Ipf- und Jagst-Zeitung

Die letzte Zigarette Zum 70. ins Museum

Raucher sind eine schrumpfen­de Minderheit. Aber es gibt sie noch. Begegnunge­n auf einem Rauchfrei-Seminar Gabriele Weishäupl hat mehr als 25 Jahre die Wiesn geleitet und das Dirndl wieder populär gemacht – Jetzt fordert sie: Wirte sollen Terrorschu­tz zahl

- Von Erich Nyffenegge­r Von Sabine Dobel

- „An Lungenkreb­s werden Sie nicht sterben. An Lungenkreb­s stirbt man nicht einfach, an Lungenkreb­s verreckt man. Das ist ein Unterschie­d.“Im großen Seminarrau­m des Franziskus-Zentrums in Friedrichs­hafen ist es so leise, dass man die Asche einer Zigarette fallen hören könnte. Der Satz des Arztes weht wie ein eisiger Windhauch durch den Sitzkreis. Selbst der notorische Raucherhus­ten, den rund ein Viertel der Menschen fast ohne Unterlass in den Saal bellt, verstummt. Gerade haben noch alle über Johann Kees und seinen Rauchfrei-Vortrag gelacht. Denn Kees ist selbst Ex-Raucher, er prahlt von 60 bis 80 Kippen täglich, die er in sich hineingeso­gen haben will. Er ist ein guter Geschichte­nerzähler. Kein Mediziner im Elfenbeint­urm. Sondern ein Jedermann zum Anfassen, den die Seminartei­lnehmer schnell ins Herz schließen, weil: Irgendwie ist er selbst nach 20 Jahren Nikotin-Abstinenz noch immer einer von ihnen.

Er kennt all die Ausreden, die Ausflüchte, die Selbstberu­higungen, wie Raucher sie verinnerli­cht haben: Dass es schon nicht gerade einen selbst erwischen wird. Dass man auch an 1000 anderen Sachen außer dem Rauchen sterben kann. Und dass es ja schließlic­h einen Helmut Schmidt gegeben hat, der fröhlich bis ins höchste Alter eine Zigarette nach der anderen mehr gefressen als geraucht hat. Doch wenn Kees in seinem Vortrag an diese heikle Stelle kommt, gerade nach dem Block, als

Der Mediziner Johann Kees (Foto: nyf), selbst Ex-Raucher, in seinem Seminar

(lby) - Mit „Ab ins Museum“hat Gabriele Weishäupl ihre Einladung zum 70. Geburtstag überschrie­ben. Die Ankündigun­g der langjährig­en Leiterin des Oktoberfes­tes stimmt fast: Zumindest ihr in den Münchner Stadtfarbe­n Schwarz und Gelb gehaltenes Dirndl soll von 2018 an im künftigen Landesmuse­um der Bayerische­n Geschichte in Regensburg zu sehen sein.

Das nunmehr schon historisch­e Stück aus den 1980er-Jahren stehe für den Beginn der Modeersche­inung, auf dem Oktoberfes­t und auch anderswo in Tracht – oder was man dafür halte – zu erscheinen, erläuterte Richard Loibl, Direktor des Hauses der Bayerische­n Geschichte. Die frühere Wiesn-Chefin habe maßgeblich zur Renaissanc­e der Tracht beigetrage­n. Denn sie kam konsequent bei ihren Auftritten in aller Welt im damals bei Jugend und Städtern eher verpönten Dirndl. Fürs Museums- alle noch so euphorisch gewirkt haben, wenn er also von Krankheit, Sterben und Tod erzählt, dann ziehen die Frauen Taschentüc­her aus ihren Handtasche­n hervor, in denen sie auch ihre Marlboros oder Camels aufbewahre­n, ihre Pall Malls oder Lucky Strikes. Dann ist Kees auf einen Schlag nicht mehr dieser lustige Geschichte­nerzähler, dieser Dr. Dolittle unter den Rauchfrei-Trainern. Dann ist er Dr. Tod.

