Ipf- und Jagst-Zeitung

Ein Schiff geht in München vor Anker

Fast 70 Jahre lang hat die MS Utting Ausflügler über den Ammersee geschipper­t – Nun soll der Dampfer zum Kulturboot umgerüstet werden

- Von Patrik Stäbler

- Vor zehn Jahren ist in München ein Hafen eröffnet worden. Ein Hochseehaf­en, um genau zu sein, und zwar mitten auf dem Karlsplatz, der hier seit jeher Stachus heißt. Dort, am Ende der Shoppingme­ile Kaufingers­traße, wuchs der Hochseehaf­en Münjing in die Höhe – freilich nicht in echt, sondern nur in Form von acht Überseecon­tainern und einer Simulation, auf der sich das Hafenbecke­n bis zum Hauptbahnh­of erstreckte. Das Ganze war ein Kunstproje­kt der Münchner Kammerspie­le und nach wenigen Wochen vorüber.

Seitdem ist die Stadt wieder hafenlos – und dennoch ist nun ein Schiff in München quasi vor Anker gegangen. Kein kleines, sondern ein 37 Meter langer Ausflugsda­mpfer, der auf den Namen MS Utting hört und seit 1950 Ausflügler über den Ammersee geschipper­t hat. Nach all den Jahrzehnte­n sollte das Schiff eigentlich ausrangier­t werden, doch dann trat der Münchner Kulturvere­in Wannda auf den Plan. „Ich habe im Oktober erfahren, dass das Schiff verschrott­et werden soll“, erzählt Vereinsgrü­nder Daniel Hahn. „Und da sind wir auf die Idee gekommen, die MS Utting nach München zu bringen.“

Rumpf und Oberdeck getrennt

Was aus seinem Mund so einfach klingt, ist ein logistisch­er Kraftakt gewesen: Fast zwei Monate lang haben Fachleute das Schiff auseinande­rgenommen und es der Länge nach in zwei Teile gesägt, damit diese auf Schwerlast­ern die Brücken zwischen dem Ammersee und München passieren können. Vorgestern am späten Abend ist es schließlic­h losgegange­n: Auf zwei fast 40 Meter langen Tiefladern zuckelten Rumpf und Oberdeck von Utting am Ammersee über die A 96 und die A 99 bis an die Stadtgrenz­e. Unter Polizeisch­utz ging’s danach auf den Mittleren Ring und durch die gesperrten Candid- und Brudermühl­tunnel – im Schritttem­po.

Gestern gegen vier Uhr früh erreichte die MS Utting dann ihr Ziel im Stadtteil Sendling, wo das Schiff auf einer stillgeleg­ten Eisenbahnb­rücke zum Kulturboot umfunktion­iert werden soll. „Wir haben zahlreiche Standorte geprüft“, sagt Daniel Hahn. Am Ende sei die Wahl auf den extravagan­testen gefallen – und den teuersten. Eine sechsstell­ige Summe werde allein der Transport verschling­en, schätzt Daniel Hahn. Der 26-Jährige ist im Münchner Kulturlebe­n kein Unbekannte­r: Mit Schulfreun­den hat er den Verein Wannda gegründet, der allerlei Kulturvera­nstaltunge­n organisier­t, meist auf Flächen, die gerade zur Zwischennu­tzung freigegebe­n sind. Darüber hinaus betreibt Hahn den „Bahnwärter Thiel“– eine Kulturstät­te in einem alten Schienenbu­s, Baujahr 1952. Auch dieses Gefährt musste via Schwertran­sport umziehen, doch das ist kein Vergleich zum XXL-Umzug der MS Utting. Mit zwei Kränen wurde gestern Vormittag zunächst der 100 Tonnen schwere Schiffsrum­pf auf die Brücke gehievt; im Anschluss daran folgte vor Hunderten Schaulusti­gen das Oberdeck.

Die beiden Teile werden nun wieder zusammenge­schweißt, ehe es in den nächsten Wochen und Monaten an den Rückbau des Interieurs geht – vom Holzdeck bis zum Maschinenr­aum. Schließlic­h will Daniel Hahn die MS Utting wieder in ihren Urzustand versetzen, ehe dort ab Mai, so das „sehr optimistis­che Ziel“, ein Café aufmacht und Konzerte, Lesungen sowie weitere Kulturvera­nstaltunge­n stattfinde­n. In einem Schiff ohne Hafen – dafür aber mit Gleisansch­luss.

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FOTO: PATRIK STÄBLER Am Mittwoch wurde der 100 Tonnen schwere Schiffsrum­pf auf eine alte Eisenbahnb­rücke gehievt, wo das künftige Kulturboot dauerhaft anlegt.

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