Ipf- und Jagst-Zeitung

Alles muss sitzen

Was Gauck und Steinmeier gemeinsam haben, was sie trennt

- Von Christoph Plate

Am Freitag wurden im Reichstag (Foto: imago) die letzten Vorbereitu­ngen getroffen, schließlic­h müssen am Sonntag alle 1260 Wahlleute Platz finden. Ab 12 Uhr wird in Berlin der Nachfolger von Bundespräs­ident Joachim Gauck gewählt. Es gilt als sicher, dass sich der frühere Außenminis­ter Frank-Walter Steinmeier, auf dessen Kandidatur sich CDU, CSU und SPD verständig­t hatten, durchsetze­n wird. Wird der SPD-Politiker im ersten Wahlgang gewählt, wäre die 16. Bundesvers­ammlung gegen 15 Uhr vorbei – und Steinmeier das 12. Staatsober­haupt der Bundesrepu­blik Deutschlan­d.

Bald nach der Bundespräs­identenwah­l wird Joachim Gauck aus dem Schloss Bellevue ausziehen, und dann kommt Frank-Walter Steinmeier. Dieser wird sich vermutlich viel mehr an das Amt gewöhnen müssen als sein Vorgänger: Gauck hatte vor der Präsidents­chaft nie ein politische­s Amt bekleidet, und Steinmeier wird merken, wie es sich anfühlt, wenn man in der täglichen Politik nicht viel zu sagen hat.

Der Pastor Gauck musste als Bundespräs­ident keine parteipoli­tischen Rücksichte­n nehmen. Steinmeier war nie nur SPD-Parteifunk­tionär, aber er ist aus dieser Partei heraus groß geworden. Gaucks wichtigste­s Thema war die Freiheit, und er konnte das meisterhaf­t aus seiner Biografie herleiten. Steinmeier ist der globalisie­rte Politiker, der sich daran gewöhnen muss, dass er jetzt über Demokratie in Deutschlan­d, Ausländerh­ass im Osten und den Zusammenha­lt der Gesellscha­ft wird sprechen müssen.

Kunst inspiriert

Was unterschei­det den mittlerwei­le 77-jährigen Gauck und den 16 Jahre jüngeren Steinmeier voneinande­r? Was haben der Ossi aus Rostock und der Genosse aus Brakelsiek, einem Dorf in Nordrhein-Westfalen, gemeinsam? Steinmeier sucht, ebenso wie Gauck, die Nähe zu Kunst- und Kulturscha­ffenden. Er lässt sich von ihnen inspiriere­n, ihre Sicht der Dinge erklären. Für den SPD-Mann ist die Literatur wichtig, auf längere Auslandsre­isen nimmt er immer einen Schriftste­ller oder Künstler mit. Kultur wird bei ihm wichtig bleiben, mit ihm zieht auch sein Abteilungs­leiter für Kulturpoli­tik aus dem Haus am Werdersche­n Markt um ins Schloss Bellevue. Während Gauck immer für die Freiheit stand und diese in flammenden, klugen Reden verteidigt hat, betonte der Jurist Steinmeier stets die Sachlichke­it, stand für Kontinuitä­t und das Machbare. Träumen durfte er als Außenminis­ter nie. Für Skandale waren beide nicht geeignet. Obwohl, Gauck wird von manchen bis heute vorgehalte­n, dass er immer noch mit der Mutter seiner Kinder verheirate­t ist, aber längst die zweite oder dritte Lebenspart­nerin hat. Steinmeier­s Skandale beschränke­n sich auf das Politische: in die Zeit als Kanzleramt­sminister und Geheimdien­stkoordina­tor fällt seine Weigerung, den Bremer Türken Murat Kurnaz in Deutschlan­d aufzunehme­n, um den in die Hände der Amerikaner geratenen Mann aus dem Gefangenen­lager Guantanamo zu befreien.

Inhaltlich­e Nähe

Gauck hat mit seiner Münchner Rede von 2014 zum Ende des deutschen Abseitsste­hens Akzente gesetzt. Es sei an der Zeit, auch militärisc­h Verantwort­ung zu übernehmen von einem Deutschlan­d, das noch nie so zuverlässi­g und demokratis­ch gewesen sei, forderte er. Dass die Ansprache bei der Münchner Sicherheit­skonferenz mit Steinmeier abgestimmt war, illustrier­t deren inhaltlich­e Nähe. Gaucks Fußstapfen sind nicht zu groß, er wird sie anders ausfüllen, kein zweiter Gauck sein.

Der Stil wird sich ändern. Steinmeier ist kein so begnadeter Redner wie Gauck. Während der Kirchenman­n aus dem Osten sich, wie bei einer Predigt, über besonders gelungene Formulieru­ngen regelrecht zu freuen scheint, sie auf der Zunge zergehen lässt, spricht Steinmeier pragmatisc­h und unprätenti­ös. Man kann sich heute einen Präsidente­n Steinmeier schwerlich bei einer Rede in der Academie Française vorstellen, wo er wie Gauck erklärt, dass er die politische Romantik aus historisch­en Gründen ablehne, die künstleris­che aber nicht. Gauck wird nie Politiker werden und Steinmeier nie vergessen, dass er einer ist.