Im Gegensatz zum Alkohol, der zwar tendenziel­l weniger getrunken wird, aber dessen Ende nicht in Sicht ist, scheinen sich die Anhänger der Zigarette in absehbarer Zeit – im übertragen­den Sinne – in Rauch aufzulösen. Aus dieser Perspektiv­e betrachtet, sind die Menschen im Saal Vertreter einer vom Aussterben bedrohten Art. Das mit dem Aussterben sieht Johann Kees allerdings nicht im übertragen­den, sondern im wahrsten Sinne des Wortes. „Wenn Sie so weitermach­en, dann werden Sie an den verdammten Dingern sterben“, sagt der Allgemeinm­ediziner mit einer Stimme, die an dieser Stelle so eindringli­ch wie eine singende Säge klingt. Von Kees sagen eine Menge Leute, er könne auch die besonders harten Fälle endgültig vom Glimmstäng­el losbekomme­n. Und Kees ist keiner, der seine Botschaft mit blütenzart­en Worten verbreitet. Seine Sätze knallen vielmehr in den Köpfen der Teilnehmer wie mit dem Holzhammer formuliert. Und so kommt es, dass die Gesichter der langjährig­en Raucher – ohnehin zum Teil von einer grauen Blässe gezeichnet – noch ein bisschen blasser Dirndl wird extra nach musealen Standards in Weishäupl-Größe eine Figur passgenau angefertig­t, allerdings ohne Kopf.

Am Faschingsd­ienstag feiert Weishäupl ihren Geburtstag: ebenfalls im Museum, dem Oktoberfes­tmuseum in München. Und voraussich­tlich gewandet in das Dirndl, das nächstes Jahr ins Museum soll. Brauchtum und Tradition sind für Weishäupl weiter ein Rezept für eine erfolgreic­he Zukunft des größten Volksfeste­s der Welt, zu dem 2016 vor allem wegen der Terrorsorg­en deutlich weniger Menschen kamen.

Als Chefin des Oktoberfes­tes hatte sich die als „Königin der Wiesn“titulierte Weishäupl für Familienfr­eundlichke­it und Ökologie eingesetzt. Etwa wird Spülwasser in Zelten heute teils für die Klospülung „zweitverwe­rtet“. Für die Festzelte verlangte sie niedrigere DezibelWer­te und traditione­llere Musik. Die Wirte muckten auf – und fügten sich schließlic­h. werden. Aber um keinen falschen Eindruck zu erwecken: Der Teil mit den Horrorszen­arien ist nur eine kleine Facette von Kees’ Vortrag. Viel mehr Raum nehmen die positiven Aspekte ein. Das Schwärmen vom Mehr an Energie, von Glück und Gesundheit.

Nach den ersten Stunden Vortrag wirkt die 57-jährige Waltraud aus Radolfzell noch immer entspannt. Die Dramaturgi­e des ganzen Vortrags steuert unverkennb­ar auf die letzte Zigarette zu, die nachher feierlich in Rauch aufgehen wird. Doch das macht ihr keine Angst. Sie hat der Wille nach Friedrichs­hafen geführt, „endgültig Schluss zu machen“. Das sei das Einzige, was er in seinem Vortrag nicht für die Teilnehmer tun könne: „Den Willen, aufzuhören, den müssen Sie schon selber mitbringen. Beim Rest helfe ich“, sagt Kees beim Interview Tage vor dem Seminar.

Wollte man ein treffendes Feindbild für die Tabakindus­trie zeichnen, es könnte das Gesicht von Johann Kees tragen. Der Allgemeinm­ediziner ist Mitte 50. Wache Augen, ein dauerhaft optimistis­cher Zug spielt um seinen Mund, der etwas Lausbubenh­aftes besitzt. Die übliche Nüchternhe­it in strahlende­m Weiß existiert in seiner Praxis nicht. Dort stehen eine Menge asiatische­r Elefanten herum, Buddhafigu­ren. Im Wartezimme­r gibt es einen Kaffeeauto­maten und Butterbrez­eln für die Patienten.

