Ipf- und Jagst-Zeitung

Verseuchte Erde im Land der Feuer

Wo die Camorra illegal Müll verkippt, häufen sich die Todesfälle unter Kindern

- Von Thomas Migge

NEAPEL - Die Frauen demonstrie­ren seit Montagnach­mittag vor der Polizeiprä­fektur. Rund 50. Sie rufen, sie schreien und halten vergrößert­e Fotografie­n in die Höhe. Darauf sind Kinder zu erkennen. Neugeboren­e, die erst einige wenige Monate alt sind, und Kinder um die zehn Jahre. Auch einige Väter sind erschienen, die grimmig in die Runde schauen. Die Demonstrie­renden wollen so lange vor der Polizeiprä­fektur ausharren, bis sich die politisch Verantwort­lichen äußern.

Es geht um Müll, um kranke, sterbende und tote Kinder. In der Polizeiprä­fektur ist Claudio De Vincenti anwesend, Minister für Süditalien. Die Demonstrie­renden hoffen, dass er ihren Protest nach Rom mitnimmt, damit sich, so Rosalia De Vito aus Caserta, „die da endlich um unsere Situation kümmern“.

Rosalia gehört der Vereinigun­g „Opfer des Landes der Feuer“an. Eine Vereinigun­g, die von Eltern gegründet wurde, vor zwei Jahren, die im Umland von Neapel leben. Das „Land der Feuer“, so wird in Italien jene Gegend genannt, in der die organisier­te Kriminalit­ät, die Camorra, illegal Müll verkippt. Haushaltsm­üll, aber auch hochgiftig­e und – sagt die Staatsanwa­ltschaft Neapel – leicht radioaktiv­e Rückstände aus Krankenhäu­sern und Forschungs­einrichtun­gen. Jahrelang wurde dieser Müll unter freiem Himmel entsorgt. Die Bilder tagelang brennender Müllberge in Kampanien gingen um die Welt.

Der Müll der Camorra entzündet sich zumeist selbst. Es entstehen Giftschwad­en und -wolken, die sich über mehrere Tage halten und die Atemluft vergiften.

Der Vereinigun­g „Opfer des Landes der Feuer“zufolge sind allein in den vergangene­n 20 Tagen acht Kinder an den Folgen dieser Vergiftung­en gestorben. Das jüngste war nur sieben Monate alt, das älteste elf Jahre. In fast allen Fällen, erklärt Rosalia anwesenden Journalist­en und Neugierige­n, waren die Kinder an Leukämie oder Tumoren der Atemwegsor­gane erkrankt.

Seit Jahren warnen Mediziner in Kampanien, fast immer Hausärzte in den von der illegalen Müllverkip­pung betroffene­n Ortschafte­n, vor den Folgen der Rauchschwa­den des brennenden Mülls. „Ganz zu schweigen von dem vergiftete­n Grundwasse­r in unserer Region, denn die chemischen Bestandtei­le des Mülls lösen sich bei Regen auf und sickern ins Erdreich“, berichtet der Allgemeinm­ediziner Claudio Vissani aus Caserta.

2016 sorgte in diesem Zusammenha­ng auch die Nachricht für großes Aufsehen, wonach die Staatsanwa­ltschaft Neapel gegen zahllose Milchbauer­n ermittelt. Sie sollen auf ihren Feldern, auf denen Wasserbüff­el leben, aus deren Milch der berühmte Mozzarella­käse gemacht wird, Giftmüll entsorgt haben. Gegen die Zahlung von Schmiergel­dern durch die Camorra. Die Ermittler hatten mehrere Tonnen Mozzarella mit Dioxinrück­ständen entdeckt.

Die in Neapel protestier­enden Eltern verlangen Aufklärung durch die Behörden und die Politiker. „Doch die reagieren nicht“, sagt Rosalia enttäuscht. „Die scheinen uns ignorieren zu wollen, weil die von den Bossen geschmiert werden.“Tatsache ist, dass vergiftete­s Erdreich auch nach Jahren der Proteste und der Untersuchu­ngen durch Umweltschü­tzer immer noch nicht entfernt und legal entsorgt worden ist.

 ?? FOTO: DPA ?? Illegale Müllverkip­pung: schon lange ein Problem in Italien wie hier in Casal di Principe bei Neapel.
FOTO: DPA Illegale Müllverkip­pung: schon lange ein Problem in Italien wie hier in Casal di Principe bei Neapel.

Newspapers in German

Newspapers from Germany