Schulz will auch um AfD-Wähler kämpfen
SPD-Kanzlerkandidat im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“– Kritik von Grünen
- Erster Vorgeschmack auf den Bundestagswahlkampf: Vor dem politischen Aschermittwoch in Baden-Württemberg und Bayern hat SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz angekündigt, auch die Stimmen von bisherigen AfD-Wählern gewinnen zu wollen. „Die SPD muss um jede Wählerin und jeden Wähler kämpfen“, sagte Schulz im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“. Man könne sicherlich keine Rechtsradikalen überzeugen, aber die anderen zurückzugewinnen, sei sein Ziel. Der SPD-Politiker wird heute im bayerischen Vilshofen erwartet.
Schulz wandte sich auch gegen den Eindruck, er betrachte die Agenda-2010-Reformen im Ganzen als Fehler. „Diesen Eindruck habe ich nicht erweckt – auch wenn mir das immer wieder unterstellt wird“, sagte Schulz. „Es gab bei der Agenda 2010 einige Ungerechtigkeiten, die wir zum Teil schon korrigiert haben – etwa durch die Einführung des Mindestlohns.“Zugleich warnte er vor Steuerentlastungen auf breiter Front und forderte stattdessen Investitionen. „Ich will, dass dieses blühende Land stark bleibt“, sagte der SPD-Kanzlerkandidat.
Die Grünen, die in Baden-Württemberg traditionell in Biberach zum politischen Aschermittwoch zusammenkommen, äußerten am Dienstag Kritik an Schulz’ Aussagen zur Agenda 2010. Kerstin Andreae, Vizefraktionschefin der Grünen im Bundestag, sagte, der SPD-Kandidat müsse aufpassen, „dass er die Populismus-Karte nicht zu oft spielt“. „Wenn Schulz sich jetzt zum Oppositionspolitiker aufschwingt und die Tatsache ignoriert, dass man in den vergangenen zehn Jahren auch in der Regierungsverantwortung war, werden die Menschen das bald durchschauen“, sagte die Bundestagsabgeordnete aus Freiburg der „Schwäbischen Zeitung“.
Die Grünen haben nach der Nominierung von Schulz in den Umfragen verloren und kommen aktuell auf sieben Prozent. Andreae forderte ihre Partei deshalb auf zu zeigen, „dass wir nicht Teil eines politischen Lagers sind, sondern dass wir eigenständig um grüne Inhalte kämpfen und der Garant dafür sind, dass es nicht wieder zu einer Großen Koalition kommt“.
- Ihre Partei habe sich zu lange mit ihren internen Problemen beschäftigt, räumt die Vizefraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Kerstin Andreae, im Gespräch mit Alexei Makartsev ein. Die Freiburger Abgeordnete sieht den Weg hinaus aus dem Umfragetief in einer eigenständigen Haltung der Grünen, die von Geschlossenheit, Humor und Coolness geprägt sei.
EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) sagte kürzlich: „Wenn zwei Elefanten im Raum stehen, haben die Mäuse ein Problem.“Fühlen Sie sich wie eine Maus wegen des Umfragehochs der SPD?
Dass die Sozialdemokraten im Aufwind sind, freut uns. Jahrelang waren die Umfragen wie festgefahren, und man hatte das Gefühl, dass sich nichts ändert. Nun gibt es wieder eine politische Auseinandersetzung und eine Alternative zur Union. Ich fühle mich keineswegs wie eine Maus, und ich bin gelassen, weil ich nicht glaube, dass der Hype um Martin Schulz anhalten wird.
Was wollen die Grünen dem Kandidaten Schulz entgegensetzen?
Es gelingt ihm im Augenblick, die enttäuschten SPD-Wähler zurückzuholen. Aber er muss aufpassen, dass er die Populismus-Karte nicht zu oft spielt. So macht er es sich bei der Debatte um die Agenda 2010 zu einfach. Sie war ein rot-grünes Projekt. Wenn Schulz sich jetzt zum Oppositionspolitiker aufschwingt und die Tatsache ignoriert, dass man in den vergangenen zehn Jahren auch in der Regierungsverantwortung war, werden die Menschen das bald durchschauen. Ich halte es für falsch, sich bei der Agenda 2010 in die Büsche zu schlagen. Korrekturen sind allerdings notwendig. Für uns Grüne ist zudem wichtig, dass der SPDKandidat bei Umweltthemen völlig blank ist. Der Schulz-Zug hat im Moment Tempo drauf, aber er fährt mit Kohle, also ökologisch gesehen in die falsche Richtung.
