Alles muss sitzen
Was Gauck und Steinmeier gemeinsam haben, was sie trennt
Am Freitag wurden im Reichstag (Foto: imago) die letzten Vorbereitungen getroffen, schließlich müssen am Sonntag alle 1260 Wahlleute Platz finden. Ab 12 Uhr wird in Berlin der Nachfolger von Bundespräsident Joachim Gauck gewählt. Es gilt als sicher, dass sich der frühere Außenminister Frank-Walter Steinmeier, auf dessen Kandidatur sich CDU, CSU und SPD verständigt hatten, durchsetzen wird. Wird der SPD-Politiker im ersten Wahlgang gewählt, wäre die 16. Bundesversammlung gegen 15 Uhr vorbei – und Steinmeier das 12. Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland.
Bald nach der Bundespräsidentenwahl wird Joachim Gauck aus dem Schloss Bellevue ausziehen, und dann kommt Frank-Walter Steinmeier. Dieser wird sich vermutlich viel mehr an das Amt gewöhnen müssen als sein Vorgänger: Gauck hatte vor der Präsidentschaft nie ein politisches Amt bekleidet, und Steinmeier wird merken, wie es sich anfühlt, wenn man in der täglichen Politik nicht viel zu sagen hat.
Der Pastor Gauck musste als Bundespräsident keine parteipolitischen Rücksichten nehmen. Steinmeier war nie nur SPD-Parteifunktionär, aber er ist aus dieser Partei heraus groß geworden. Gaucks wichtigstes Thema war die Freiheit, und er konnte das meisterhaft aus seiner Biografie herleiten. Steinmeier ist der globalisierte Politiker, der sich daran gewöhnen muss, dass er jetzt über Demokratie in Deutschland, Ausländerhass im Osten und den Zusammenhalt der Gesellschaft wird sprechen müssen.
Kunst inspiriert
Was unterscheidet den mittlerweile 77-jährigen Gauck und den 16 Jahre jüngeren Steinmeier voneinander? Was haben der Ossi aus Rostock und der Genosse aus Brakelsiek, einem Dorf in Nordrhein-Westfalen, gemeinsam? Steinmeier sucht, ebenso wie Gauck, die Nähe zu Kunst- und Kulturschaffenden. Er lässt sich von ihnen inspirieren, ihre Sicht der Dinge erklären. Für den SPD-Mann ist die Literatur wichtig, auf längere Auslandsreisen nimmt er immer einen Schriftsteller oder Künstler mit. Kultur wird bei ihm wichtig bleiben, mit ihm zieht auch sein Abteilungsleiter für Kulturpolitik aus dem Haus am Werderschen Markt um ins Schloss Bellevue. Während Gauck immer für die Freiheit stand und diese in flammenden, klugen Reden verteidigt hat, betonte der Jurist Steinmeier stets die Sachlichkeit, stand für Kontinuität und das Machbare. Träumen durfte er als Außenminister nie. Für Skandale waren beide nicht geeignet. Obwohl, Gauck wird von manchen bis heute vorgehalten, dass er immer noch mit der Mutter seiner Kinder verheiratet ist, aber längst die zweite oder dritte Lebenspartnerin hat. Steinmeiers Skandale beschränken sich auf das Politische: in die Zeit als Kanzleramtsminister und Geheimdienstkoordinator fällt seine Weigerung, den Bremer Türken Murat Kurnaz in Deutschland aufzunehmen, um den in die Hände der Amerikaner geratenen Mann aus dem Gefangenenlager Guantanamo zu befreien.
Inhaltliche Nähe
Gauck hat mit seiner Münchner Rede von 2014 zum Ende des deutschen Abseitsstehens Akzente gesetzt. Es sei an der Zeit, auch militärisch Verantwortung zu übernehmen von einem Deutschland, das noch nie so zuverlässig und demokratisch gewesen sei, forderte er. Dass die Ansprache bei der Münchner Sicherheitskonferenz mit Steinmeier abgestimmt war, illustriert deren inhaltliche Nähe. Gaucks Fußstapfen sind nicht zu groß, er wird sie anders ausfüllen, kein zweiter Gauck sein.
Der Stil wird sich ändern. Steinmeier ist kein so begnadeter Redner wie Gauck. Während der Kirchenmann aus dem Osten sich, wie bei einer Predigt, über besonders gelungene Formulierungen regelrecht zu freuen scheint, sie auf der Zunge zergehen lässt, spricht Steinmeier pragmatisch und unprätentiös. Man kann sich heute einen Präsidenten Steinmeier schwerlich bei einer Rede in der Academie Française vorstellen, wo er wie Gauck erklärt, dass er die politische Romantik aus historischen Gründen ablehne, die künstlerische aber nicht. Gauck wird nie Politiker werden und Steinmeier nie vergessen, dass er einer ist.
