Sie hat ein knallrotes Gummiboot
Die Schlagersängerin Wencke Myhre wird 70 – und die Show geht weiter
Ja, die Lyrik des deutschen Schlagers birgt einige unfassbare Blödheiten: „Beiß nicht gleich in jeden A-a-pfel, er könnte sauer sein.“Aber, „hey, heyhey-hey“, solche Zeilen bohren sich in unsere Erinnerung und sitzen da manchmal fester als die Fakten der eigenen Biografie. Und deshalb kennt jeder – auch die Fans von Nobelpreisträger Bob Dylan – die Lieder der sympathischen Wencke Myhre, die nächsten Mittwoch ihren 70. Geburtstag feiert und aus diesem Anlass eine Doppel-CD herausbringt mit einer Sammlung ihrer Hits.
„Singen“heißt das Album nach einem Song, den Wencke 1966 mit dem Orchester von James Last einspielte. Denn: „Es gibt nichts auf der Welt, was mir so sehr gefällt wie Singen.“Nun, auf jeden Fall ist Wencke Myhre dem Schicksal stets mit einem unbeirrten Lalala begegnet. Eine grandiose Stimme hat sie nicht, aber das Frische und Unbekümmerte in ihrem musikalisch tadellosen Ton passt perfekt zum Lächeln und zu den Kulleraugen dieses skandinavischen Schätzchens, das der angloamerikanischen Popmusik stets einen blitzsauberen Charme entgegensetzte.
Wenckes Vater Kjell Myhre, der selbst gern Musik machte und als Busfahrer in Oslo arbeitete, erkannte früh das Show-Potenzial seiner niedlichen Tochter und ließ schon die Siebenjährige in einer Halle der norwegischen Verkehrsbetriebe auftreten. Mit 13 gewann das Mädchen einen Talentwettbewerb und einen ersten Plattenvertrag. Dass sie eigentlich Ärztin werden wollte, spielte keine Rolle mehr. Mit 16 war Wencke schon eine norwegische Berühmtheit. Der Produzent Bobby Schmidt holte sie dann nach Deutschland, wo man ganz verknallt war in nette Mädchen aus dem Norden. Die blonde Dänin Gitte hatte bereits 1963 die Deutschen SchlagerFestspiele gewonnen mit ihrer unvergesslichen Forderung: „Ich will ’nen Cowboy als Mann.“
Da konnten die Beatles, diese Pilzköpfe aus England, noch so laut „She loves you, yeah, yeah, yeah“in die Welt schmettern, in Deutschland gab und gibt es ein großes Publikum für Gute-Laune-Lieder in der vertrauten Sprache. Macht nichts, dass Wencke 1964 noch kein Wort Deutsch sprach. Sie lernte den Text des Schlagers „Hey, kennt ihr schon meinen Peter?“einfach phonetisch auswendig, und siehe da: Man verstand sie gut, man mochte sie auf Anhieb – im Westen und im Osten der Republik.
Mal elegant mit toupierter Außenrolle und Kostümchen, mal kess mit Zöpfen und Schaffnerkappe, so strahlte sie in den Sixties als Teenager-Idol von Bravo-Titelbildern, bekam fünfmal den Bravo-Preis „Otto“und wurde auch von den Muttis geliebt. Nun gut, beim Grand Prix Eurovision belegte Wencke Myhre 1968 nur den sechsten Platz mit „Ein Hoch der Liebe, vive l’amour ...“– aber wir können dieses Liedchen immer noch trällern. Sie ist eben die Queen der Ohrwürmer. Sie wissen schon: „Er hat ein knallrotes Gummiboot, mit diesem Gummiboot fahren wir hinaus.“Auch auf aktuellen Schlagerpartys dröhnt der Superhit von 1970 aus dem furchtbar lustigen Film „Unsere Pauker gehen in die Luft“. Wencke trug damals die Haare lang und die Röcke kurz, sie leuchtete zwischen den blassen Kollegen.
