Leichte Kost in harten Zeiten
Vor dem European Song Contest in Kiew kämpft Bürgermeister Klitschko mit Problemen
(dpa) - Noch stehen im Ausstellungszentrum am Stadtrand lediglich ein paar Plastikstühle und Baumaterialien unter einer gelben Stahlkonstruktion, aber für Bürgermeister Witali Klitschko läuft drei Monate vor dem Eurovision Song Contest (ESC) alles nach Plan: „Wir schaffen alles. Wir arbeiten rund um die Uhr“, versichert er. Die Stadt werde bereit sein für eines der größten TV-Ereignisse der Welt, bei dem 43 Länder gegeneinander antreten.
Damit die mehr als 200 Millionen Zuschauer die Bilder von Krieg und Kämpfen in der Ostukraine ausblenden, greifen die Organisatoren tief in die Tasche. Für die Infrastruktur stellt die Stadtverwaltung etwa sieben Millionen Euro bereit. Knapp 15,5 Millionen – rund 40 Prozent des Jahresbudgets – muss das Staatsfernsehen per Regierungserlass für das Mega-Ereignis im Mai reservieren. Dadurch bleibe der TV-Anstalt zu wenig Geld für andere Projekte, erklärte der Ex-Chef des ukrainischen Staatsfernsehens, Surab Alassanija. Die Finanzierung sei „katastrophal“, warf er den Organisatoren vor, bevor er seinen Posten räumte.
Zudem hat sich nun auch das Kartellamt eingeschaltet: Es ist nicht klar, wer die begehrten Tickets, die bis zu 200 Euro kosten sollen, verkaufen darf. Bei der Ausschreibung siegte der teuerste Anbieter. Die Behörde stoppte den Verkauf und forderte eine neue Ausschreibung. Es rumpelt gewaltig bei den Vorbereitungen. Am Montag warfen 21 Mitarbeiter des Organisationsteams hin: Ihr neuer Chef, eingesetzt vor zwei Monaten, bremse die Arbeit.
Kiew hat allerdings bereits Erfahrungen mit Großveranstaltungen. 2005 war die Dreimillionenstadt nach dem Sieg von Sängerin Ruslana schon einmal Gastgeber des ESC. Damals schaffte das Land nach der Orangenen Revolution sogar extra die Visapflicht für Westeuropäer ab. Und 2012 gab die Europameisterschaft im Fußball dem Land einen riesigen Imageschub.
Kiew versucht auch über diese Ereignisse, sich dem Westen anzunähern. Die ukrainische Führung hat sich zum Ziel gesetzt, das Land möglichst zügig in die Europäische Union zu führen. Der Kampf um die Westbindung hat die Ukraine Ende 2013 jedoch in eine tiefe politische Krise gestürzt. Seit drei Jahren kämpfen 700 Kilometer östlich der Hauptstadt im Kriegsgebiet Donbass Regierungstruppen gegen prorussische Separatisten.
Der Konflikt tangiert natürlich auch den Sangeswettbewerb. Russische Medien befürchten, dass Russen im wehrfähigen Alter Ticketkauf und Einreise erschwert werden. Der Geheimdienst in Kiew hat rund 140 russische Künstler wegen „antiukrainischer Handlungen“auf eine schwarze Liste gesetzt. Vizeregierungschef und ESC-Organisator Wjatscheslaw Kirilenko gilt als Hardliner, er will keine Ausnahmen bei den Einreiseverboten machen. Nun befürchten die Veranstalter, dass Moskau einen Befürworter der russischen Annexion der Halbinsel Krim auswählen und so einen Skandal provozieren könnte.
Glanz und Elend
Klitschko hat vorerst noch andere Sorgen und will erst mal die Stadt auf Vordermann bringen: Straßen sollen repariert werden, Grünanlagen neugestaltet und zusätzliche Busse und ein Flusstaxi eingesetzt werden. Selbst Fahrkartenkontrolleure werden zu einem Basiskurs Englisch verdonnert. Der angepeilte Glanz reicht jedoch nur einige Hundert Meter weit. „Weit muss man nicht gehen. Unweit der geplanten Blumenbeete ist das Elend der ukrainischen Hauptstadt in seiner ganzen Pracht zu sehen“, schreibt die Kolumnistin Natalja Mitschkowskaja. Unbeleuchtete Durchgänge und kaputte Rolltreppen machten den Weg zum Hauptbahnhof zu einem Hindernislauf. „Vielleicht sollten der Bürgermeister und seine Stellvertreter wenigstens ein Mal aus ihrem Auto aussteigen und ein paar Dutzend Meter laufen“, schlägt Mitschkowskaja vor.