Lust am Unsinn
Pinar Karabulut inszeniert im Münchner Volkstheater Achternbuschs „Dogtown Munich“als Mythen-Revue
- In den Achtzigern und Neunzigern waren Herbert Achternbuschs Stücke auf den Spielplänen sehr präsent, vor allem die irgendwie biografischen, in denen er das Leben von Mutter, Opa, Tante thematisierte und die immer auch eine literarische Teufelsaustreibung darstellten. Später wandte der Autor, Maler und Filmemacher sich verstärkt dem antiken Griechenland zu. Und da bekamen auch seine Dramen diesen einerseits bayerisch klischeehaften, andererseits fiebrig delirierenden Anstrich, den seine Filme schon lange hatten.
„Dogtown Munich“, eine nur 20 Seiten lange München-Schmähung, die aber auch wieder eine Liebeserklärung ist – ein Konglomerat von Mythen, Albernheiten und Katholizismusreferenzen. Das Stück kann man sicherlich als Vermächtnis des inzwischen 78-jährigen Achternbusch betrachten. Die junge Regisseurin Pinar Karabulut inszeniert auf der kleinen Bühne des Münchner Volkstheaters diese Uraufführung ohne Scheu vor Klischees. Daniel Murenas Soundteppich unterlegt die „musikalische Farce“konsequent mit Geräuschen der Großstadt.
Es geht sportlich zu
Es fängt gemächlich an. Viel Nebel wabert aus einer Tür. Licht fällt in den schwarzen, von zwei Bankreihen flankierten schlauchartigen Raum, über dem ein Heiligenschein in Lampenform hängt (Bühne und Kostüme: Franziska Harm). Eine Gestalt mit Krückstock wandert sehr langsam auf die andere Seite, während aus dem Off eine raunzige Stimme den Prolog auf Argos anstimmt, die langweilige Stadt mit nur einem Restaurant, die nicht am Mittelmeer liegt und natürlich München ist, was sonst. Der stimmlose Bote ist Herakles, Beschützer der Paläste und Sportstätten.
Sportlich geht es auch auf der Bühne zu. Vor allem Julia Richter und Moritz Kienemann zeigen jede Menge Körpereinsatz und ein ausdauerndes Bewegungsvokabular. Gemeinsam mit Leon Pfannenmüller und Timocin Ziegler, die immer mal Perücken verlieren und sich für keinen Schmarrn zu schade sind, wechseln sie fast wie beim Stafettenlauf das Dutzend Figuren durch, das auf dem Marienplatz zusammentrifft. Das Mädchen Zunge, die Jüngere und die Ältere, der Schauspieler und der Direktor, ein Mann und eine Frau, ein seltsamer Priester und natürlich Maria. Die wohnt ja da, oben auf der Säule, und outet sich als befremdliches Hitler-Groupie, reißt sich das Herz aus der Brust, gebiert eine Weißwurst und folgt ihrem Führer ins Grab. Zwölf Neonazis, die nun aufmarschieren, bleiben körperlos und werden vom humpelnden Herakles erschlagen, der die Münchner mahnt: „Wenn ihr sie noch einmal hochkommen lasst, habt ihr keine Chance mehr, denn ich habe in Zukunft was Besseres zu tun.“Dann macht ein Hund sein Geschäft und Karl Valentin landet auf der Säule.
Nah am Exorzismus
Pinar Karabulut aus Mönchengladbach hat München während ihres Studiums gut beobachtet und beutet fröhlich ein weites Arsenal an Bayerntümelei, Stadt-Stereotypen, Katholizismen und Popkultur aus. Da werden Bierbänke zu Kreuzen, die geschultert werden müssen. Schäfflertanzwiedergänger wie aus dem Rathaus-Glockenspiel drehen sich im Kreis. Eine asiatisch angehauchte Comic-Choreografie geht in eine Begegnung der dritten Art über, die zum Fingerhakeln mutiert.
Moritz Kienemann akrobatisiert als Wellenbank durch den Raum. Das macht er sehr wellig, und weil er einen Fatsuit trägt, ist es nicht nur sportlich, sondern auch lustig. Es ist ziemlich komisch, wenn er wie ein Kuckuck rücklings über den Boden zuckend Hilfe, Hilfe tönt oder seine Mitspieler mit den langgezogenen Lauten einer Frühstückslitanei wie ein Sturm wegbläst. Julia Richter als Zunge und Maria scheint von einem unbarmherzigen inneren Motor angetrieben. Wenn sie sich nicht unablässig dreht wie eine Spieluhr, durchfahren Zuckungen sie, als wollte ein Dämon aus ihr raus.
Überhaupt kommt dieser Abend einem Exorzismus recht nahe. Mit viel Lust an Unsinn erstickt Karabulut in ihrer überdrehten Inszenierung jegliche Tümelei im Keim. Damit ist sie ganz bei Achternbusch, auch wenn dessen Lakonie in den knapp 90 Minuten Spieldauer nur selten an die Oberfläche kommt. Weitere Vorstellungen: 21., 22., 24.2., 7., 8., 13., 21. und 22.3. Karten und weitere Infos unter: www.muenchner-volkstheater.de