Im Kinosessel einmal um die Welt
Die Berlinale-Filme zeigen: Das Leben ist ganz schön hart – in Kinshasa, Wien oder Santiago
- Warum auf Filmfestivals gehen? Zum Beispiel, um Geld für eine Weltreise zu sparen. Denn schon an den ersten Tagen der Berlinale gelingt es einem, das Leben vom Kongo bis nach Chile kennenzulernen. Um es vorwegzunehmen: Leicht ist das Leben nirgends – ob als allein erziehende Mutter in Kinshasa, als gefeuerter Musikkritiker in Wien, als Transgender-Frau in Santiago oder als frisch gekürte Ministerin in Großbritannien.
Afrika hat eine boomende Filmindustrie. Aber davon bekommen wir hierzulande ziemlich wenig mit. Für ein Festival wie die Berlinale, die den Anspruch hat, politisches und sozial engagiertes Kino besonders hervorzuheben, gehört es sich, afrikanische Filme zu präsentieren. Ab und zu schafft es ein Film aus Afrika in den Wettbewerb. Dieses Jahr ist es „Félicité“von Alain Gomis. Der französische Filmemacher mit senegalesischen Wurzeln lässt seine Geschichte in Kinshasa spielen. Im Mittelpunkt steht eine starke Frau (Véro Tshanda Beya), die sich niemandem unterordnen will.
Die drastischen Bilder aus dem kongolesischen Slum, die verheerenden Zustände im Krankenhaus, das mag uns anmuten wie eine etwas lang geratene Reportage aus dem „Auslandsjournal“. Aber umgekehrt dürften die Abstiegsängste eines Intellektuellen in Wien einem afrikanischen Zuschauer auch ziemlich exotisch vorkommen.
Josef Hader, der österreichische Kabarettist, Autor und Schauspieler hat es mit seinem Regiedebüt in den Wettbewerb geschafft. „Wilde Maus“ist eine Tragikomödie über die allmähliche Zerstörung des (bildungs) bürgerlichen Lebensentwurfs. Hader selbst spielt die Hauptrolle, den Kritikerpapst Dr. Endl, der von einem Tag auf den anderen entlassen wird. „Sie kennen ja die Situation auf dem Printmarkt“, sagt der Chefredakteur (Jörg Hartmann). Dr. Endl dreht durch, und Hader macht daraus eine aberwitzige Achterbahnfahrt ins Unglück voller Anspielungen auf die Neurosen derer, die es sich leisten können, welche zu haben: welchen Wein zu welchem Fisch? Aber den bitte keinesfalls aus der Aquakultur und Musik selbstverständlich nur in gültigen Aufnahmen – Vivaldis „La Follia“von Il Giardino Armonico und Schuberts „Der Tod und das Mädchen“von Quatuor Mosaiques.
Wunderbar bösartig: „The Party“
Richard Gere war nicht nur wegen Angela Merkel in Berlin. Er spielt auch in einem Wettbewerbsfilm mit. Oren Moverman bittet zu Tisch. „The Dinner“beginnt wie eine Variante von „Gott des Gemetzels“: Zwei wohlsituierte Ehepaare verlieren allmählich die Contenance, hinter der gepflegten Fassade tun sich Abgründe auf. Doch Moverman überfrachtet den Film und rührt aus x-Themen vom Bruderzwist über die Verwahrlosung von Wohlstandskindern bis zum amerikanischen Bürgerkrieg einen ziemlich unbekömmlichen Brei zusammen.
Wie man aus so einer Situation wirklich etwas macht, zeigt Sally Potter in ihrem Wettbewerbsbeitrag. „The Party“ist ironisch, witzig, bissig, ja bösartig und ein wunderbares Beispiel für die hohe Komödienkunst des richtigen Timings. Die britische Filmemacherin, die international mit der Virginia-Woolf-Verfilmung „Orlando“Aufsehen erregte, versammelt ein Team von exzellenten Darstellern um sich und schafft es, in gerade mal 70 Minuten die Lebenslügen einer ganzen Generation und des linken Establishments lustvoll zu entlarven: April (Patricia Clarkson), Gottfried (Bruno Ganz), Martha (Cherry Jones), Jinny (Emily Mortimer), Tom (Cillian Murphy) kommen im Haus von Janet (Kristin Scott Thomas) und Bill (Timothy Spall) zusammen. Sie wollen Janet zu ihrer erfolgreichen Wahl zur Gesundheitsministerin gratulieren. Doch die Party läuft völlig aus dem Ruder. Potter hat den Film nicht nur in Schwarz-Weiß gedreht, sondern auch tatsächlich nur an einem Ort und an einem Stück. Die erzählte Zeit ist die Erzählzeit. Meisterlich. Hoffentlich schafft es dieses Kleinod auch in die deutschen Kinos.
Dort wird sicher Thomas Arslans „Helle Nächte“zu sehen sein. Der deutsche Wettbewerbsbeitrag bedient aber leider das Klischee vom ebenso ambitionierten wie langweiligen Autorenfilm. Arslan gilt als Vertreter der sogenannten Berliner Schule: Das heißt lange Einstellungen, kaum Dialoge, wenig Dramatik. So ist das auch bei dieser Geschichte, in der ein Vater (Georg Friedrich) seinen von ihm getrennt aufwachsenden Sohn (Tristan Göbel) mitnimmt auf eine Reise zur Beerdigung des Großvaters in Norwegen.
Ratlos zurück lässt einen auch der Beitrag „Pokot“der polnischen Altmeisterin Agnieszka Holland. Der Film der Regisseurin, die für „Hitlerjunge Salomon“einst einen Golden Globe bekam, ist eine krude Mischung aus Ökothriller und Märchen mit reichlich Kitsch. Da schnürt ein Füchslein, da blinkt traut des Rehleins Aug und grunzend verröchelt die waidwunde Bache.
Apropos Kitsch: Ohne den geht es auch bei ernsten Themen nicht. Der chilenische Regisseur Sebastián Lelio erzählt in „Una Mujer Fantástica“zunächst lakonisch von Marina (Daniela Vega), die als Junge geboren wurde und nun als Frau respektiert werden möchte. Aber warum muss der Film enden mit einem miserabel interpretierten „Ombra mai fu“, dem Largo aus Händels „Xerxes“?