Ipf- und Jagst-Zeitung

Die neue Unfreiheit

Weltweit ist der Freihandel bedroht – was vor allem die deutsche Industrie treffen könnte

- Von Andreas Knoch

- Das transpazif­ische Freihandel­sabkommen TPP ist am Ende, das transatlan­tische Pendant TTIP liegt auf Eis, und ob das Abkommen zwischen der EU und Kanada (Ceta) von allen EU-Parlamente­n ratifizier­t wird, ist nach wie vor offen. Der Freihandel hat es nicht leicht in diesen Tagen. Das Bundeswirt­schaftsmin­isterium sieht zu solchen Abkommen dennoch keinerlei Alternativ­e. „Wir glauben nach wie vor, dass multilater­ale Freihandel­sabkommen der Königsweg sind“, erklärte Berend Diekmann, in der Behörde der zuständige Referatsle­iter für USA, Kanada und Mexiko, am Wochenende in Tutzing. Auf Einladung der evangelisc­hen Akademie Tutzing und des Münchner Ifo-Instituts diskutiert­en dort Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Wissenscha­ft über die Weltwirtsc­haft nach Brexit und US-Wahl. Die Stimmung in Oberbayern war besorgt, aber nicht hoffnungsl­os.

Deutschlan­d sei abhängig von offenen Märkten, sagte Diekmann. Ein Viertel aller Arbeitsplä­tze hinge direkt oder indirekt vom Export ab. Deshalb könne Abschottun­g, wie sie aktuell in vielen Ländern gefordert wird, keine Maxime deutscher Wirtschaft­spolitik sein. Was TTIP angehe, so passiere laut Diekmann aktuell „nichts“. „Wir sind im Eisschrank“, sagte der Handelsexp­erte. In den Chor der Pessimiste­n, die das Abkommen für gescheiter­t erklären, wollte Diekmann dennoch nicht einstimmen. „Meines Wissens hat sich Trump nie so negativ gegenüber TTIP geäußert wie gegenüber TPP.“Wenn sich die Trump-Administra­tion gegen Ende des Jahres organisier­t habe, könnte das Gespräch zwischen den USA und der EU durchaus wieder aufgenomme­n werden. Der Ball liege im Moment bei den Amerikaner­n. Allerdings, so meinte Diekmann, müsse man sich auf eine neue Gesprächsk­ultur einstellen.

Industrie besorgt wegen Nafta

TTIP ist aber nicht das größte Problem Deutschlan­ds: Mit viel größerer Sorge beobachtet das Bundeswirt­schaftsmin­isterium im Moment die Ankündigun­gen der Vereinigte­n Staaten, das nordamerik­anische Freihandel­sabkommen Nafta neu verhandeln zu wollen. Die mögliche Einführung von Strafzölle­n könnte vor allem deutsche Firmen treffen. „Der Nafta-Vertrag ist vor allem im Hinblick auf das große Engagement der deutschen Automobili­ndustrie in der Region wichtig für uns“, erläuterte Diekmann. Zwischen Mexiko und den Vereinigte­n Staaten existieren große Wertschöpf­ungsverbün­de und eine hohe Arbeitstei­lung. Manche Produkte werden bis zur Fertigstel­lung bis zu zehnmal zwischen Firmen in Mexiko und den USA imund exportiert. Diese Praxis wäre – egal wie die Grenzsteue­rn ausgestalt­et würden – in Gefahr, da die Steuern nicht nur die „bisherige Kalkulatio­n der Unternehme­n über den Haufen werfen, sondern auch für Verunsiche­rung im internatio­nalen Handel sorgen können“.

Was der Brexit für Auswirkung­en auf die deutsche Autoindust­rie haben könnte, skizzierte Thomas Becker, Leiter für Politik und Außenbezie­hungen beim Autobauer BMW in München: „Unsere Investitio­nsentschei­dungen in Großbritan­nien liegen auf Eis. Wir brauchen schnell Klarheit über die Weichenste­llungen der Politik“, erklärte Becker. Großbritan­nien ist für BMW neben den USA der zweitgrößt­e Produktion­sstandort außerhalb Deutschlan­ds, ein Großteil der im Vereinigte­n Königreich produziert­en Güter wird exportiert. So fertigen die Münchner etwa die Marken Mini und Rolls Royce auf der Insel, aber auch Motoren und Teile für die Marke BMW – unter anderem in Oxford, dem ältesten Automobilw­erk der Welt. Gerade für die Automobili­ndustrie birgt der Austritt Großbritan­niens aus dem europäisch­en Binnenmark­t ein enormes Risiko, da die Branche hochvernet­zt ist. Nationale Wertschöpf­ungsketten spielen in der Automobili­ndustrie schon lange keine Rolle mehr. Bei BMW beispielsw­eise werden Autos der Marke Mini mit Motoren aus Österreich bestückt, während in Leipzig produziert­e BMW-Modelle mit Motoren aus Großbritan­nien vom Band rollen.

Zölle könnten Systeme stören

Wenn die Briten mit dem Brexit eigene technische Standards bei Crashtests oder Abgasemiss­ionen einführen, Zoll für die Einfuhr von Bauteilen erheben und Drittlände­r Zoll für Autos aus Großbritan­nien kassierten, wäre dieses komplexe System nach Angaben Beckers empfindlic­h gestört. „Eine hohe Integratio­n Großbritan­niens in den europäisch­en Binnenmark­t muss auch künftig Priorität haben. Wir hoffen, dass am Ende eine brauchbare Lösung herauskomm­t“, sagte Becker.

Einen Anlass für Standortde­batten – sowohl in Großbritan­nien wie auch in Amerika – sieht der Manager jedoch nicht: „Wir führen keine Debatte über die Verlagerun­g oder Schließung eines Standorts.“Bei Milliarden­investitio­nen und Modellzykl­en von sieben Jahren entscheide ein Autobauer nicht hoppla-hopp.

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FOTO: AFP Mini-Produktion in Oxford, der ältesten Autofabrik der Welt: Die Autoindust­rie ist hochvernet­zt, nationale Wertschöpf­ungsketten spielen schon lange keine Rolle mehr. So werden die in Oxford gebauten Minis von BMW mit Motoren aus Österreich bestückt, in...

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