Frau Walter Jens
Die Literaturwissenschaftlerin Inge Jens wird 90
(dpa) - Sie gehörten zu den bekanntesten Intellektuellen Deutschlands: Walter und Inge Jens. Nach der schweren Demenz des Sprachwissenschaftlers, der vor drei Jahren gestorben ist, wünscht sich seine Frau zum 90. Geburtstag am Samstag weiterhin Klarheit im Kopf.
Theodor Fontane, Thomas Mann und Heinrich Heine – Bilder dreier Literaten hängen über einem Sideboard im Wohnzimmer der Literaturwissenschaftlerin Inge Jens. „Das waren die drei Hausheiligen meines Mannes“, sagt sie. Nach der langen Demenzerkrankung und dem Tod von Walter Jens, einem der großen Intellektuellen der Bundesrepublik, sind die Schwarz-Weiß-Zeichnungen und -Drucke mit Inge Jens in eine Tübinger Dreizimmerwohnung gezogen.
Thomas Mann blickt ihr so beim Gespräch über die Schulter, der Mann, dessen Tagebücher die Literaturwissenschaftlerin Inge Jens editiert hat. Als Mann-Kennerin genießt sie bis heute literarisches Ansehen. Zudem hat sie mit Ihrem Mann Bücher zur Tübinger Stadt- und Universitätsgeschichte veröffentlicht. Zuletzt hat Inge Jens Briefe aus der Krankheitszeit ihres Mannes unter dem Titel „Langsames Entschwinden“publiziert.
1989, als Walter Jens nach seiner Emeritierung zum Präsidenten an der Akademie der Künste in Berlin gewählt wurde, zog das Ehepaar für zehn Jahre nach Berlin. Im Alter hat sie mit ihrem Mann weiterhin Bücher geschrieben, etwa die Biografien der Katharina Pringsheim („Frau Thomas Mann“, 2003) und ihrer Mutter Hedwig Pringsheim („Katias Mutter“, 2005). 2009 erschien ihre Autobiografie „Unvollständige Erinnerungen“.
Zum wissenschaftlichen und publizistischen Engagement von Inge Jens kommt das zivilgesellschaftliche. Gemeinsam mit ihrem Mann Walter wurde Inge Jens in den 1980erJahren zu einer Galionsfigur der Friedensbewegung. 1984 beteiligte sie sich an Sitzblockaden vor dem Atomwaffendepot Mutlangen (Ostalbkreis), während des Golfkriegs 1990 versteckte das Paar desertierte USSoldaten in seinem Haus und kam dafür wegen Beihilfe zur Fahnenflucht vor Gericht. „Zu Mutlangen würde ich auch heute noch stehen“, sagt Inge Jens. Sie würde sogar heute wieder blockieren – „wenn mich jemand mit dem Auto mitnimmt“.