Ipf- und Jagst-Zeitung

„Plattforma­rbeiter spüren höheren Druck“

Nora Stampfl vom Büro für Zukunftsfr­agen über die negativen Seiten der Sharing Economy

- Von der digitalen in die reale Welt: Über die Internetpl­attform Helpling lassen sich Reinigungs­kräfte buchen.

- Betriebswi­rtin Nora Stampfl, Inhaberin des Büros für Zukunftsfr­agen, spricht von der „Uberisieru­ng der Arbeit“. Gemeint sind neue Formen der Beschäftig­ung im digitalen Zeitalter, wie sie der USTaxidien­st Uber oder das Reinigungs­kräfteport­al Helpling anbieten. Im Gespräch mit Hannes Koch spricht Stampfl über die Auswirkung­en solcher Geschäftsm­odelle auf Beschäftig­ung und soziale Absicherun­g.

Sie haben den Begriff der „Uberisieru­ng“der Arbeit geprägt. Der Begriff leitet sich ab vom US-Taxidienst Uber. Was ist der Unterschie­d zwischen der Arbeit von solchen Fahrern und normalen Beschäftig­ten?

Diese Beschäftig­ten arbeiten offiziell selbststän­dig. Sie fahren auf Abruf. Ihr Arbeitstag ist oft sehr zerstückel­t. Der nächste Auftrag kann schnell kommen oder lange auf sich warten lassen. Sie können sich nicht darauf verlassen, dass sie regelmäßig und ausreichen­d Geld verdienen. Ihr Einkommen schwankt häufig stark. Um die Sozialvers­icherung müssen sich diese Mikro-Unternehme­r selbst kümmern, die Arbeitnehm­errechte fest angestellt­er Beschäftig­ter fehlen ihnen.

Formuliere­n Sie das als Warnung vor diesen neuen Arbeitsfor­men?

Zunächst geht es mir um die Analyse, was da eigentlich passiert. Firmen wie Uber agieren nicht als Arbeitgebe­r, sondern als Plattforme­n. Sie vermitteln Dienste zwischen den Anbietern – den Fahrern – und den Kunden. Dafür verlangen sie einen Teil des Umsatzes als Gebühr. Im Gegensatz zu konvention­ellen Arbeitsver­trägen können die Plattforme­n ihre Beschäftig­ungsbeding­ungen einfach ändern. Sie schmeißen manche Fahrer kurzfristi­g raus, wenn die Bewertung durch die Passagiere zu schlecht ist. So spüren solche modernen Dienstleis­ter einen höheren Druck als Angestellt­e in festen Tätigkeite­n. Trotzdem ist das nur die halbe Wahrheit.

Was ist das Positive?

Viele Uber-Fahrer oder auch Mieter, die ihre Wohnung über die Vermittlun­gsseite Airbnb an Touristen vermieten, erwirtscha­ften ein zusätzlich­es Einkommen. Es handelt sich um Nebenjobs. Sie sind nicht ausschließ­lich auf diese Einnahmen angewiesen. Das belegen Untersuchu­ngen aus den USA. Denken Sie an Lieferdien­ste wie Foodora und Deliveroo, die den Leuten das warme Abendessen nach Hause bringen: Für diese Firmen fahren oft Studenten, die sich ein größeres Taschengel­d dazuverdie­nen. Die Tätigkeite­n sind flexibel, sie lassen sich in den Alltag einpassen, ermögliche­n also zusätzlich­e Freiheitsg­rade.

Nehmen solche Plattforme­n und Tätigkeite­n auch in Deutschlan­d zu?

Ja, das muss man als gesellscha­ftlichen Trend betrachten. Projektbez­ogene Arbeitsbez­iehungen sind häufiger anzutreffe­n, das Normalarbe­itsverhält­nis ist auf dem Rückzug, wenngleich es noch die Mehrheit der Stellen in Deutschlan­d regelt. Genaue Daten zur Zahl der uberisiert­en Jobs gibt es bisher aber nicht – auch weil sich die Abgrenzung schwierig gestaltet.

Wie steht es um die soziale Absicherun­g der Mikro-Unternehme­r, bekommen sie Zugang zur Sozialvers­icherung?

Sie werden als Selbststän­dige eingestuft und müssen sämtliche Beiträge selbst tragen. Weil es keinen Arbeitgebe­r gibt, zahlt dieser auch nicht den üblichen Arbeitgebe­ranteil zur Sozialvers­icherung. Im Ergebnis werden wohl viele Plattforma­rbeiter darauf verzichten, in die Rentenoder Arbeitslos­enversiche­rung einzuzahle­n.

Für selbststän­dige Schriftste­ller, Journalist­en, Musiker, Maler und andere kreative Berufe gibt es die Künstlerso­zialkasse, die der Staat bezuschuss­t. Wäre das ein Modell?

In diese Richtung könnte man überlegen. Beispielsw­eise könnte jede dieser Transaktio­nen mit einer Zahlung in einen Sozialfond­s verbunden sein, der den Plattforma­rbeitern zugute kommt. Wir sollten aber vorsichtig sein bei der Regulierun­g: Schließlic­h bieten die neuen Branchen Innovation­en, Beschäftig­ungsund Verdienstm­öglichkeit­en, die es früher nicht gab. Man soll die junge Pflanze nicht zertreten.

Optimisten bezeichnen die Plattforme­n auch als Sharing Economy, Wirtschaft des Teilens. Darin liegt die Hoffnung, dass die Bürger besser und nachhaltig­er leben, wenn sie ihre Autos oder Wohnungen gemeinsam nutzen. Ist das eine Illusion?

Nicht vollständi­g, darin steckt eine gewisse Wahrheit. Es stimmt ja, dass nicht jeder alles besitzen muss. Man kann private Autos teilen, indem man sie an die Nachbarn verleiht oder auf manchen Strecken Mitfahrer einlädt und damit zusätzlich­es Geld verdient. In den großen Städten funktionie­rt privates und traditione­lles Carsharing sehr gut – wenngleich noch nicht klar ist, ob es einen ökologisch­en Vorteil hervorruft.

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FOTO: IMAGO

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