Auf dem Holzweg
Ein Maurer verliert den Überblick über sein Leben – bis die Gerichtsvollzieherin vor der Tür steht
Irgendwo in einem Staatswald im Landkreis Ravensburg, 13. Juni 2016: Ein Laster mit kleinem Kran schiebt sich über den Waldweg. Das Gefährt hält, ein Mann steigt aus und verlädt gemütlich 43,5 Festmeter Holz in Stämmen. Oder in Geld ausgedrückt: 2575,45 Euro. Dann zuckelt der Laster voll beladen wieder davon. Der Weg des Holzes führt in die Gegend von Isny, wo es auf einem Waldgrundstück wieder abgeladen wird – bis auf 15 Festmeter. Die behält der Lastwagenfahrer als Bezahlung für den Holztransport, den er für einen Bekannten übernommen hat. So war es mit dem Holzbesteller vereinbart.
Das Blöde an der Sache ist nur: Das Holz, das er im Einflussbereich des Forstamtes aufgeladen hat, hat sein Spezl vorher gar nicht bezahlt. Für das Forstamt bedeutet das: Holz weg, kein Geld da. Für den Holzbesteller: Holz da und kein Geld weg.
Das deutsche Strafrecht hält für den Nichtjuristen immer wieder interessante Überraschungen bereit. Was ist zum Beispiel jemand, der etwas in vollem Bewusstsein kauft, die spätere Rechnung gar nicht bezahlen zu können? Ein mathematisch Minderbegabter? Ein fahrlässiger Schussel? Ein Traumtänzer? Nein – ein Betrüger! Davon jedenfalls ist die Staatsanwaltschaft im Falle des angeklagten Holzbestellers fest überzeugt.
Ein Mann wie ein Baum
Bei dem Herrn auf der Anklagebank, seines Zeichens Maurer, handelt es sich um einen Riegel von Kerl: Mächtige Statur, Furcht einflößend große Hände – ein Mann wie ein Baum, zumindest aber wie ein Holzfäller oder sogar jemand, dem zuzutrauen ist, dass er Bäume mit bloßen Händen aus dem Wald zu rupfen vermag.
„Ich geb’s ja zu, es war mein Fehler!“, dröhnt es aus dem Hals des 42Jährigen. Ihm aus dieser buchhalterischen Unachtsamkeit aber einen Strick drehen zu wollen – ihn sogar des Betrugs zu bezichtigen – das finde er schon ein bisschen hart. Er habe deswegen die letzten drei Nächte vor der Gerichtsverhandlung nicht so gut geschlafen. „Wieso?“, fragt der Richter ungerührt. Er, der Angeklagte, habe doch schließlich gewusst, dass er das Holz zu bezahlen hat. Das Holz wachse zwar sprichwörtlich auf Bäumen, umsonst zu haben sei es aber trotzdem nicht. Der Angeklagte rutscht unruhig auf seinem Stuhl hin und her und versucht, die Sache mit dem Geld zu erklären. „Also zuerscht isch mir mein Karre verreckt. Und dann isch mei Heizung verreckt.“Das habe zu einem empfindlichen Liquiditätsengpass geführt, sodass die Rechnung des Forstamts unbeabsichtigt habe warten müssen. „Aber die ist doch bis heute nicht bezahlt“, sagt der Richter und der Angeklagte beginnt mit den Armen zu rudern: „Das mach’ i jetzt scho.“Der Staatsanwalt – offenbar ein kühlerer Rechner als der Angeklagte – geht mit dem Holzbesteller noch einmal die Monate vom Tag des Holzholens bis zu den Mahnbescheiden sowie der angedrohten Zwangsvollstreckung durch. Mal sagt der Angeklagte, er habe vor dem Holzdeal noch 2700 Euro auf der hohen Kante gehabt, habe also auch gedacht, er könne zahlen. Dann gibt er an, dass das jeweils kurz nacheinander kaputt gegangene Auto sowie die Heizung das Geld verschlungen hätten. Doch dabei gerät der 42-Jährige immer wieder in kleine Widersprüche, sodass der Staatsanwalt alsbald sagt: „Irgendwie glaube ich Ihnen nicht so richtig. Sie wussten zum Zeitpunkt der Holzverladung, dass Sie es nicht würden zahlen können.“Der Angeklagte erregt sich: „Awa! Da war ich ja noch flüssig, wie ich das Holz bestellt hab!“
Für ein paar Augenblicke geistert vielleicht in den Köpfen von Richter und Staatsanwalt der Gedanke herum, der Maurer könne das Holz weiterverkauft haben. Und für den Transport dem befreundeten LkwFahrer gleich 15 Festmeter zu geben, erscheint den Juristen auch ein bisschen hoch gegriffen.
Viel nachdenkliches Seufzen erfüllt den Sitzungssaal. Denn eines will den Prozessbeteiligten nicht in den Sinn: Der Angeklagte hatte angegeben, dass er etwa 2100 Euro verdiene, seine Frau ungefähr 1300. Die Kosten für das Eigenheim samt Nebenkosten belaufen sich auf etwa 1400 Euro. Kinder gibt es keine zu versorgen. „Damit gehören Sie nicht gerade zu den Ärmsten“, sagt der Richter und fragt mehrfach nach, warum er also, wenn die Summen stimmen, die der Maurer angibt, die Rechnung des Forstamtes nicht einfach bezahlt hat? Warum er erst auf den Besuch der Gerichtsvollzieherin gewartet habe. Seine Antwort: Achselzucken.
Schließlich kommen Richter und Staatsanwalt zu dem Schluss, dass hinter der wurstigen Zahlungsmoral des Maurers eher wenig kriminelle Energie steckt. Dafür spricht, dass er frühere Holzkäufe korrekt abgewickelt hat. Und auch sonst ist der Mann juristisch ein weitestgehend unbeschriebenes Blatt. Am Schluss kommt es nicht zu einer Verurteilung, sondern zu einer Verwarnung mit Strafandrohung: Der Angeklagte muss die Bezahlung der Rechnung in ein paar Raten mittelfristig begleichen. „Ansonsten gibt’s eine Geldstrafe“, droht der Richter und stellt 50 Tagessätze á 45 Euro – also 2250 Euro in Aussicht. Da steht der Angeklagte auf und schüttelt den Kopf.
„Keine Sorge, das zahl ich jetzt.“Er habe seine Lektion gelernt. Und den Holzweg, auf dem der Mann gewandelt ist, verlassen.