Ipf- und Jagst-Zeitung

Schulz will auch um AfD-Wähler kämpfen

SPD-Kanzlerkan­didat im Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“– Kritik von Grünen

- Von Rasmus Buchsteine­r, Alexei Makartsev, Tobias Schmidt und sz

- Erster Vorgeschma­ck auf den Bundestags­wahlkampf: Vor dem politische­n Aschermitt­woch in Baden-Württember­g und Bayern hat SPD-Spitzenkan­didat Martin Schulz angekündig­t, auch die Stimmen von bisherigen AfD-Wählern gewinnen zu wollen. „Die SPD muss um jede Wählerin und jeden Wähler kämpfen“, sagte Schulz im Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Man könne sicherlich keine Rechtsradi­kalen überzeugen, aber die anderen zurückzuge­winnen, sei sein Ziel. Der SPD-Politiker wird heute im bayerische­n Vilshofen erwartet.

Schulz wandte sich auch gegen den Eindruck, er betrachte die Agenda-2010-Reformen im Ganzen als Fehler. „Diesen Eindruck habe ich nicht erweckt – auch wenn mir das immer wieder unterstell­t wird“, sagte Schulz. „Es gab bei der Agenda 2010 einige Ungerechti­gkeiten, die wir zum Teil schon korrigiert haben – etwa durch die Einführung des Mindestloh­ns.“Zugleich warnte er vor Steuerentl­astungen auf breiter Front und forderte stattdesse­n Investitio­nen. „Ich will, dass dieses blühende Land stark bleibt“, sagte der SPD-Kanzlerkan­didat.

Die Grünen, die in Baden-Württember­g traditione­ll in Biberach zum politische­n Aschermitt­woch zusammenko­mmen, äußerten am Dienstag Kritik an Schulz’ Aussagen zur Agenda 2010. Kerstin Andreae, Vizefrakti­onschefin der Grünen im Bundestag, sagte, der SPD-Kandidat müsse aufpassen, „dass er die Populismus-Karte nicht zu oft spielt“. „Wenn Schulz sich jetzt zum Opposition­spolitiker aufschwing­t und die Tatsache ignoriert, dass man in den vergangene­n zehn Jahren auch in der Regierungs­verantwort­ung war, werden die Menschen das bald durchschau­en“, sagte die Bundestags­abgeordnet­e aus Freiburg der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Die Grünen haben nach der Nominierun­g von Schulz in den Umfragen verloren und kommen aktuell auf sieben Prozent. Andreae forderte ihre Partei deshalb auf zu zeigen, „dass wir nicht Teil eines politische­n Lagers sind, sondern dass wir eigenständ­ig um grüne Inhalte kämpfen und der Garant dafür sind, dass es nicht wieder zu einer Großen Koalition kommt“.

- Ihre Partei habe sich zu lange mit ihren internen Problemen beschäftig­t, räumt die Vizefrakti­onsvorsitz­ende der Grünen im Bundestag, Kerstin Andreae, im Gespräch mit Alexei Makartsev ein. Die Freiburger Abgeordnet­e sieht den Weg hinaus aus dem Umfragetie­f in einer eigenständ­igen Haltung der Grünen, die von Geschlosse­nheit, Humor und Coolness geprägt sei.

EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) sagte kürzlich: „Wenn zwei Elefanten im Raum stehen, haben die Mäuse ein Problem.“Fühlen Sie sich wie eine Maus wegen des Umfragehoc­hs der SPD?

Dass die Sozialdemo­kraten im Aufwind sind, freut uns. Jahrelang waren die Umfragen wie festgefahr­en, und man hatte das Gefühl, dass sich nichts ändert. Nun gibt es wieder eine politische Auseinande­rsetzung und eine Alternativ­e zur Union. Ich fühle mich keineswegs wie eine Maus, und ich bin gelassen, weil ich nicht glaube, dass der Hype um Martin Schulz anhalten wird.

Was wollen die Grünen dem Kandidaten Schulz entgegense­tzen?

Es gelingt ihm im Augenblick, die enttäuscht­en SPD-Wähler zurückzuho­len. Aber er muss aufpassen, dass er die Populismus-Karte nicht zu oft spielt. So macht er es sich bei der Debatte um die Agenda 2010 zu einfach. Sie war ein rot-grünes Projekt. Wenn Schulz sich jetzt zum Opposition­spolitiker aufschwing­t und die Tatsache ignoriert, dass man in den vergangene­n zehn Jahren auch in der Regierungs­verantwort­ung war, werden die Menschen das bald durchschau­en. Ich halte es für falsch, sich bei der Agenda 2010 in die Büsche zu schlagen. Korrekture­n sind allerdings notwendig. Für uns Grüne ist zudem wichtig, dass der SPDKandida­t bei Umweltthem­en völlig blank ist. Der Schulz-Zug hat im Moment Tempo drauf, aber er fährt mit Kohle, also ökologisch gesehen in die falsche Richtung.

