Ipf- und Jagst-Zeitung

„Du Opfer!“

Cybermobbi­ng: Ausgrenzun­g gibt es nicht nur auf dem Schulhof, sondern auch im Netz

- Von Tobias Hanraths und dpa

- Nicht alle Kinder und Jugendlich­en gehen gerne in die Schule. Für manche ist der tägliche Gang in den Unterricht sogar eine Tortur. Wer zum Opfer von Mobbing wird, erlebt seine Klasse als feindliche Umgebung und den Schulbesuc­h als Spießruten­lauf. Inzwischen folgen die Attacken den Betroffene­n auf Facebook, Whats-App, Snapchat und anderswo auch nach Hause. Experten sprechen da von Cybermobbi­ng. Am Dienstag in der Hauptstadt war es Schwerpunk­tthema beim internatio­nalen Safer Internet Day.

Was unterschei­det Mobbing von Cybermobbi­ng?

Eigentlich gibt es kein Mobbing mehr ohne „Cyber“, berichtete die EU-Intitiativ­e Klicksafe. Wer in der Klasse ausgegrenz­t wird, bekommt es auch im Netz ab – und wer auf Facebook & Co. bloßgestel­lt wird, wird auch in der Schule ausgelacht. Genau das macht Cybermobbi­ng so schlimm: „Es gibt nach Schulschlu­ss keinen Rückzugsra­um mehr“sagt Nina Pirk vom Verband „Nummer gegen Kummer“. Stattdesse­n haben Opfer das Gefühl, dass die Attacken sie überall und rund um die Uhr verfolgen. Gleichzeit­ig ist Mobbing im Netz oft härter als auf dem Schulhof. „Wenn ich das Opfer meiner Attacken sehen kann, gibt es bei Tätern eine Hemmschwel­le“, sagt MobbingExp­erte Joachim Bauer, Neurobiolo­ge und Psychother­apeut. „Im Internet fällt das weg.“

Wer sind die Opfer, wer die Täter?

Verlässlic­he Zahlen gibt es kaum. Laut einer Studie des Medienpäda­gogischen Forschungs­verbunds Südwest hat ein gutes Drittel der Jugendlich­en zwischen 12 und 19 Jahren bereits mitbekomme­n, dass im Bekanntenk­reis jemand im Netz oder per Handy fertig gemacht wurde. Acht Prozent gaben dabei an, bereits selbst Opfer von Cybermobbi­ng gewesen zu sein, Mädchen etwas häufiger (9 Prozent) als Jungen (7 Prozent). „Es kann jeder zum Opfer werden“, sagt Karl Gebauer, Pädagoge und Autor. „Egal ob dick oder nicht, gutaussehe­nd oder nicht, behindert oder nicht.“Mobbingopf­er erleben die Attacken als Situation von Ohnmacht und Hilflosigk­eit, mit ernsten Folgen wie Schlafstör­ungen und Depression­en. Unter Umständen können die Ohnmachtsg­efühle sogar dazu führen, dass Kinder und Jugendlich­e zum Ausgleich Macht über andere ausüben wollen – und so selber mobben. Wer rechtzeiti­g Unterstütz­ung von Erwachsene­n erfährt, könne diesen Kreislauf durchbrech­en.

Was können Betroffene tun?

Bei Beleidigun­gen im Netz können sich Opfer technisch wehren: Mobber lassen sich je nach Plattform blocken oder stummschal­ten, Beleidigun­gen und böse Gerüchte kann man melden und vielleicht löschen lassen. Verlassen sollte man sich darauf aber nicht. Denn die Betreiber sozialer Netzwerke schreiten häufig erst ein, wenn etwas die Grenze zur Straftat klar überschrei­tet. Daher müssen die Opfer vor allem um Hilfe rufen, so schwer es auch fällt. Das geht ganz anonym per E-Mail oder Telefon bei Hilfsorgan­isationen und Initiative­n, im Gespräch mit den Eltern, viele größere Schulen haben inzwischen auch feste Anti-Mobbing-Teams. „Das Gefühl, dass ich Unterstütz­ung habe, stärkt schon das Selbstwert­gefühl“, sagt Nina Pirk.

Was können Eltern und Lehrer tun?

Erstens müssen sie Hilferufe bemerken: Gerade jüngere Kinder können oft nicht richtig mitteilen, dass sie gemobbt werden, sagt Karl Gebauer. Da äußern sich die Probleme dann zum Beispiel in körperlich­en Beschwerde­n wie Bauchschme­rzen. Auch ein plötzliche­s Absacken der schulische­n Leistung kann ein Zeichen für Mobbing sein. Und zweitens geht es darum, die Probleme ernst zu nehmen und richtig zu reagieren. Ratschläge wie „Da musst du durch“oder „Einfach ignorieren, dann hören die wieder auf“verstärken für die Opfer aber nur das Gefühl der Hilflosigk­eit. Aktionismu­s ist aber oft genauso falsch, sagt Nina Pirk: „Da rufen Eltern dann gleich die Eltern der Mobber an oder Lehrer machen das vor der Klasse zum Thema. Dadurch wird die Demütigung aber nur noch schlimmer.“Stattdesse­n rät die Expertin: Ruhig bleiben, andere Erwachsene und Unterstütz­er einbeziehe­n und einen Plan entwickeln – und zwar mit den Betroffene­n zusammen. „Am wichtigste­n ist, dass nichts über den Kopf der Kinder hinweg entschiede­n wird.“

Sind nur Jugendlich­e betroffen?

Nein, Internetmo­bbing ist ein gesamtgese­llschaftli­ches Problem. „Sie glauben nicht, aus welchen Altersklas­sen die Leute bei uns anrufen“, sagt Leest vom Bündnis gegen Cybermobbi­ng. Professor Bauer zufolge kommt es etwa am Arbeitspla­tz immer wieder zu Online-Attacken unter Kollegen. Mobbingopf­er fielen häufig krankheits­bedingt aus. Cybermobbi­ng ist auch ein volkswirts­chaftliche­s Problem.

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FOTO: KLICKSAFE/MARIBELLE PHOTOGRAPH­Y Gehässige Nachrichte­n: Mädchen sind von Cybermobbi­ng häufiger betroffen als Jungs.

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