Zwischen Feindschaft, Verrat und Angst
Türkeireferendum: Gräben zwischen türkischen Landsleuten in Aalen wachsen – Vereine planen Widerstand
- Die geplante Verfassungsänderung über ein Präsidialsystem spaltet die Türkei. Deren Auswirkungen sind auch bis nach Aalen zu spüren. Auch hier werden die Gräben zwischen Anhängern und Gegnern des Präsidenten Recep Tayyip Erdogan größer. Gegen die türkische Regierung formiert sich nun Widerstand vonseiten mehrerer türkischer Vereine in Aalen. Sie wollen verhindern, dass ihre Landsleute für ein Präsidialsystem stimmen. Denn damit würde Erdogan deutlich mehr Macht bekommen. Er selbst bezeichnet es dagegen als einzige „Garantie für Stabilität und Sicherheit“.
Aktuell leben 1996 türkische Staatsbürger in Aalen. Hinzu kommen unzählige eingebürgerte türkische Staatsangehörige, die kein Stimmrecht besitzen, aber indirekt auch von der Wahl betroffen sind: Viele haben nach wie vor Freunde und Familie in der Türkei. Viele von ihnen machen sich große Sorgen.
Türkische Vereine wollen Landsleute aufklären
Dazu gehört auch Turgay Dündar. Als politischer Aktivist will er seine Landsleute aufklären. „Ich setze mich für die Verfassung und für Atatürks Ideen ein“, sagt Dündar. Er ist Administrator mehrerer Facebookseiten und -gruppen, darunter „Son Kale“, was übersetzt so viel wie „Letzte Bastion“bedeutet. „Das Ziel ist, dass Atatürks Fortschritt bleibt, nämlich, dass die Türkei ein demokratischer Sozialstaat ist, in dem Religion und Politik voneinander getrennt sind.“Dündar glaubt, dass es in Deutschland sogar noch mehr Befürworter Erdogans gibt als in der Türkei. Denn viele von ihnen seien nicht genug aufgeklärt, sagt Dündar.
Um das zu ändern, hat er nun schon das zweite Treffen mehrerer türkischer Vereine in Aalen mitorganisiert, darunter der Kultur Klub Antakya, der Alevitische Kultur Verein und der Türkische Kultur- und Sportverein. Gemeinsam wollen sie ihre Landsleute in Aalen über die in ihren Augen gefährlichen Folgen eines Präsidialsystems informieren. Im Gespräch sind Infoveranstaltungen oder Broschüren, Dündar kann sich sogar eine Demonstration vorstellen.
Währenddessen treten Konflikte zwischen Erdogan-Befürwortern und -Gegnern immer mehr zu Tage. Von einer „Wand zwischen Kritikern und Befürwortern Erdogans“spricht etwa Ayhan Karaali, der in Aalen zwei Imbisse betreibt. „Jeder hat Angst vor dem anderen“, sagt er.
Auch Roland Hamm spürt eine „sehr polarisierte Stimmung in der türkischen Kommune in Aalen“. Hamm ist im Aalener Städtepartnerschaftsverein für Antakya zuständig. Wer beispielsweise klar und offen anprangert, wie in der Türkei mit Minderheiten umgegangen werde, gerate gehörig unter Druck. Hamm, der sich zum Beispiel an entsprechenden Kundgebungen beteiligte, hat das bereits am eigenen Leib erfahren. „Auf Facebook wurde ich massiv angefeindet“, erinnert er sich. Auch Briefe mit bösen Drohungen habe er bekommen. Dennoch: „Ich fürchte mich hier nicht.“Politik, erklärt er, laufe in der Türkei eben deutlich emotionaler ab.
Einige türkischstämmige Aalener haben den „Aalener Nachrichten“gegenüber bestätigt, wegen ihrer offenen Regierungskritik Angst vor Repressionen zu haben. Zwar können sie in Aalen ihre Meinung frei äußern, aber sie fürchten, bei der Ein- oder Ausreise aus der Türkei ihren Pass zu verlieren oder gar eingesperrt zu werden. „Ich habe Erdogan schon früher öffentlich kritisiert und ihn zum Rücktritt aufgefordert“, sagt etwa Serhat Coban, Vorsitzender des Kultur Klubs Antakya Aalen. „Wenn ich im Sommer Urlaub in der Türkei mache, kann es schon sein, dass ich dort Probleme bekomme.“
Vor allem Gülen-Anhänger haben es schwer. Ein Betroffener etwa schildert den „Aalener Nachrichten“, wie Gülen-Anhänger in Aalen bedroht und als Landesverräter beschimpft würden. Sie würden gemieden und ausgeschlossen. Selbst neutrale Personen würden sich abwenden, aus Angst, sonst selbst zur Zielscheibe zu werden.
Welche Rolle die Moscheen bei dieser Thematik spielen – Stichwort Spitzel der türkischen Regierung –, lässt sich in Aalen nicht abschließend klären. Die meisten befragten Türken geben an, von Spionen nichts
„Jeder hat Angst vor dem anderen“, sagt Ayhan Karaalis über die Stimmung unter türkischen Landsleuten in Aalen.
zu wissen. Dagegen haben manche von ihnen den „Aalener Nachrichten“berichtet, es habe wegen den Vorkommnissen in der Türkei bereits Austritte aus der Ditib-Gemeinde in Aalen gegeben. Dass es in jüngster Zeit drei Austritte gegeben habe, bestätigt Themil Sahin, Vorsitzender der Ditib Türkisch islamischen Gemeinde zu Aalen. Er führt die Austritte allerdings vor allem darauf zurück, dass die Mitglieder in ihr Heimatland zurückkehren wollten. Auch, dass es in der Gemeinde Spione der türkischen Regierung gebe, dementiert er: „Das ist hier überhaupt nicht der Fall.“Es handle sich bei der Ditib-Gemeinde um eine reine Religionsgemeinschaft, die sich nicht für Herkunft oder politische Ausrichtung interessiere. Einen Videokommentar zu den Auswirkungen des Türkeireferendums auf die Stimmung in Aalen folgt am Donnerstagabend um 19 Uhr auf