Verseuchte Erde im Land der Feuer
Wo die Camorra illegal Müll verkippt, häufen sich die Todesfälle unter Kindern
NEAPEL - Die Frauen demonstrieren seit Montagnachmittag vor der Polizeipräfektur. Rund 50. Sie rufen, sie schreien und halten vergrößerte Fotografien in die Höhe. Darauf sind Kinder zu erkennen. Neugeborene, die erst einige wenige Monate alt sind, und Kinder um die zehn Jahre. Auch einige Väter sind erschienen, die grimmig in die Runde schauen. Die Demonstrierenden wollen so lange vor der Polizeipräfektur ausharren, bis sich die politisch Verantwortlichen äußern.
Es geht um Müll, um kranke, sterbende und tote Kinder. In der Polizeipräfektur ist Claudio De Vincenti anwesend, Minister für Süditalien. Die Demonstrierenden hoffen, dass er ihren Protest nach Rom mitnimmt, damit sich, so Rosalia De Vito aus Caserta, „die da endlich um unsere Situation kümmern“.
Rosalia gehört der Vereinigung „Opfer des Landes der Feuer“an. Eine Vereinigung, die von Eltern gegründet wurde, vor zwei Jahren, die im Umland von Neapel leben. Das „Land der Feuer“, so wird in Italien jene Gegend genannt, in der die organisierte Kriminalität, die Camorra, illegal Müll verkippt. Haushaltsmüll, aber auch hochgiftige und – sagt die Staatsanwaltschaft Neapel – leicht radioaktive Rückstände aus Krankenhäusern und Forschungseinrichtungen. Jahrelang wurde dieser Müll unter freiem Himmel entsorgt. Die Bilder tagelang brennender Müllberge in Kampanien gingen um die Welt.
Der Müll der Camorra entzündet sich zumeist selbst. Es entstehen Giftschwaden und -wolken, die sich über mehrere Tage halten und die Atemluft vergiften.
Der Vereinigung „Opfer des Landes der Feuer“zufolge sind allein in den vergangenen 20 Tagen acht Kinder an den Folgen dieser Vergiftungen gestorben. Das jüngste war nur sieben Monate alt, das älteste elf Jahre. In fast allen Fällen, erklärt Rosalia anwesenden Journalisten und Neugierigen, waren die Kinder an Leukämie oder Tumoren der Atemwegsorgane erkrankt.
Seit Jahren warnen Mediziner in Kampanien, fast immer Hausärzte in den von der illegalen Müllverkippung betroffenen Ortschaften, vor den Folgen der Rauchschwaden des brennenden Mülls. „Ganz zu schweigen von dem vergifteten Grundwasser in unserer Region, denn die chemischen Bestandteile des Mülls lösen sich bei Regen auf und sickern ins Erdreich“, berichtet der Allgemeinmediziner Claudio Vissani aus Caserta.
2016 sorgte in diesem Zusammenhang auch die Nachricht für großes Aufsehen, wonach die Staatsanwaltschaft Neapel gegen zahllose Milchbauern ermittelt. Sie sollen auf ihren Feldern, auf denen Wasserbüffel leben, aus deren Milch der berühmte Mozzarellakäse gemacht wird, Giftmüll entsorgt haben. Gegen die Zahlung von Schmiergeldern durch die Camorra. Die Ermittler hatten mehrere Tonnen Mozzarella mit Dioxinrückständen entdeckt.
Die in Neapel protestierenden Eltern verlangen Aufklärung durch die Behörden und die Politiker. „Doch die reagieren nicht“, sagt Rosalia enttäuscht. „Die scheinen uns ignorieren zu wollen, weil die von den Bossen geschmiert werden.“Tatsache ist, dass vergiftetes Erdreich auch nach Jahren der Proteste und der Untersuchungen durch Umweltschützer immer noch nicht entfernt und legal entsorgt worden ist.