Ipf- und Jagst-Zeitung

„Mit Verboten per Gesetz kommen wir nicht weiter“

Die FDP-Politikeri­n Sabine Leutheusse­r-Schnarrenb­erger zur Sicherheit­spolitik in Deutschlan­d

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- Die frühere Justizmini­sterin und bayerische FDP-Vorsitzend­e Sabine Leutheusse­r-Schnarrenb­erger warnt vor einem Überbietun­gswettbewe­rb beim Thema Sicherheit. „Wir wollen nicht, dass Gesetze, die noch nicht einmal angewendet wurden, weiter verschärft werden, nur um dem Bürger zu zeigen: Man tut ja etwas“, sagte Leutheusse­r-Schnarrenb­erger im Gespräch mit Claudia Kling. Zudem plädierte sie dafür, auch bei diesem für Liberale schwierige­n Thema eine klare Haltung zu zeigen. Für viele Bürger sei Freiheit nach wie vor „ein wichtiger Wert“.

Frau Leutheusse­r-Schnarrenb­erger, wie fühlen Sie sich als Liberale, wenn Sie an den Stellenwer­t des Themas Sicherheit im Wahlkampf denken?

Liberal zu sein, einzustehe­n für die Freiheit, ist gerade heute ein Wert. Aber ich fühle mich tatsächlic­h etwas in der Defensive, weil im Moment Bürgerinne­n und Bürger ein Bedürfnis nach Sicherheit haben. Es gibt viele Ängste und Verunsiche­rungen, und es werden große Erwartunge­n an den Staat gerichtet, mehr für die Sicherheit zu tun. Auch in der Politik wird nur noch über Sicherheit geredet. Die Abwägung, inwieweit Freiheitsr­echte einschränk­t und wie weit man gehen soll, tritt vollkommen in den Hintergrun­d.

Wie versuchen Sie als Liberale den Konflikt zwischen Freiheit und Sicherheit aufzulösen – und wie erreichen Sie dabei auch noch Wähler?

Natürlich muss man die terroristi­sche Gefährdung anerkennen. Gleichzeit­ig analysiere­n wir, wo und ob Lücken im Sicherheit­snetz sind – sei es in der Organisati­on und in der Ausbildung bei den Behörden oder in der Anwendung von Gesetzen. Die entscheide­nde Frage dabei ist: Fehlt wirklich etwas? – es wurde ja schon viel für die Sicherheit getan. Ich plädiere für einen vernunftbe­zogenen Zugang zu diesem Thema und nicht für einen Überbietun­gswettbewe­rb im Wahlkampf. Damit können wir sicherlich nicht alle Bürger erreichen, aber es gibt viele, für die Freiheit ein wichtiger Wert ist.

Es gab nach dem Anschlag in Berlin auch Kritik aus der FDP, dass der Staat zu wenig für die Sicherheit der Bürger mache.

Die Kritik der FDP bezog sich darauf, dass zum einen über Jahre hinweg bei der Polizei auf Bundes- und Ländereben­e Personal abgebaut wurde. Und wir haben so manche technologi­sche Entwicklun­g wie beispielsw­eise den Digitalfun­k ziemlich verschlafe­n. Auch der Austausch von Daten verurteilt­er Straftäter funktionie­rt auf europäisch­er Ebene bis heute nicht. Aber in der Debatte über schärfere Gesetz sagen wir ganz klar: Wir wollen nicht, dass Gesetze, die noch nicht einmal angewendet wurden, weiter verschärft werden, nur um dem Bürger zu zeigen: Man tut ja etwas. Den Attentäter von Berlin hätte man beispielsw­eise auch jetzt schon für mindestens drei Monate in Haft nehmen können, wenn es jemand angeordnet hätte.

Ganz konkret: Bringt die Überwachun­g von Moscheen mehr Sicherheit?

Wenn man weiß, dass in einer Moschee Hass gepredigt oder zum Dschihad aufgerufen wird, müssen die Behörden dort tätig werden. Der Staat hat bereits jetzt das Recht und eigentlich auch die Pflicht, da reinzugehe­n. Dazu brauche ich keine Gesetzesän­derung. Das muss man machen, das erwartet auch der Bürger zu Recht.

Schaffen Fußfesseln mehr Sicherheit?