Die Umfragen bieten den Grünen seit Wochen keinen Grund mehr zur Freude. Wie will Ihre Partei aus diesem Stimmungstief wieder herauskommen?
Indem wir ruhig bleiben, geschlossen auftreten und unseren Humor, aber auch unsere Coolness zeigen. Die Spitzenkandidaten der Grünen haben einen klaren Auftrag: zu zei- gen, dass wir nicht Teil eines politischen Lagers sind, sondern dass wir eigenständig um grüne Inhalte kämpfen und der Garant dafür sind, dass es nicht wieder zu einer Großen Koalition kommt.
Parteichef Cem Özdemir sieht einen Grund der grünen Schwäche darin, dass Ihre Partei bislang zu sehr mit sich selbst beschäftigt war. Teilen Sie diese Diagnose?
Ja. Es ist wichtig, dass wir hinaus zu den Menschen gehen und für unsere Positionen werben, und zwar nicht akademisch, sondern im Dialog.
Die Grünen sind über die Abschiebungen von Flüchtlingen nach Afghanistan gespalten. Özdemir lehnt diese ab, Ministerpräsident Winfried Kretschmann ist nicht grundsätzlich dagegen. Warum fällt es Ihrer Partei so schwer, sich auf einen einheitlichen Kurs zu einigen?
Abschiebungen nach Afghanistan sind hochproblematisch. Der Ball liegt bei der Bundesregierung. Warum legt sie eine Sicherheitsbewertung für Afghanistan vor, die Abschiebungen ermöglicht, während das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) und das Deutsche Rote Kreuz das Land für unsicher halten? Zudem: Es kann nicht sein, dass die SPD-Ministerpräsidenten einen dreimonatigen Abschiebestopp ausrufen, aber gleichzeitig keinen Druck auf ihre eigene Bundesregierung ausüben, die Sicherheitslage neu zu bewerten. Ministerpräsident Kretschmann hat sich deshalb an die Bundesregierung gewandt. Er hat an Außenminister Sigmar Gabriel geschrieben und einen Rechtsrahmen gefordert, der es uns auch ermöglichen würde, Abschiebungen zu verhindern. Aber von Gabriel kommt nichts.
Zum Thema innere Sicherheit: Ihre politische Konkurrenz setzt Verschärfungen des Asylrechts und der Polizeigesetze durch. Die Grünen halten sich in diesen Fragen zurück. Ist das ratsam?
Es ist die fundamentale Aufgabe des Staates, für Sicherheit zu sorgen. Aber eben auch die Rechte seiner Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Da muss es eine Balance geben. Schauen Sie sich die Lage in der Türkei an, wo im Namen der Sicherheit sämtliche Freiheiten mit Füßen getreten werden. Die Grünen werden sich gegen nichts stellen, was sowohl von der Verfassung gedeckt ist als auch tatsächlich zur Verstärkung der Sicherheit beiträgt. Aktionismus ist hier nicht angebracht, er ist kein guter Ratgeber für die Politik.
Rot-Rot-Grün hätte laut den letzten Umfragen gerade eine knappe Mehrheit. Wer stünde den Grünen näher, Kanzler Schulz oder doch Kanzlerin Merkel?
Merkel macht einiges richtig, aber auch Kanzlerkandidat Schulz hat einige gute Ideen. Beide haben allerdings auch Positionen, mit denen ich nicht einverstanden bin. Die CDU hat zudem die CSU im Schlepptau, deren harte und restriktive Politik die Grünen ablehnen. Bei Rot-RotGrün hätte man aber die Linke dabei, deren Außenpolitik für uns nicht machbar ist. Unser grünes Markenzeichen ist die Eigenständigkeit, wir trotten nicht einfach hinterher. In welche Koalition wir in sieben Monaten gehen, entscheidet sich nach den Inhalten, nicht nach Umfragen.
Ist Grün-Schwarz im Land ein gelungenes Vorbild für den Bund?
Wenn die Grünen vorne sind, ist es immer gut.