Verehrer hatten allerdings keine Chance, sie heiratete ihren soliden Freund, den dänischen Zahnarzt Torben Friis Möller. Von ihm bekam sie drei Kinder: Die Jungen Kim (1971) und Dani (1973) und schließlich, 1975, die Tochter Katharina. Da hatte sie bereits eine eigene Show im ZDF: „Das ist meine Welt.“1978 verlieh ihr die „Hörzu“, damals das Zentralorgan des deutschen Fernsehzuschauers, die Goldene Kamera als beliebtestem weiblichen Showstar.
Turbulentes Privatleben
Als sie 1983 mit dem zehnjährigen Dani zusammen sang „Wir beide gegen den Wind“, war die erste Ehe längst geschieden. Wencke Myhres neuer Mann hieß Michael Pfleghar. „Michel war für mich die totale Faszination, und mit ihm erlebte ich die glühende, leidenschaftliche Liebe“, erzählt Wencke Myhre. Sie heirateten in Las Vegas, bekamen 1982 einen gemeinsamen Sohn, Michael junior, und es gibt ein witziges Familienbild, auf dem sie typische Wencke-Faxen macht. Pfleghar schaut ernst in die Kamera. Er hatte im deutschen Fernsehen der 1970er-Jahre mit der Klamauk-Show „Klimbim“reüssiert, aber wie viele Komik-Profis neigte er zur Schwermut. „Ein grüblerischer Mensch“, formuliert Wencke. Nach einer turbulenten Zeit und einigem Stress mit Drogen- und Steuerfahndern trennte sie sich 1990 von ihm. Ein Jahr später erschoss sich Pfleghar in Düsseldorf. Sie glaubt, dass er gewisse Misserfolge nicht verkraften konnte. In diesem Zusammenhang klingt das kitschige Liedchen „Michael“, das sie 1994 für ihren Sohn sang, geradezu herzzerreißend: „Michael, kleiner Kavalier, Mama ist schon hier.“
Und so geht es weiter mit der munteren Miene zum wechselnden Spiel des Lebens. Eine dritte Ehe mit dem Hotelier Arthur Burchardt scheiterte 1999 nach fünf Jahren. Seither lebt Wencke Myhre mit dem Musiker und Dirigenten Anders Elijas zusammen. Der lässige Typ mit grauem Pferdeschwanz hilft ihr, im Geschäft zu bleiben. Er ermutigt sie 2004, mit Gitte Haenning und Siw Malmkwist auf Tournee zu gehen. Die Fans sind begeistert und feiern die drei Ladies über Jahre in insgesamt 500 Konzerten. Munter wie eh und je, mit Zöpfchen, Kappe, Kulleraugen, nimmt Wencke Myhre 2010 das Video zum Studio-Album „Eingeliebt, ausgeliebt“auf.
Im selben Jahr wird Brustkrebs diagnostiziert, von dem sie in ihren Memoiren („Die Wencke“, 2013) offenherzig erzählt. Bei der Chemotherapie verliert sie die Haare – und kauft sich eine Perücke. Direkt von der Strahlenbehandlung fährt sie zum Auftritt auf einer Freilichtbühne vor 50 000 Menschen. Sie trägt ein bonbonrosa Kostüm und genießt den Applaus wie eine Wundermedizin. Heute gilt die zehnfache Großmutter als geheilt, aber was heißt das schon? Sie weiß, dass es nie vollkommene Sicherheit für sie geben kann.
Und so macht Wencke Myhre weiter und präsentiert das ungebrochene Lebensgefühl, das man von ihr erwartet. Die Fotos im Booklet der CD sind hübsch geglättet, keine Spur von Leid. Über 50 Songs sind da zu hören, darunter auch Wencke-Raritäten wie eine wohltemperierte Interpretation des amerikanischen Evergreens „The Shadow of your smile“von 1967. Neue Titel sind dabei wie das gemäßigt nachdenkliche Liebeslied „Wir haben uns“von 2011: „Und wenn die ganze Welt zerbricht, was kann uns schon passieren ...“.
Ja, fast nichts, solange noch Luft ist im knallroten Gummiboot.