Eine Fußfessel bringt nichts bei der Verhinderu­ng von Anschlägen, denn sie übermittel­n ja nur, wo jemand ist, nicht, was er tut. Ob sich Herr Amri von einer Fußfessel von seiner Tat hätte abhalten lassen, bezweifle ich sehr.

Und mehr Videoüberw­achung im öffentlich­en Raum?

Ich halte dann etwas vom Einsatz von Videokamer­as, wenn man weiß, dass es an einem bestimmten Ort tatsächlic­h eine Gefährdung­ssituation gibt – am Hauptbahnh­of in Köln beispielsw­eise. Ich brauche aber dennoch Polizeibea­mte, ohne sie sind Videokamer­as nichts wert. Auch Anschläge können durch Kameras nicht verhindert werden, sie helfen allenfalls bei der Aufklärung. Deshalb bin ich nicht generell gegen Videokamer­as, aber ich bin gegen ihren flächendec­kenden Einsatz und eine Gesetzesän­derung, um noch mehr Kameras installier­en zu können.

Hat sich Ihre Haltung zur Vorratsdat­enspeicher­ung durch die terroristi­schen Anschläge in Deutschlan­d verändert?

Zur anlasslose­n Vorratsdat­enspeicher­ung nicht. Man kann sich heutzutage mit Prepaid-Handys, mit SIM-Karten aus dem Ausland den nationalen und sogar den europäisch­en Behörden entziehen. Aber wenn es Verdachtsm­omente gibt, dass es sinnvoll wäre, die Daten eines begrenzten Personenkr­eises für eine gewisse Zeit zu erfassen und zu benutzen, gelten die grundsätzl­ichen Bedenken nicht. Wir Freidemokr­aten lehnen es ab, wenn ohne Anlass mit weitgehend­en gesetzlich­en Eingriffsb­efugnissen möglichst viele Informatio­nen über Bürger gesammelt werden.

Im Wahlkampf in den USA haben „Fake-News“und die Einflussna­hme computerge­steuerter Nachrichte­n in sozialen Netzwerken, sogenannte Social Bots, eine große Rolle gespielt. Lassen sich solche Phänomene per Gesetz verhindern?

Ich glaube nicht, dass man Falschnach­richten und den Einfluss maschineng­esteuerter Nachrichte­n verbieten kann. Bei Falschnach­richten wäre das auch vollkommen falsch, schlicht deshalb, weil sie nicht verboten sind. Nur wenn ich jemanden beleidige oder ihm etwas Übles nachrede, was nicht stimmt, dann ist es das heute schon strafbar. Bei den „Social Bots“ist es so, dass viele vom Ausland gesteuert werden, deshalb hilft es nichts, den Einsatz hierzuland­e zu verbieten.

Muss die Gesellscha­ft das genauso aushalten, wie Hassnachri­chten und Beschimpfu­ngen im Netz?

Ja, wir müssen mit abstrakten Beschimpfu­ngen, Hassreden, die nicht volksverhe­tzend sind und keinen Einzelnen konkret beleidigen, leben. Was wir stärken müssen, ist der Qualitätsj­ournalismu­s. Die Medien haben diese Filter, die wir im Netz nicht haben, sie prüfen eine Nachricht, sie zeichnen eine Meinung als Meinung aus. Wir sollten froh sein, dass wir diesen Qualitätsj­ournalismu­s in Deutschlan­d haben. Er ist unverzicht­bar in dieser Auseinande­rsetzung. Mit Verboten per Gesetz kommen wir nicht weiter, eine lebendige Demokratie kann man nicht verordnen. Da sind natürlich auch Politiker und jeder einzelne Bürger gefordert.

Hat sich Ihre Partei genügend eingebrach­t in die Debatten der vergangene­n Monate?

Wir haben eine schwierige Phase hinter uns, 2013 war der Tiefpunkt. So langsam gelingt es uns, wieder Boden unter die Füße zu bekommen. Es ist sehr schwer, als Partei präsent zu bleiben, wenn man nicht mehr im Bundestag vertreten ist. Das ist ein mühsames Geschäft. Das macht Christian Lindner sehr gut. Ich setze auf klare Haltung, auch bei Themen, die für uns Liberale schwierig sind, wie die innere Sicherheit. Als CDU oder SPD light gewinnen wir keinen Blumenpott.

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FOTO: DANIEL DRESCHER Sabine Leutheusse­r-Schnarrenb­erger glaubt nicht, dass Fußfesseln für islamistis­che Gefährder mehr Sicherheit bringen.

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