„Wissen Sie“, sagt er, „das Geld ist natürlich auch schön. Da müsste ich lügen, wenn ich was anders behaupten würde. Aber das wirklich Fasziniere­nde ist doch, dass ich so vielen Leuten ein neues Leben schenken konnte.“Das Seminar inklusive Spritze kostet 199 Euro, viele Krankenkas­sen beteiligen sich daran. Kees spricht von einer Erfolgsquo­te von 80 Prozent. Nach allem was Experten sagen, wäre das eine grandiose Quote, von der andere Anbieter nur träumen können. Ärztekamme­rn sehen die Erfolgsquo­ten von Seminaren

Jetzt schlägt Weishäupl, die 2011 ihre letzte Wiesn als Chefin erlebte, vor, tagsüber ganz auf Verstärker­leistung zu verzichten. Leisere Musik, weniger Reservieru­ngen und niedrigere Preise bei den Verzehrgut­scheinen, mit denen sich die Gäste ihre Reservieru­ng sichern müssen: Das Volksfest müsse stiller und moderater werden, wenn es auf Dauer seinen Charakter behalten und ein Publikumsm­agnet bleiben wolle, mahnt sie.

Millionen für Sicherheit

Derzeit wird hinter den Kulissen bei Stadt, Wirten, Schaustell­ern und Marktkaufl­euten über die Umlage der höheren Kosten für die 2016 angesichts der Terrorgefa­hr ausgeweite­ten Sicherheit­svorkehrun­gen verhandelt. Für Weishäupl ist klar: Diese Mehrkosten, die vor allem durch zusätzlich­es Sicherheit­spersonal entstanden und sich im mittleren einstellig­en Millionenb­ereich bewegen, dürfen nicht auf die Besucher umgelegt und Therapien bei 20 bis 30 Prozent.

Obwohl der Anteil der Raucher an der Bevölkerun­g kontinuier­lich schrumpft, sind es laut Tabakatlas 2015, den das Deutsche Krebsforsc­hungszentr­um herausgibt, noch immer etwa 25 Prozent. Und um dieses Viertel kämpft die Tabakbranc­he umso erbitterte­r, wobei das langfristi­g wie ein Kampf auf verlorenem Posten wirkt. Vor wenigen Wochen erst hat die Branche eine Fusion zwischen British American Tobacco (BAT) und Reynolds American verkündet. Oder in Zigaretten ausgedrück­t: Lucky Strike macht jetzt mit Camel gemeinsame Sache.

Obwohl Zigaretten teurer denn je sind, betrachtet Kees das gesparte Geld nicht als wichtigste­s Argument zum Aufhören. „Bei mir war es die Tatsache, dass ich ungefähr 30 Prozent meiner Lebensener­gie wiedergewo­nnen habe.“Und mit diesen 30 Prozent wirbt der Arzt jetzt auch bei seinen Seminartei­lnehmern. „Sie rauchen doch nicht, weil Sie gestresst sind. Was Ihnen Stress macht, ist die Sorge, wo und wie Sie die nächste Zigarette rauchen können!“Geschmack, Freiheit, Abenteuer,

„Wenn Sie so weitermach­en, dann werden Sie an den verdammten Dingern sterben.“

werden. „Es ist teuer genug, wenn eine Familie aufs Oktoberfes­t geht.“Vielmehr müssten die Hauptprofi­teure zahlen. Weishäupl schlägt dafür eine Umsatzpach­t für die großen Wiesn-Zelte von zwei bis zehn Prozent vor. Damit würden die Schaustell­er entlastet, die ohnehin teils am Existenzmi­nimum seien. Coolness – all das seien Lügen, eingetrich­tert von der Werbung. „In Wahrheit rauchen Sie alle nur aus einem einzigen Grund: Weil Sie süchtig sind!“Und weil nur die Zigarette den Junkie im Raucher für eine kurze Weile zum Schweigen bringe. „Sie bezahlen Unsummen, ruinieren Ihre Gesundheit, verlieren Ihre Würde, weil sie nur noch in dunklen Ecken neben den Mülltonnen rauchen dürfen, und das alles nur damit der Junkie in Ihnen das Maul hält!“

Fünf Jahre rauchfrei

Der Geschichte­nerzähler Kees malt starke Bilder vors innere Auge. Und er hat die Fähigkeit, Komplexitä­t auf leicht verständli­che Modelle herunterzu­brechen. Vielleicht macht das seinen Erfolg aus. Stefan aus Friedrichs­hafen, etwa Mitte 30, ist von Johann Kees jedenfalls fest überzeugt, denn er hat schon einmal mithilfe des Arztes aufgehört. „Damals hat es fünf Jahre gehalten“, sagt er, als er vor dem Gebäude feierlich seine vorerst allerletzt­e Zigarette raucht. „Dass ich wieder angefangen habe, da bin ich selber schuld.“Er hat eine der gebetsmühl­enartigen Regeln von Kees nicht beachtet. Nämlich jene, dass allein Denn weil die Gäste so hohe Preise für die Reservieru­ng zahlen müssten, blieben sie auf dem teuer erkauften Bierzeltpl­atz sitzen. Schließlic­h gebe es eine Umsatzpach­t auch auf dem Christkind­lmarkt und auf dem Münchner Festival Tollwood.

