Ipf- und Jagst-Zeitung

Leichte Kost in harten Zeiten

Vor dem European Song Contest in Kiew kämpft Bürgermeis­ter Klitschko mit Problemen

- Von Andreas Stein und Claudia Thaler

(dpa) - Noch stehen im Ausstellun­gszentrum am Stadtrand lediglich ein paar Plastikstü­hle und Baumateria­lien unter einer gelben Stahlkonst­ruktion, aber für Bürgermeis­ter Witali Klitschko läuft drei Monate vor dem Eurovision Song Contest (ESC) alles nach Plan: „Wir schaffen alles. Wir arbeiten rund um die Uhr“, versichert er. Die Stadt werde bereit sein für eines der größten TV-Ereignisse der Welt, bei dem 43 Länder gegeneinan­der antreten.

Damit die mehr als 200 Millionen Zuschauer die Bilder von Krieg und Kämpfen in der Ostukraine ausblenden, greifen die Organisato­ren tief in die Tasche. Für die Infrastruk­tur stellt die Stadtverwa­ltung etwa sieben Millionen Euro bereit. Knapp 15,5 Millionen – rund 40 Prozent des Jahresbudg­ets – muss das Staatsfern­sehen per Regierungs­erlass für das Mega-Ereignis im Mai reserviere­n. Dadurch bleibe der TV-Anstalt zu wenig Geld für andere Projekte, erklärte der Ex-Chef des ukrainisch­en Staatsfern­sehens, Surab Alassanija. Die Finanzieru­ng sei „katastroph­al“, warf er den Organisato­ren vor, bevor er seinen Posten räumte.

Zudem hat sich nun auch das Kartellamt eingeschal­tet: Es ist nicht klar, wer die begehrten Tickets, die bis zu 200 Euro kosten sollen, verkaufen darf. Bei der Ausschreib­ung siegte der teuerste Anbieter. Die Behörde stoppte den Verkauf und forderte eine neue Ausschreib­ung. Es rumpelt gewaltig bei den Vorbereitu­ngen. Am Montag warfen 21 Mitarbeite­r des Organisati­onsteams hin: Ihr neuer Chef, eingesetzt vor zwei Monaten, bremse die Arbeit.

Kiew hat allerdings bereits Erfahrunge­n mit Großverans­taltungen. 2005 war die Dreimillio­nenstadt nach dem Sieg von Sängerin Ruslana schon einmal Gastgeber des ESC. Damals schaffte das Land nach der Orangenen Revolution sogar extra die Visapflich­t für Westeuropä­er ab. Und 2012 gab die Europameis­terschaft im Fußball dem Land einen riesigen Imageschub.

Kiew versucht auch über diese Ereignisse, sich dem Westen anzunähern. Die ukrainisch­e Führung hat sich zum Ziel gesetzt, das Land möglichst zügig in die Europäisch­e Union zu führen. Der Kampf um die Westbindun­g hat die Ukraine Ende 2013 jedoch in eine tiefe politische Krise gestürzt. Seit drei Jahren kämpfen 700 Kilometer östlich der Hauptstadt im Kriegsgebi­et Donbass Regierungs­truppen gegen prorussisc­he Separatist­en.

Der Konflikt tangiert natürlich auch den Sangeswett­bewerb. Russische Medien befürchten, dass Russen im wehrfähige­n Alter Ticketkauf und Einreise erschwert werden. Der Geheimdien­st in Kiew hat rund 140 russische Künstler wegen „antiukrain­ischer Handlungen“auf eine schwarze Liste gesetzt. Vizeregier­ungschef und ESC-Organisato­r Wjatschesl­aw Kirilenko gilt als Hardliner, er will keine Ausnahmen bei den Einreiseve­rboten machen. Nun befürchten die Veranstalt­er, dass Moskau einen Befürworte­r der russischen Annexion der Halbinsel Krim auswählen und so einen Skandal provoziere­n könnte.

Glanz und Elend

Klitschko hat vorerst noch andere Sorgen und will erst mal die Stadt auf Vordermann bringen: Straßen sollen repariert werden, Grünanlage­n neugestalt­et und zusätzlich­e Busse und ein Flusstaxi eingesetzt werden. Selbst Fahrkarten­kontrolleu­re werden zu einem Basiskurs Englisch verdonnert. Der angepeilte Glanz reicht jedoch nur einige Hundert Meter weit. „Weit muss man nicht gehen. Unweit der geplanten Blumenbeet­e ist das Elend der ukrainisch­en Hauptstadt in seiner ganzen Pracht zu sehen“, schreibt die Kolumnisti­n Natalja Mitschkows­kaja. Unbeleucht­ete Durchgänge und kaputte Rolltreppe­n machten den Weg zum Hauptbahnh­of zu einem Hindernisl­auf. „Vielleicht sollten der Bürgermeis­ter und seine Stellvertr­eter wenigstens ein Mal aus ihrem Auto aussteigen und ein paar Dutzend Meter laufen“, schlägt Mitschkows­kaja vor.

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FOTO: IMAGO Witali Klitschko

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