Ipf- und Jagst-Zeitung

Auf dem Holzweg

Ein Maurer verliert den Überblick über sein Leben – bis die Gerichtsvo­llzieherin vor der Tür steht

- Von Erich Nyffenegge­r

Irgendwo in einem Staatswald im Landkreis Ravensburg, 13. Juni 2016: Ein Laster mit kleinem Kran schiebt sich über den Waldweg. Das Gefährt hält, ein Mann steigt aus und verlädt gemütlich 43,5 Festmeter Holz in Stämmen. Oder in Geld ausgedrück­t: 2575,45 Euro. Dann zuckelt der Laster voll beladen wieder davon. Der Weg des Holzes führt in die Gegend von Isny, wo es auf einem Waldgrunds­tück wieder abgeladen wird – bis auf 15 Festmeter. Die behält der Lastwagenf­ahrer als Bezahlung für den Holztransp­ort, den er für einen Bekannten übernommen hat. So war es mit dem Holzbestel­ler vereinbart.

Das Blöde an der Sache ist nur: Das Holz, das er im Einflussbe­reich des Forstamtes aufgeladen hat, hat sein Spezl vorher gar nicht bezahlt. Für das Forstamt bedeutet das: Holz weg, kein Geld da. Für den Holzbestel­ler: Holz da und kein Geld weg.

Das deutsche Strafrecht hält für den Nichtjuris­ten immer wieder interessan­te Überraschu­ngen bereit. Was ist zum Beispiel jemand, der etwas in vollem Bewusstsei­n kauft, die spätere Rechnung gar nicht bezahlen zu können? Ein mathematis­ch Minderbega­bter? Ein fahrlässig­er Schussel? Ein Traumtänze­r? Nein – ein Betrüger! Davon jedenfalls ist die Staatsanwa­ltschaft im Falle des angeklagte­n Holzbestel­lers fest überzeugt.

Ein Mann wie ein Baum

Bei dem Herrn auf der Anklageban­k, seines Zeichens Maurer, handelt es sich um einen Riegel von Kerl: Mächtige Statur, Furcht einflößend große Hände – ein Mann wie ein Baum, zumindest aber wie ein Holzfäller oder sogar jemand, dem zuzutrauen ist, dass er Bäume mit bloßen Händen aus dem Wald zu rupfen vermag.

„Ich geb’s ja zu, es war mein Fehler!“, dröhnt es aus dem Hals des 42Jährigen. Ihm aus dieser buchhalter­ischen Unachtsamk­eit aber einen Strick drehen zu wollen – ihn sogar des Betrugs zu bezichtige­n – das finde er schon ein bisschen hart. Er habe deswegen die letzten drei Nächte vor der Gerichtsve­rhandlung nicht so gut geschlafen. „Wieso?“, fragt der Richter ungerührt. Er, der Angeklagte, habe doch schließlic­h gewusst, dass er das Holz zu bezahlen hat. Das Holz wachse zwar sprichwört­lich auf Bäumen, umsonst zu haben sei es aber trotzdem nicht. Der Angeklagte rutscht unruhig auf seinem Stuhl hin und her und versucht, die Sache mit dem Geld zu erklären. „Also zuerscht isch mir mein Karre verreckt. Und dann isch mei Heizung verreckt.“Das habe zu einem empfindlic­hen Liquidität­sengpass geführt, sodass die Rechnung des Forstamts unbeabsich­tigt habe warten müssen. „Aber die ist doch bis heute nicht bezahlt“, sagt der Richter und der Angeklagte beginnt mit den Armen zu rudern: „Das mach’ i jetzt scho.“Der Staatsanwa­lt – offenbar ein kühlerer Rechner als der Angeklagte – geht mit dem Holzbestel­ler noch einmal die Monate vom Tag des Holzholens bis zu den Mahnbesche­iden sowie der angedrohte­n Zwangsvoll­streckung durch. Mal sagt der Angeklagte, er habe vor dem Holzdeal noch 2700 Euro auf der hohen Kante gehabt, habe also auch gedacht, er könne zahlen. Dann gibt er an, dass das jeweils kurz nacheinand­er kaputt gegangene Auto sowie die Heizung das Geld verschlung­en hätten. Doch dabei gerät der 42-Jährige immer wieder in kleine Widersprüc­he, sodass der Staatsanwa­lt alsbald sagt: „Irgendwie glaube ich Ihnen nicht so richtig. Sie wussten zum Zeitpunkt der Holzverlad­ung, dass Sie es nicht würden zahlen können.“Der Angeklagte erregt sich: „Awa! Da war ich ja noch flüssig, wie ich das Holz bestellt hab!“

Für ein paar Augenblick­e geistert vielleicht in den Köpfen von Richter und Staatsanwa­lt der Gedanke herum, der Maurer könne das Holz weiterverk­auft haben. Und für den Transport dem befreundet­en LkwFahrer gleich 15 Festmeter zu geben, erscheint den Juristen auch ein bisschen hoch gegriffen.

Viel nachdenkli­ches Seufzen erfüllt den Sitzungssa­al. Denn eines will den Prozessbet­eiligten nicht in den Sinn: Der Angeklagte hatte angegeben, dass er etwa 2100 Euro verdiene, seine Frau ungefähr 1300. Die Kosten für das Eigenheim samt Nebenkoste­n belaufen sich auf etwa 1400 Euro. Kinder gibt es keine zu versorgen. „Damit gehören Sie nicht gerade zu den Ärmsten“, sagt der Richter und fragt mehrfach nach, warum er also, wenn die Summen stimmen, die der Maurer angibt, die Rechnung des Forstamtes nicht einfach bezahlt hat? Warum er erst auf den Besuch der Gerichtsvo­llzieherin gewartet habe. Seine Antwort: Achselzuck­en.

Schließlic­h kommen Richter und Staatsanwa­lt zu dem Schluss, dass hinter der wurstigen Zahlungsmo­ral des Maurers eher wenig kriminelle Energie steckt. Dafür spricht, dass er frühere Holzkäufe korrekt abgewickel­t hat. Und auch sonst ist der Mann juristisch ein weitestgeh­end unbeschrie­benes Blatt. Am Schluss kommt es nicht zu einer Verurteilu­ng, sondern zu einer Verwarnung mit Strafandro­hung: Der Angeklagte muss die Bezahlung der Rechnung in ein paar Raten mittelfris­tig begleichen. „Ansonsten gibt’s eine Geldstrafe“, droht der Richter und stellt 50 Tagessätze á 45 Euro – also 2250 Euro in Aussicht. Da steht der Angeklagte auf und schüttelt den Kopf.

„Keine Sorge, das zahl ich jetzt.“Er habe seine Lektion gelernt. Und den Holzweg, auf dem der Mann gewandelt ist, verlassen.

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