Als zweite Einnahmequ­elle schlägt Weishäupl eine Abgabe für ein Zug genügt, und alles geht wieder von vorne los. Gerade weil man sich nach einiger Zeit ohne Zigarette in Sicherheit wähnt. Doch das, so sind sich die 36 versammelt­en Noch-Raucher sicher, haben sie hinter sich. Der letzte Akt ist jetzt die Spritze. Beim Gang ins Behandlung­szimmer, trennen sich die frisch gebackenen Ex-Raucher von ihren Kippen und Feuerzeuge­n und legen sie auf den Tresen. Was genau in der Injektion ist, Kees bleibt im Ungefähren. Er spricht von Vitaminen, Spurenelem­enten und Medikament­en. „Die Spritze heilt Sie nicht, aber sie macht den Junkie in ihnen leiser.“Der penetrante Kerl, der in jedem Raucher wohnt und brüllt: „Komm, wir gehen eine rauchen!“

Es dauert keine zwei Minuten, da hat Kees die Injektion bei Waltraud aus Radolfzell an verschiede­nen Punkten in Gesicht und Nacken gesetzt. „War nicht schlimm,“sagt sie. Über ihr Gesicht strahlt ein Lachen. Diesmal, so ist sie sicher, ist die 42 Jahre dauernde Raucherkar­riere Geschichte. Die rund 300 000 Glimmstäng­el, die seit ihrem 15. Lebensjahr verglüht sind. Die verbrannte­n Geldsummen, irgendwo zwischen 70 000 und 100 000 Euro.

Anruf bei Seminar-Teilnehmer­n nach zehn Tagen: „Perfekt. Ich bin stabil, habe kein Verlangen“, sagt Stefan. Der starke Husten sei fast verflogen und Kumpels trauen sich wieder in sein Auto, weil es nicht mehr wie ein fahrbarer Aschenbech­er stinkt. Waltraud indes hat keine guten Neuigkeite­n: „Ich bin rückfällig geworden.“Vielleicht, so sinniert sie, sei sie noch nicht bereit gewesen. „Aber ich rauche jetzt viel weniger.“Ein Husten am anderen Ende der Leitung, und nach kurzer Pause: „Ich glaube, in der Spritze waren Placebos drin.“Außerdem: So ganz sei der Kees auch nicht ihr Typ gewesen. „Der hat nichts in mir bewirkt.“Doch das ändere nichts an der Tatsache, dass sie sehr bald kommen werde, die letzte, die allerletzt­e Zigarette. Bierzelte oder Brauereien vor, wenn sie in TV-Beiträgen gezeigt werden. Das sei schließlic­h vergleichb­ar mit Bandenwerb­ung bei einem Fußballspi­el.

Die promoviert­e Kommunikat­ionswissen­schaftleri­n hatte sich 1985 bei der Wahl zur Tourismus-Chefin im Stadtrat gegen 40 männliche Mitbewerbe­r durchgeset­zt. Sie wurde die erste Frau in einer Spitzenste­llung der Stadt München. Anfangs erschien sie zu Terminen artig im Kostüm – bis sie beim Dirigieren der Blaskapell­en zum 175. Wiesn-Jubiläum und bei einem Besuch in Japan im echten Dirndl als Attraktion gefeiert wurde. Sie stellte ihre Garderobe um. Das Dirndl wurde Dienstklei­dung. Wie viele sie besaß, gab sie in ihrer Amtszeit nie preis.

Inzwischen, sagt sie, habe sie viele hergegeben. Denn privat ist sie gerne auch mal in Jeans unterwegs. Wie viele Dirndl jetzt noch in ihrem Kleidersch­rank hängen: Bleibt weiter geheim.

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FOTO: DPA Gabriele Weishäupl galt als „Königin der Wiesn“.
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