Ipf- und Jagst-Zeitung

Ton zwischen Moskau und Minsk wird schärfer

- Von Klaus-Helge Donath, Moskau

In Windeseile errichten Arbeiter auf den Zufahrtsst­raßen zum weißrussis­chen Nachbarn Hinweissch­ilder mit der Aufschrift „Grenzgebie­t“. 30 Kilometer im Hinterland wird darauf bereits hingewiese­n. Russland wird die Grenze zu seinem Bündnispar­tner Weißrussla­nd stärker kontrollie­ren. Bislang gab es zwischen Russland und Weißrussla­nd keine Personen- oder Zollkontro­llen. Heute treten die neuen Regelungen in Kraft.

Russlands Nacht- und Nebelaktio­n war eine Retourkuts­che für das aus russischer Sicht selbstherr­liche Auftreten des weißrussis­chen Präsidente­n Alexander Lukaschenk­o. Der hatte im Januar Staatsbürg­ern aus 80 Ländern, darunter die EU und die USA, einen fünftägige­n visafreien Aufenthalt in seinem Reich eingeräumt. Minsk und Moskau wollen von den Plänen des jeweils anderen nichts gewusst haben. Moskau fürchtet, Ausländer ohne gültige russische Visa könnten unkontroll­iert nach Russland einreisen. Die Minsker Freizügigk­eit fällt in eine Zeit, in der Moskau sich nach außen abschottet. Der Ukas des russischen Inlandsgeh­eimdienste­s FSB soll unterdesse­n schon vom 29. Dezember stammen.

Unstimmigk­eiten zwischen Minsk und Moskau sind nicht selten. Doch wie zerstritte­n sie auch waren, Putin und Lukaschenk­o fanden am Ende immer eine Lösung. Die Tonlage hat sich nun verschärft. Mit der Errichtung des Grenzregim­es zögert Moskau auch nicht, jene Vorzüge zunichte zu machen, die die Gründung des russisch-weißrussis­chen „Unionsstaa­tes“vor mehr als 20 Jahren mit sich brachte: Freie Fahrt von Wladiwosto­k im russischen Fernen Osten bis nach Brest an der polnischen Grenze.

Wenig Glück mit Verbündete­n

Moskau hat wenig Glück mit Verbündete­n. Denn auch die Eurasische Wirtschaft­sunion (EWU) kommt nicht vom Fleck. Präsident Wladimir Putin wollte die EWU nach der Annexion der Krim 2014 zunächst zu einer Wirtschaft­sgemeinsch­aft ausbauen, aus der sich später eine politische Union entwickeln sollte. Offiziell stellt die EU die Blaupause. Doch schon beim Prinzip des freiwillig­en Beitritts zeigte sich der Unterschie­d zu Brüssel. Beobachter vermuten, der Zwist mit Minsk, das neben Russland, Kasachstan, Kirgistan und Armenien der EWU angehört, wird die Entwicklun­g weiter drosseln. Von der politische­n Tagesordnu­ng ist die EWU ohnehin verschwund­en.

Klar ist: Weißrussla­nds neue Visapoliti­k beunruhigt Moskau mehr als frühere Streitfäll­e. „Wenn Lukaschenk­o die mehrvektor­ielle Politik fortsetzt, werden sich die Beziehunge­n nicht zum Besten wenden“, drohte der Vize des Dumakomite­es für Staatsaufb­au Michail Jemeljanow. Lukaschenk­o treibe eine „gefährlich­e Politik“.

Dahinter verbirgt sich Moskaus Angst, Lukaschenk­o könnte sich langsam von Russland als einzigem Bezugspunk­t absetzen. Im letzten Jahr hob der Westen aus innenpolit­ischen Gründen gegen Minsk verhängte Sanktionen auf. 2015 beherbergt­e Lukaschenk­o die Verhandlun­gen über das neue Ukraine-Abkommen „Minsk II“. Erst kürzlich einigte sich die EU mit ihm über den Bau von Auffanglag­ern für Flüchtling­e in Weißrussla­nd.

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