Die neue Unfreiheit
Weltweit ist der Freihandel bedroht – was vor allem die deutsche Industrie treffen könnte
- Das transpazifische Freihandelsabkommen TPP ist am Ende, das transatlantische Pendant TTIP liegt auf Eis, und ob das Abkommen zwischen der EU und Kanada (Ceta) von allen EU-Parlamenten ratifiziert wird, ist nach wie vor offen. Der Freihandel hat es nicht leicht in diesen Tagen. Das Bundeswirtschaftsministerium sieht zu solchen Abkommen dennoch keinerlei Alternative. „Wir glauben nach wie vor, dass multilaterale Freihandelsabkommen der Königsweg sind“, erklärte Berend Diekmann, in der Behörde der zuständige Referatsleiter für USA, Kanada und Mexiko, am Wochenende in Tutzing. Auf Einladung der evangelischen Akademie Tutzing und des Münchner Ifo-Instituts diskutierten dort Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft über die Weltwirtschaft nach Brexit und US-Wahl. Die Stimmung in Oberbayern war besorgt, aber nicht hoffnungslos.
Deutschland sei abhängig von offenen Märkten, sagte Diekmann. Ein Viertel aller Arbeitsplätze hinge direkt oder indirekt vom Export ab. Deshalb könne Abschottung, wie sie aktuell in vielen Ländern gefordert wird, keine Maxime deutscher Wirtschaftspolitik sein. Was TTIP angehe, so passiere laut Diekmann aktuell „nichts“. „Wir sind im Eisschrank“, sagte der Handelsexperte. In den Chor der Pessimisten, die das Abkommen für gescheitert erklären, wollte Diekmann dennoch nicht einstimmen. „Meines Wissens hat sich Trump nie so negativ gegenüber TTIP geäußert wie gegenüber TPP.“Wenn sich die Trump-Administration gegen Ende des Jahres organisiert habe, könnte das Gespräch zwischen den USA und der EU durchaus wieder aufgenommen werden. Der Ball liege im Moment bei den Amerikanern. Allerdings, so meinte Diekmann, müsse man sich auf eine neue Gesprächskultur einstellen.
Industrie besorgt wegen Nafta
TTIP ist aber nicht das größte Problem Deutschlands: Mit viel größerer Sorge beobachtet das Bundeswirtschaftsministerium im Moment die Ankündigungen der Vereinigten Staaten, das nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta neu verhandeln zu wollen. Die mögliche Einführung von Strafzöllen könnte vor allem deutsche Firmen treffen. „Der Nafta-Vertrag ist vor allem im Hinblick auf das große Engagement der deutschen Automobilindustrie in der Region wichtig für uns“, erläuterte Diekmann. Zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten existieren große Wertschöpfungsverbünde und eine hohe Arbeitsteilung. Manche Produkte werden bis zur Fertigstellung bis zu zehnmal zwischen Firmen in Mexiko und den USA imund exportiert. Diese Praxis wäre – egal wie die Grenzsteuern ausgestaltet würden – in Gefahr, da die Steuern nicht nur die „bisherige Kalkulation der Unternehmen über den Haufen werfen, sondern auch für Verunsicherung im internationalen Handel sorgen können“.
Was der Brexit für Auswirkungen auf die deutsche Autoindustrie haben könnte, skizzierte Thomas Becker, Leiter für Politik und Außenbeziehungen beim Autobauer BMW in München: „Unsere Investitionsentscheidungen in Großbritannien liegen auf Eis. Wir brauchen schnell Klarheit über die Weichenstellungen der Politik“, erklärte Becker. Großbritannien ist für BMW neben den USA der zweitgrößte Produktionsstandort außerhalb Deutschlands, ein Großteil der im Vereinigten Königreich produzierten Güter wird exportiert. So fertigen die Münchner etwa die Marken Mini und Rolls Royce auf der Insel, aber auch Motoren und Teile für die Marke BMW – unter anderem in Oxford, dem ältesten Automobilwerk der Welt. Gerade für die Automobilindustrie birgt der Austritt Großbritanniens aus dem europäischen Binnenmarkt ein enormes Risiko, da die Branche hochvernetzt ist. Nationale Wertschöpfungsketten spielen in der Automobilindustrie schon lange keine Rolle mehr. Bei BMW beispielsweise werden Autos der Marke Mini mit Motoren aus Österreich bestückt, während in Leipzig produzierte BMW-Modelle mit Motoren aus Großbritannien vom Band rollen.
Zölle könnten Systeme stören
Wenn die Briten mit dem Brexit eigene technische Standards bei Crashtests oder Abgasemissionen einführen, Zoll für die Einfuhr von Bauteilen erheben und Drittländer Zoll für Autos aus Großbritannien kassierten, wäre dieses komplexe System nach Angaben Beckers empfindlich gestört. „Eine hohe Integration Großbritanniens in den europäischen Binnenmarkt muss auch künftig Priorität haben. Wir hoffen, dass am Ende eine brauchbare Lösung herauskommt“, sagte Becker.
Einen Anlass für Standortdebatten – sowohl in Großbritannien wie auch in Amerika – sieht der Manager jedoch nicht: „Wir führen keine Debatte über die Verlagerung oder Schließung eines Standorts.“Bei Milliardeninvestitionen und Modellzyklen von sieben Jahren entscheide ein Autobauer nicht hoppla-hopp.