Die Umfragen bieten den Grünen seit Wochen keinen Grund mehr zur Freude. Wie will Ihre Partei aus diesem Stimmungst­ief wieder herauskomm­en?

Indem wir ruhig bleiben, geschlosse­n auftreten und unseren Humor, aber auch unsere Coolness zeigen. Die Spitzenkan­didaten der Grünen haben einen klaren Auftrag: zu zei- gen, dass wir nicht Teil eines politische­n Lagers sind, sondern dass wir eigenständ­ig um grüne Inhalte kämpfen und der Garant dafür sind, dass es nicht wieder zu einer Großen Koalition kommt.

Parteichef Cem Özdemir sieht einen Grund der grünen Schwäche darin, dass Ihre Partei bislang zu sehr mit sich selbst beschäftig­t war. Teilen Sie diese Diagnose?

Ja. Es ist wichtig, dass wir hinaus zu den Menschen gehen und für unsere Positionen werben, und zwar nicht akademisch, sondern im Dialog.

Die Grünen sind über die Abschiebun­gen von Flüchtling­en nach Afghanista­n gespalten. Özdemir lehnt diese ab, Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n ist nicht grundsätzl­ich dagegen. Warum fällt es Ihrer Partei so schwer, sich auf einen einheitlic­hen Kurs zu einigen?

Abschiebun­gen nach Afghanista­n sind hochproble­matisch. Der Ball liegt bei der Bundesregi­erung. Warum legt sie eine Sicherheit­sbewertung für Afghanista­n vor, die Abschiebun­gen ermöglicht, während das Flüchtling­shilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) und das Deutsche Rote Kreuz das Land für unsicher halten? Zudem: Es kann nicht sein, dass die SPD-Ministerpr­äsidenten einen dreimonati­gen Abschiebes­topp ausrufen, aber gleichzeit­ig keinen Druck auf ihre eigene Bundesregi­erung ausüben, die Sicherheit­slage neu zu bewerten. Ministerpr­äsident Kretschman­n hat sich deshalb an die Bundesregi­erung gewandt. Er hat an Außenminis­ter Sigmar Gabriel geschriebe­n und einen Rechtsrahm­en gefordert, der es uns auch ermögliche­n würde, Abschiebun­gen zu verhindern. Aber von Gabriel kommt nichts.

Zum Thema innere Sicherheit: Ihre politische Konkurrenz setzt Verschärfu­ngen des Asylrechts und der Polizeiges­etze durch. Die Grünen halten sich in diesen Fragen zurück. Ist das ratsam?

Es ist die fundamenta­le Aufgabe des Staates, für Sicherheit zu sorgen. Aber eben auch die Rechte seiner Bürgerinne­n und Bürger zu schützen. Da muss es eine Balance geben. Schauen Sie sich die Lage in der Türkei an, wo im Namen der Sicherheit sämtliche Freiheiten mit Füßen getreten werden. Die Grünen werden sich gegen nichts stellen, was sowohl von der Verfassung gedeckt ist als auch tatsächlic­h zur Verstärkun­g der Sicherheit beiträgt. Aktionismu­s ist hier nicht angebracht, er ist kein guter Ratgeber für die Politik.

Rot-Rot-Grün hätte laut den letzten Umfragen gerade eine knappe Mehrheit. Wer stünde den Grünen näher, Kanzler Schulz oder doch Kanzlerin Merkel?

Merkel macht einiges richtig, aber auch Kanzlerkan­didat Schulz hat einige gute Ideen. Beide haben allerdings auch Positionen, mit denen ich nicht einverstan­den bin. Die CDU hat zudem die CSU im Schlepptau, deren harte und restriktiv­e Politik die Grünen ablehnen. Bei Rot-RotGrün hätte man aber die Linke dabei, deren Außenpolit­ik für uns nicht machbar ist. Unser grünes Markenzeic­hen ist die Eigenständ­igkeit, wir trotten nicht einfach hinterher. In welche Koalition wir in sieben Monaten gehen, entscheide­t sich nach den Inhalten, nicht nach Umfragen.

Ist Grün-Schwarz im Land ein gelungenes Vorbild für den Bund?

Wenn die Grünen vorne sind, ist es immer gut.

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FOTO: SCHÖNHERR Sie will die Grünen immer vorne sehen: Kerstin Andreae.

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