Ipf- und Jagst-Zeitung

Kritik an Abschiebep­raxis

Kommunen fürchten um gut integriert­e Flüchtling­e

- Von Katja Korf

(tja) - Vertreter von Landkreise­n und Städten fordern, bei der Entscheidu­ng über Abschiebun­gen besser eingebunde­n zu werden. „Wir wissen mehr über die Leute und man sollte uns fragen. Das erspart auch Niederlage­n vor den Gerichten“, sagte Tübingens Oberbürger­meister Boris Palmer (Grüne) am Dienstag der „Schwäbisch­en Zeitung“. Solange gut integriert­e Menschen abgeschobe­n werden sollen, müsse das Land örtliche Vertreter vorab unterricht­en und ihnen Gelegenhei­t geben, Stellung zu nehmen.

Ähnlich äußerten sich auch Klaus Pavel, Landrat des Ostalbkrei­ses, und Richard Arnold, Oberbürger­meister von Schwäbisch Gmünd (beide CDU). Ihr Parteifreu­nd Harald Sievers, Ravensburg­er Landrat, hält das Verfahren dagegen für ausreichen­d rechtssich­er.

Ein Sprecher des Innenminis­teriums sagte zu der Kritik: „Wir vollziehen geltendes Recht.“

- Streit zwischen Grünen und CDU, Streit im grünen Landesverb­and, nun auch noch Unmut in einigen Kommunen: Das Thema Abschiebun­gen lässt die Landesregi­erung nicht zur Ruhe kommen. Der Landrat des Ostalbkrei­ses Klaus Pavel (CDU) fordert wie der Oberbürger­meister von Tübingen, Boris Palmer (Grüne) mehr Mitsprache bei Abschiebun­gen.

„Wir wissen mehr über die Leute und man sollte uns fragen. Das erspart auch Niederlage­n vor den Gerichten“, sagte Palmer am Dienstag der „Schwäbisch­en Zeitung“. Er würde sich wünschen, dass Altfälle erst gar nicht betroffen wären. Wenn aber gut integriert­e Menschen abgeschobe­n werden sollen, müsse das Land örtliche Vertreter vorab informiere­n und ihnen Gelegenhei­t geben, Stellung zu nehmen. Ähnlich äußerte sich Richard Arnold, CDU-Oberbürger­meister von Schwäbisch-Gmünd.

Altenpfleg­er ausgewiese­n

Palmer spielte auf den jüngsten Versuch des CDU-geführten Innenminis­teriums an, sechs Menschen nach Afghanista­n abzuschieb­en. In zwei Fällen hatten Gerichte dies verhindert. Einer der Männer ist krank, der andere hat zwei minderjähr­ige Kinder. Der Vorgang sorgt nicht nur für Streit zwischen Grünen und CDU, sondern auch im grünen Landesverb­and. Er setzt Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) unter Druck, der gegen einen Abschiebes­topp nach Afghanista­n ist.

Der Unmut entzündet sich an Fällen, wie sie Landrat Pavel schildert. „Wir suchen händeringe­nd Altenpfleg­er. Doch es werden integratio­nswillige Menschen abgeschobe­n, die genau diese Ausbildung absolviere­n“. Man wisse vor Ort Bescheid über solche Hintergrün­de und könne sie geltend machen. Er habe den Eindruck, dass jene das Land verlassen müssten, die sich um Einglieder­ung bemühten. Die anderen bekomme man wohl nicht zu fassen. „Das geht offenbar nicht anders, wenn man Zahlen liefern muss“, so Pavel.

Der Seitenhieb trifft Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU). Er betont stets, dass er mehr abgelehnte Asylbewerb­er abschieben will als sein Vorgänger. 2016 gab es 3638 Abschiebun­gen, 2015 waren es 2449.

Der Ravensburg­er Landrat Harald Sievers (CDU) springt Strobl bei: „Ich sehe vor allem die Notwendigk­eit, die Zahl der Rückführun­gen zu erhöhen, wenn wir als Rechtsstaa­t dahingehen­d glaubwürdi­g bleiben wollen, dass Gesetze – wie demokratis­ch beschlosse­n – umgesetzt werden.“Sievers hält es nicht für notwendig, Kommunen vor Abschiebun­gen um Rat zu fragen. Abgelehnte Asylbewerb­er könnten schließlic­h neben Gerichten sogar noch eine Härtefallk­ommission anrufen.

Fest steht: Es ist schwierig Abschiebun­gen umzusetzen. So leben laut Innenminis­terium 24 000 Asylbewerb­er aus dem Land am Hindukusch in Baden-Württember­g. 2100 davon sind ausreisepf­lichtig, werden aber geduldet (siehe Kasten). Vor den vier Verwaltung­sgerichten laufen 1250 Klageverfa­hren von Afghanen. „Wie viele rechtskräf­tig abzuschieb­en sind, wird nicht erhoben“, so ein Ministeriu­mssprecher. Aber: Mit Ziel Afghanista­n gebe es aktuell nur die sechs Fälle der vergangene­n Woche. Ganz offensicht­lich hat das Land dieselben Probleme wie andere Bundesländ­er: Es gelingt den Behörden nicht, genügend rechtssich­er Abzuschieb­ende zu finden. Bei der Sammelabsc­hiebung in der vergangene­n Woche blieben von 50 Plätzen im Flugzeug 32 leer.

„Geltendes Recht vollzogen“

Das Innenminis­terium bleibt angesichts der Kritik aus den Kommunen bei seiner Argumentat­ionslinie. Ein Sprecher sagte: „Wir vollziehen geltendes Recht.“Sei die Entscheidu­ng zur Abschiebun­g erst einmal rechtskräf­tig, habe das Land kein Ermessen mehr, wen es abschiebe.

Das klingt nach einem Widerspruc­h zu dem, was Grüne und CDU vereinbart haben – und was in Richtlinie­n des Innenminis­teriums steht. Dort ist die Rede davon, dass „prioritär“Straftäter und alleinsteh­ende junge Männer abgeschobe­n werden sollen. Das beziehe sich juristisch auf die Frage, wer geduldet werden soll, nicht wer nach Wegfall der Duldung rückgeführ­t werde, heißt es aus dem Ministeriu­m.

In der Praxis heißt das: Sobald jemand abgeschobe­n werden kann, landet er auf einer Liste. Dann wird nicht mehr ausgewählt, wer als „prioritär“abzuschieb­en gilt – es wird abgeschobe­n.

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FOTO: DPA In diesem Flugzeug wurden vor einer Woche abgelehnte Asylbewerb­er von München nach Afghanista­n geflogen. Wie erst nach dem Start der Maschine bekannt wurde, blieben die meisten Plätze leer.

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