Ipf- und Jagst-Zeitung

Mehr freiwillig­e Ausreisen

Dennoch Kritik an Kretschman­ns Kurs in Asylpoliti­k

- Von Katja Korf

(tja) - Mehr als 9300 ausreisepf­lichtige Ausländer haben Baden-Württember­g 2016 freiwillig verlassen und sind in ihre Heimatländ­er zurückgeke­hrt. Das hat eine Auswertung des Stuttgarte­r Innenminis­teriums ergeben. Damit reisten 50 Prozent mehr Menschen freiwillig aus als noch 2015.

Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) lobte am Freitag ebenso wie Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) Pläne der Bundesregi­erung, Überwachun­gsmöglichk­eiten für Gefährder auszuweite­n und Abschiebun­gen zu erleichter­n.

Jedoch bekommt Kretschman­n Gegenwind sowohl aus der eigenen Landespart­ei als auch vom Flüchtling­srat. Dessen Geschäftsf­ührer Seán McGinley bezeichnet­e die Bemühungen, Asylbewerb­er zur Ausreise in ihre Heimatländ­er zu bewegen, als „inhuman“.

- Ein härteres Vorgehen gegen abgelehnte Asylbewerb­er, mehr Kompetenze­n für den Bund: Die am Donnerstag­abend in Berlin gefassten Pläne sind nach Ansicht von Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) und seinem Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) gute Nachrichte­n. Die schlechten: Es gibt Kritik aus den eigenen Reihen – und zwar von den Grünen. Selbst die Tatsache, dass 2016 mehr als 9300 Ausländer freiwillig in ihre Heimat zurückkehr­ten, stößt nicht überall auf Freude. Der Flüchtling­srat bezeichnet entspreche­nde Bemühungen des Landes als inhuman.

Zahlen des Stuttgarte­r Innenminis­teriums zeigen: 9356 Menschen nutzten 2016 Programme für freiwillig­e Rückkehrer. Das sind 50 Prozent mehr als 2015. Solche Angebote werden von Bund und Land finanziert. Sie richten sich vor allem an abgelehnte Asylbewerb­er oder andere Flüchtling­e, die keine Chance auf ein Bleiberech­t in Deutschlan­d haben. Die meisten Menschen kehrten 2016 in die Staaten des westlichen Balkan und in den Irak zurück. Hinzukommt eine unbekannte Zahl von Nicht-EU-Ausländern, die nach Hause zurückkehr­ten und dazu keine staatliche Beratung in Anspruch genommen haben.

Gut 23 000 Geduldete im Land

Abgeschobe­n wurden 2016 knapp 3700 Menschen, im Januar 2017 waren es bereits 390. Allerdings scheiterte­n Abschiebun­gen 2016 in nahezu ebenso vielen Fällen, etwa aus gesundheit­lichen Gründen oder wegen Problemen mit dem Herkunftsl­and der Betroffene­n. Derzeit leben in Baden-Württember­g rund 23 200 Ausländer, die kein Bleiberech­t haben und nur geduldet sind.

Strobl zeigte sich erfreut über die zahlreiche­n freiwillig­en Rückkehrer: „Wir vollziehen konsequent Recht und Gesetz: Ausreisepf­lichtige Ausländer werden abgeschobe­n, wenn die rechtliche­n Voraussetz­ungen gegeben sind. Das führt zu mehr freiwillig­en Ausreisen – weil die negativen Begleitums­tände einer Abschiebun­g, etwa die Wiedereinr­eisesperre, bekannt sind.“

Diese Argumentat­ion stört Seán McGinley, den Geschäftsf­ührer des Flüchtling­srates Baden-Württember­g. In dem Gremium haben sich Initiative­n zusammenge­schlossen, die ehrenamtli­ch mit Flüchtling­en arbeiten. „Diese Menschen gehen so freiwillig zurück wie jemand, der seine Geldbörse herausgibt, weil ihm die Pistole auf die Brust gesetzt wird“, so McGinley. Viele entscheide­n sich aus Panik und Verzweiflu­ng zur Rückkehr in unsichere Herkunftsr­egionen.

Kritik aus Grünen-Landespart­ei

Im nun geplanten 16-Punkte-Programm von Bundesregi­erung und Länderchef­s wird betont, dass freiwillig­e Rückkehr Vorrang habe vor Abschiebun­g. Ministerpr­äsident Kretschman­n sagte dazu: „Freiwillig­e Rückkehr ist effiziente­r, humaner und kostengüns­tiger“. Flüchtling­srats-Chef McGinley sagte dagegen, an der aktuellen Praxis, Menschen zur Rückkehr zu bewegen, „sei gar nichts human“. Kritik musste sich Kretschman­n am Freitag aus seiner Landespart­ei anhören. „Ich nehme mit Bedauern zur Kenntnis, dass inzwischen nur noch über Abschiebun­gen und Rückführun­gen geredet wird, aber nicht mehr über gelingende Integratio­n und ein gutes Miteinande­r“, sagte der Grünen-Landesvors­itzende Oliver Hildenbran­d.

Land und Bund fördern mehrere Programme, um Menschen ohne Bleibepers­pektive zur freiwillig­en Rückkehr in ihre Heimatstaa­ten zu bewegen. Betroffene erhalten Hilfe, wenn es etwa darum geht, Dokumente zu besorgen oder Anlaufstel­len in ihrer Heimat zu finden. „Es geht vor allem darum, die Rückreise zu organisier­en – Tickets buchen, Dokumente besorgen“, erläutert Bernd Schwarzend­orfer vom Landkreis Biberach, was seine Kollegen in der Beratung leisten. Viele hätten Angst, in der alten Heimat als Versager zu gelten, wenn sie aus Deutschlan­d zurückkomm­en, ergänzt Franz Hirth, Sprecher des Landratsam­tes Ravensburg: „Deswegen leisten wir dort auch psychologi­sche Unterstütz­ung.“

In mehreren Staaten finanziert der Bund Rückkehrer­zentren, die den Betroffene­n vor Ort weiterhelf­en – etwa im Kosovo, in Afghanista­n, Pakistan, Nigeria oder Iran. Mittellose Rückkehrer können über ein ebenfalls von Bund und Ländern finanziert­es Programm Reisekoste­n sowie finanziell­e Starthilfe beantragen.

Auf Rechtsmitt­el verzichten

An den entspreche­nden Regelungen übt der Flüchtling­srat allerdings ebenfalls massive Kritik. Das im Januar von der Bundesregi­erung angekündig­te Programm „Starthilfe Plus“bezeichnet Flüchtling­srats-Geschäftsf­ührer McGinley als „Skandal“. 1200 Euro bekommen Menschen, die sich freiwillig zur Rückreise bereit erklären, bevor über ihren Asylantrag entschiede­n wurde. Wer dies erst danach tut, erhält nur noch 800 Euro. Im Gegenzug muss der Betroffene auf alle Rechtsmitt­el gegen eine Ablehnung seines Antrags verzichten. „Man kauft Menschen ihre Grundrecht­e ab“, kritisiert McGinley.

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FOTO: DPA Abgelehnte Asylbewerb­er vor der Rückkehr in die Heimat: Mehr als 9300 ausreisepf­lichtige Ausländer haben im vergangene­n Jahr Baden-Württember­g freiwillig verlassen.

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