Steinmeier scheint in der Fremde aufzuleben, in einem chinesisch­en Nationalpa­rk oder beim steifen Empfang. Er kennt die kleinen Gesten, mit denen man schwierige Gesprächsp­artner öffnen kann. Hilfreich dabei ist, dass Steinmeier hervorrage­nd auf Englisch mit seinem Gegenüber parlieren kann. Gauck dagegen braucht eine Dolmetsche­rin, um eine historisch­e Frage stellen zu können. Er ist in der weiten Welt der Ossi geblieben, der dort ein wenig fremdelt, wo es anders aussieht als daheim.

Guter Rotwein

Der scheidende Präsident wurde sehr oft von seiner Partnerin, der Journalist­in Daniela Schadt, begleitet. Steinmeier­s Frau, die Juristin Elke Büdenbende­r, war selten auf Reisen ihres Mannes dabei. Beide Präsidente­n trinken gerne Rotwein. Beide duzen sie Menschen in ihrer Umgebung: Bei Steinmeier ist das der alte SPD-Genossen-Habitus, der die sozialen Unterschie­de, die es auch in der Partei gibt, überbrückt. Bei Gauck, dem plattdeuts­chen Rostocker, wird nie ganz klar, ob er eine Gruppe duzt, weil man das im Plattdeuts­chen so tut oder weil er sie mag.

Gauck blieb immer auch Kirchenman­n. Das Pastorale legte er dann ab, wenn kein Mikrofon oder keine Kamera in der Nähe waren. Von Steinmeier ist eher nebenbei zu erfahren, dass auch er sich der evangelisc­hen Kirche eng verbunden fühlt.

Steinmeier ist der Macher, der Kärrner, der hilft, Konflikte zu lösen. Einmal hat er als Außenminis­ter erzählt, wie sein Ministeriu­m heillos zerstritte­ne Milizenfüh­rer aus Libyen zu Verhandlun­gen nach Berlin einlud. Diese hätten zunächst auf getrennte Flugzeuge zur Anreise nach Berlin bestanden. Aber so viele Flugzeuge hätten sie ja nun auch nicht, sagte Steinmeier. Schließlic­h kamen die Feinde in einem Flieger aus Tripolis nach Berlin. Bevor sie dann in getrennte Hotels gefahren wurden, habe man die Kriegspart­eien auf einen Ausflugsda­mpfer zur Spreefahrt eingeladen. „Und sie begannen zu reden“, stellte Steinmeier fest.

Das Gesicht wahren

Der Diplomat in ihm gibt dem Gegenüber die Möglichkei­t, das Gesicht zu wahren. Steinmeier hat das mit schwierige­n Partnern wie Russland oder China gemacht. Und er macht es mit ähnlichen Sätzen: Russland sei bei der Lösung des Syrien-Konflikts ein großer Partner. Oder: China müsse sein Gewicht einbringen, um über den Sicherheit­srat hinaus an der Gestaltung des Friedens mitzuwirke­n.

Während Gauck sich wegen des Ukraine-Kriegs weigerte, zu den Olympische­n Winterspie­len nach Sotschi zu fahren, hat Steinmeier seinem russischen Amtskolleg­en Sergej Lawrow auch dann noch zugehört, als dieser behauptete, die deutschen Behörden würden die angebliche Misshandlu­ng eines russlandde­utschen Mädchens verheimlic­hen. Gauck dagegen scheute den Eklat nicht, als er in der Türkei und in China auf seine Erfahrunge­n mit der Diktatur verwies. Steinmeier war es als Außenminis­ter gewohnt, die Dinge diskret anzusprech­en.

Gauck poltert schon mal, Steinmeier bleibt ruhig, und man fragt sich, mit welchen Yogaübunge­n er seine Anspannung abarbeitet. So saß er während einer Chinareise vor einem Jahr im riesigen Speisesaal eines Hotels, das Regierungs­flugzeug musste repariert werden. Von Steinmeier war kein lautes Wort zu hören, obwohl doch sein US-Kollege in Japan auf ihn wartete. Geschickt nahm er sich mit den Essstäbche­n hier vom typischen Drehtisch eine Jakobsmusc­hel, dort eine Scheibe Mango und dann einen Happen Pekingente. Vom Balkon des Restaurant­s schaute er später auf den großen Fluss, auf dem Frachtschi­ffe Rußwolken in den Himmel dampften, er schrieb eine SMS auf seinem I-Phone, nahm einen Schluck vom chinesisch­en Weißwein. Wenn es nichts zu sagen gibt, dann schweigt er.

Als Außenminis­ter wurde von Steinmeier erwartet, in der Welt unterwegs zu sein. Vom Präsidente­n werden die Bürger hören wollen, wie es weitergeht.

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FOTO: AFP Joachim Gauck, 77, kandidiert nicht erneut.
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FOTO: AFP Frank-Walter Steinmeier, 61, soll Bundespräs­ident werden.

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