Steinmeier scheint in der Fremde aufzuleben, in einem chinesischen Nationalpark oder beim steifen Empfang. Er kennt die kleinen Gesten, mit denen man schwierige Gesprächspartner öffnen kann. Hilfreich dabei ist, dass Steinmeier hervorragend auf Englisch mit seinem Gegenüber parlieren kann. Gauck dagegen braucht eine Dolmetscherin, um eine historische Frage stellen zu können. Er ist in der weiten Welt der Ossi geblieben, der dort ein wenig fremdelt, wo es anders aussieht als daheim.
Guter Rotwein
Der scheidende Präsident wurde sehr oft von seiner Partnerin, der Journalistin Daniela Schadt, begleitet. Steinmeiers Frau, die Juristin Elke Büdenbender, war selten auf Reisen ihres Mannes dabei. Beide Präsidenten trinken gerne Rotwein. Beide duzen sie Menschen in ihrer Umgebung: Bei Steinmeier ist das der alte SPD-Genossen-Habitus, der die sozialen Unterschiede, die es auch in der Partei gibt, überbrückt. Bei Gauck, dem plattdeutschen Rostocker, wird nie ganz klar, ob er eine Gruppe duzt, weil man das im Plattdeutschen so tut oder weil er sie mag.
Gauck blieb immer auch Kirchenmann. Das Pastorale legte er dann ab, wenn kein Mikrofon oder keine Kamera in der Nähe waren. Von Steinmeier ist eher nebenbei zu erfahren, dass auch er sich der evangelischen Kirche eng verbunden fühlt.
Steinmeier ist der Macher, der Kärrner, der hilft, Konflikte zu lösen. Einmal hat er als Außenminister erzählt, wie sein Ministerium heillos zerstrittene Milizenführer aus Libyen zu Verhandlungen nach Berlin einlud. Diese hätten zunächst auf getrennte Flugzeuge zur Anreise nach Berlin bestanden. Aber so viele Flugzeuge hätten sie ja nun auch nicht, sagte Steinmeier. Schließlich kamen die Feinde in einem Flieger aus Tripolis nach Berlin. Bevor sie dann in getrennte Hotels gefahren wurden, habe man die Kriegsparteien auf einen Ausflugsdampfer zur Spreefahrt eingeladen. „Und sie begannen zu reden“, stellte Steinmeier fest.
Das Gesicht wahren
Der Diplomat in ihm gibt dem Gegenüber die Möglichkeit, das Gesicht zu wahren. Steinmeier hat das mit schwierigen Partnern wie Russland oder China gemacht. Und er macht es mit ähnlichen Sätzen: Russland sei bei der Lösung des Syrien-Konflikts ein großer Partner. Oder: China müsse sein Gewicht einbringen, um über den Sicherheitsrat hinaus an der Gestaltung des Friedens mitzuwirken.
Während Gauck sich wegen des Ukraine-Kriegs weigerte, zu den Olympischen Winterspielen nach Sotschi zu fahren, hat Steinmeier seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow auch dann noch zugehört, als dieser behauptete, die deutschen Behörden würden die angebliche Misshandlung eines russlanddeutschen Mädchens verheimlichen. Gauck dagegen scheute den Eklat nicht, als er in der Türkei und in China auf seine Erfahrungen mit der Diktatur verwies. Steinmeier war es als Außenminister gewohnt, die Dinge diskret anzusprechen.
Gauck poltert schon mal, Steinmeier bleibt ruhig, und man fragt sich, mit welchen Yogaübungen er seine Anspannung abarbeitet. So saß er während einer Chinareise vor einem Jahr im riesigen Speisesaal eines Hotels, das Regierungsflugzeug musste repariert werden. Von Steinmeier war kein lautes Wort zu hören, obwohl doch sein US-Kollege in Japan auf ihn wartete. Geschickt nahm er sich mit den Essstäbchen hier vom typischen Drehtisch eine Jakobsmuschel, dort eine Scheibe Mango und dann einen Happen Pekingente. Vom Balkon des Restaurants schaute er später auf den großen Fluss, auf dem Frachtschiffe Rußwolken in den Himmel dampften, er schrieb eine SMS auf seinem I-Phone, nahm einen Schluck vom chinesischen Weißwein. Wenn es nichts zu sagen gibt, dann schweigt er.
Als Außenminister wurde von Steinmeier erwartet, in der Welt unterwegs zu sein. Vom Präsidenten werden die Bürger hören wollen, wie es weitergeht.