„Du Opfer!“
Cybermobbing: Ausgrenzung gibt es nicht nur auf dem Schulhof, sondern auch im Netz
- Nicht alle Kinder und Jugendlichen gehen gerne in die Schule. Für manche ist der tägliche Gang in den Unterricht sogar eine Tortur. Wer zum Opfer von Mobbing wird, erlebt seine Klasse als feindliche Umgebung und den Schulbesuch als Spießrutenlauf. Inzwischen folgen die Attacken den Betroffenen auf Facebook, Whats-App, Snapchat und anderswo auch nach Hause. Experten sprechen da von Cybermobbing. Am Dienstag in der Hauptstadt war es Schwerpunktthema beim internationalen Safer Internet Day.
Was unterscheidet Mobbing von Cybermobbing?
Eigentlich gibt es kein Mobbing mehr ohne „Cyber“, berichtete die EU-Intitiative Klicksafe. Wer in der Klasse ausgegrenzt wird, bekommt es auch im Netz ab – und wer auf Facebook & Co. bloßgestellt wird, wird auch in der Schule ausgelacht. Genau das macht Cybermobbing so schlimm: „Es gibt nach Schulschluss keinen Rückzugsraum mehr“sagt Nina Pirk vom Verband „Nummer gegen Kummer“. Stattdessen haben Opfer das Gefühl, dass die Attacken sie überall und rund um die Uhr verfolgen. Gleichzeitig ist Mobbing im Netz oft härter als auf dem Schulhof. „Wenn ich das Opfer meiner Attacken sehen kann, gibt es bei Tätern eine Hemmschwelle“, sagt MobbingExperte Joachim Bauer, Neurobiologe und Psychotherapeut. „Im Internet fällt das weg.“
Wer sind die Opfer, wer die Täter?
Verlässliche Zahlen gibt es kaum. Laut einer Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest hat ein gutes Drittel der Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren bereits mitbekommen, dass im Bekanntenkreis jemand im Netz oder per Handy fertig gemacht wurde. Acht Prozent gaben dabei an, bereits selbst Opfer von Cybermobbing gewesen zu sein, Mädchen etwas häufiger (9 Prozent) als Jungen (7 Prozent). „Es kann jeder zum Opfer werden“, sagt Karl Gebauer, Pädagoge und Autor. „Egal ob dick oder nicht, gutaussehend oder nicht, behindert oder nicht.“Mobbingopfer erleben die Attacken als Situation von Ohnmacht und Hilflosigkeit, mit ernsten Folgen wie Schlafstörungen und Depressionen. Unter Umständen können die Ohnmachtsgefühle sogar dazu führen, dass Kinder und Jugendliche zum Ausgleich Macht über andere ausüben wollen – und so selber mobben. Wer rechtzeitig Unterstützung von Erwachsenen erfährt, könne diesen Kreislauf durchbrechen.
Was können Betroffene tun?
Bei Beleidigungen im Netz können sich Opfer technisch wehren: Mobber lassen sich je nach Plattform blocken oder stummschalten, Beleidigungen und böse Gerüchte kann man melden und vielleicht löschen lassen. Verlassen sollte man sich darauf aber nicht. Denn die Betreiber sozialer Netzwerke schreiten häufig erst ein, wenn etwas die Grenze zur Straftat klar überschreitet. Daher müssen die Opfer vor allem um Hilfe rufen, so schwer es auch fällt. Das geht ganz anonym per E-Mail oder Telefon bei Hilfsorganisationen und Initiativen, im Gespräch mit den Eltern, viele größere Schulen haben inzwischen auch feste Anti-Mobbing-Teams. „Das Gefühl, dass ich Unterstützung habe, stärkt schon das Selbstwertgefühl“, sagt Nina Pirk.
Was können Eltern und Lehrer tun?
Erstens müssen sie Hilferufe bemerken: Gerade jüngere Kinder können oft nicht richtig mitteilen, dass sie gemobbt werden, sagt Karl Gebauer. Da äußern sich die Probleme dann zum Beispiel in körperlichen Beschwerden wie Bauchschmerzen. Auch ein plötzliches Absacken der schulischen Leistung kann ein Zeichen für Mobbing sein. Und zweitens geht es darum, die Probleme ernst zu nehmen und richtig zu reagieren. Ratschläge wie „Da musst du durch“oder „Einfach ignorieren, dann hören die wieder auf“verstärken für die Opfer aber nur das Gefühl der Hilflosigkeit. Aktionismus ist aber oft genauso falsch, sagt Nina Pirk: „Da rufen Eltern dann gleich die Eltern der Mobber an oder Lehrer machen das vor der Klasse zum Thema. Dadurch wird die Demütigung aber nur noch schlimmer.“Stattdessen rät die Expertin: Ruhig bleiben, andere Erwachsene und Unterstützer einbeziehen und einen Plan entwickeln – und zwar mit den Betroffenen zusammen. „Am wichtigsten ist, dass nichts über den Kopf der Kinder hinweg entschieden wird.“
Sind nur Jugendliche betroffen?
Nein, Internetmobbing ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. „Sie glauben nicht, aus welchen Altersklassen die Leute bei uns anrufen“, sagt Leest vom Bündnis gegen Cybermobbing. Professor Bauer zufolge kommt es etwa am Arbeitsplatz immer wieder zu Online-Attacken unter Kollegen. Mobbingopfer fielen häufig krankheitsbedingt aus. Cybermobbing ist auch ein volkswirtschaftliches Problem.