Ipf- und Jagst-Zeitung

Der Fall Amri ist nicht vergessen

Merkel spricht mit Tunesiens Ministerpr­äsident über schnellere Rückführun­gen

- Von Sabine Lennartz

- Auffanglag­er? „Das Wort ist nicht Teil meines Wortschatz­es“, antwortet die deutsche Kanzlerin Angela Merkel streng. Neben ihr steht Youssef Chahed, der tunesische Ministerpr­äsident. Die beiden haben ein wichtiges Thema besprochen: Wie führt man abgelehnte tunesische Asylbewerb­er schneller in ihre Heimat zurück und wie vermeidet man zu viele Flüchtling­e?

Innenminis­ter Thomas de Maizière hatte dazu Auffanglag­er in den Herkunftsl­ändern vorgeschla­gen, eine Idee, die Chahed ablehnt, aber auch die Kanzlerin für noch nicht spruchreif hält. Schon gar nicht für Tunesien, das kein Transitlan­d sei. Aber auch noch nicht für Libyen, das noch nicht so weit sei.

Grüne und Linke hatten schon im Vorfeld die deutsche Bundesregi­erung davor gewarnt, in Tunesien Auffanglag­er für Flüchtling­e einzuricht­en. Ein neuer Bericht von Amnesty Internatio­nal spricht von Folter und Menschenre­chtsverlet­zungen in dem Land. Linke und Grüne meinen deshalb, es dürften keine weiteren „Deals“wie mit der Türkei geschlosse­n werden.

Ein kleiner Deal

Ein kleiner Deal ist aber trotzdem geplant. Die Bundesregi­erung will abgelehnte tunesische Asylbewerb­er mit finanziell­en Anreizen zur freiwillig­en Rückkehr in ihre Heimat bewegen. Denn Deutschlan­d pocht nach wie vor auf die schnellere Rückkehr abgelehnte­r Bewerber. Doch allzu oft scheitert dies an der mangelnden Mitarbeit der tunesische­n Behörden. Der spektakulä­rste Fall war der des Attentäter­s vom Berliner Weihnachts­markt, Anis Amri. Seine Abschiebun­g scheiterte an den fehlenden Personalpa­pieren. Tunesien schickte die Papiere zu seiner Einreise zu spät. Sie trafen zwei Tage nach dem Attentat in Berlin ein.

Nun besuchten Tunesiens Ministerpr­äsident und Merkel gemeinsam den Ort, an dem der „Bürger tunesische­r Herkunft“, wie Merkel formuliert­e, mit einem Lastzug zwölf Menschen tötete und mehr als 50 verletzte. Tunesiens Regierungs­chef sagte zuvor in der Pressekonf­erenz: „Wir bedauern sehr, was in Berlin passiert ist. Anis Amri repräsenti­ert ganz sicher nicht Tunesien.“Chahed weist darauf hin, dass es Abkommen über Flüchtling­e gebe, die illegal in Deutschlan­d sind. Anders sei es, wenn Tunesier aus Krisengebi­eten wie zum Beispiel Syrien kommen. Oder bei Amri, der schon 2011 nach Europa kam und sich in Europa radikalisi­erte. „Wie kam es zu der Gehirnwäsc­he?“, will Chahed wissen.

1500 ausreisepf­lichtige Tunesier

Berlin will erfahren, warum er nicht zurück nach Tunesien konnte. Insgesamt 1500 ausreisepf­lichtige Tunesier leben in Deutschlan­d, aber nur 116 kehrten im letzten Jahr in ihre Heimat zurück. Zu wenig und „nicht schnell genug“, wie Merkel meint. Die deutsche Kanzlerin bleibt dabei. Jene, die ohne Berechtigu­ng in Deutschlan­d sind, „und leider wie im Fall Amri sind auch Gefährder darunter“, müssten zurückgefü­hrt werden. Allerdings weist auch sie darauf hin, dass nur ein Prozent der illegalen Immigrante­n in Deutschlan­d aus Tunesien kommt. Gleichzeit­ig wolle man Tunesien helfen, eine bessere Berufsausb­ildung für Jugendlich­e einzuführe­n, sodass sie Zukunftspe­rspektiven in ihrer Heimat sehen. Chahed dankte in Berlin für die wirtschaft­liche Unterstütz­ung Deutschlan­ds. Er setzt darauf, dass auch der Tourismus in seinem Land wieder Fahrt aufnimmt, nachdem man für mehr Sicherheit sorge.

Immerhin gilt Tunesien als einziges Land des Arabischen Frühlings, auf das der Westen noch gewisse Hoffnungen setzt. Angela Merkel will Anfang März zu einem Gegenbesuc­h nach Tunesien und Ägypten reisen, um sich ein Bild zu machen. Die Bundesregi­erung will Tunesien, Algerien und Marokko zu sicheren Herkunftss­taaten erklären. Dies scheiterte bisher an der fehlenden Zustimmung vieler grün-mitregiere­nder Bundesländ­er.

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FOTO: AFP Tunesien helfen, um bessere Perspektiv­en zu schaffen: Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Ministerpr­äsident Youssef Chahed.

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