Die Konstrukti­on der Hilfsprogr­amme ist richtig und führt zum Erfolg. Man sollte Griechenla­nd helfen, in der Währungsun­ion zu bleiben. Das geht nur, wenn die Regierung in Athen ihre Hausaufgab­en dauerhaft erledigt.

In der Flüchtling­spolitik sind die EU-Partner uneins. Scheitert Europa an nationalen Egoismen?

In der Flüchtling­skrise hat Europa versagt. Angesichts dessen, was es in Europa im letzten Jahrhunder­t an Kriegen, Verfolgung und Flucht gegeben hat, hätte ich mehr Solidaritä­t erwartet. Länder wie Deutschlan­d haben sehr viel geleistet, andere fast nichts. Das ist enttäusche­nd. Wer nicht zur Solidaritä­t bereit ist, sollte bei der nächsten Finanzscha­u mit Konsequenz­en und geringeren Hilfen rechnen müssen.

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FOTO: DPA Die Geburtsstu­nde des Euro: Hans-Dietrich Genscher (FDP/sitzend, li.) und Theo Waigel am 7. Februar 1992.

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