Ton zwischen Moskau und Minsk wird schärfer
In Windeseile errichten Arbeiter auf den Zufahrtsstraßen zum weißrussischen Nachbarn Hinweisschilder mit der Aufschrift „Grenzgebiet“. 30 Kilometer im Hinterland wird darauf bereits hingewiesen. Russland wird die Grenze zu seinem Bündnispartner Weißrussland stärker kontrollieren. Bislang gab es zwischen Russland und Weißrussland keine Personen- oder Zollkontrollen. Heute treten die neuen Regelungen in Kraft.
Russlands Nacht- und Nebelaktion war eine Retourkutsche für das aus russischer Sicht selbstherrliche Auftreten des weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko. Der hatte im Januar Staatsbürgern aus 80 Ländern, darunter die EU und die USA, einen fünftägigen visafreien Aufenthalt in seinem Reich eingeräumt. Minsk und Moskau wollen von den Plänen des jeweils anderen nichts gewusst haben. Moskau fürchtet, Ausländer ohne gültige russische Visa könnten unkontrolliert nach Russland einreisen. Die Minsker Freizügigkeit fällt in eine Zeit, in der Moskau sich nach außen abschottet. Der Ukas des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB soll unterdessen schon vom 29. Dezember stammen.
Unstimmigkeiten zwischen Minsk und Moskau sind nicht selten. Doch wie zerstritten sie auch waren, Putin und Lukaschenko fanden am Ende immer eine Lösung. Die Tonlage hat sich nun verschärft. Mit der Errichtung des Grenzregimes zögert Moskau auch nicht, jene Vorzüge zunichte zu machen, die die Gründung des russisch-weißrussischen „Unionsstaates“vor mehr als 20 Jahren mit sich brachte: Freie Fahrt von Wladiwostok im russischen Fernen Osten bis nach Brest an der polnischen Grenze.
Wenig Glück mit Verbündeten
Moskau hat wenig Glück mit Verbündeten. Denn auch die Eurasische Wirtschaftsunion (EWU) kommt nicht vom Fleck. Präsident Wladimir Putin wollte die EWU nach der Annexion der Krim 2014 zunächst zu einer Wirtschaftsgemeinschaft ausbauen, aus der sich später eine politische Union entwickeln sollte. Offiziell stellt die EU die Blaupause. Doch schon beim Prinzip des freiwilligen Beitritts zeigte sich der Unterschied zu Brüssel. Beobachter vermuten, der Zwist mit Minsk, das neben Russland, Kasachstan, Kirgistan und Armenien der EWU angehört, wird die Entwicklung weiter drosseln. Von der politischen Tagesordnung ist die EWU ohnehin verschwunden.
Klar ist: Weißrusslands neue Visapolitik beunruhigt Moskau mehr als frühere Streitfälle. „Wenn Lukaschenko die mehrvektorielle Politik fortsetzt, werden sich die Beziehungen nicht zum Besten wenden“, drohte der Vize des Dumakomitees für Staatsaufbau Michail Jemeljanow. Lukaschenko treibe eine „gefährliche Politik“.
Dahinter verbirgt sich Moskaus Angst, Lukaschenko könnte sich langsam von Russland als einzigem Bezugspunkt absetzen. Im letzten Jahr hob der Westen aus innenpolitischen Gründen gegen Minsk verhängte Sanktionen auf. 2015 beherbergte Lukaschenko die Verhandlungen über das neue Ukraine-Abkommen „Minsk II“. Erst kürzlich einigte sich die EU mit ihm über den Bau von Auffanglagern für Flüchtlinge in Weißrussland.