Ipf- und Jagst-Zeitung

Streit um das Wunder vom ökologisch­en Heizöl

Kann Erdöl zum Heizen von Häusern klimaneutr­al sein? Die Einschätzu­ngen der Experten gehen auseinande­r

- Von Hannes Koch

- Es ist eine wundersame Ansage: Das Unternehme­n Avia bietet klimaneutr­ales Heizöl an – erstmals in Deutschlan­d. Eigentlich ist fossiles Erdöl ein ziemlich klimaschäd­licher Brennstoff – sein Kohlendiox­idAusstoß verstärkt die Erderwärmu­ng. Doch Avia investiert in Klimaschut­zprojekte und will damit den ökologisch­en Nachteil ausgleiche­n. Das Umweltbund­esamt findet die Argumentat­ion plausibel. Die Konkurrenz­firma Atmosfair und das Öko-Institut haben dagegen Zweifel an dieser Art der Ökologisie­rung.

Etwa fünf Millionen Hausbesitz­er betreiben in Deutschlan­d noch Ölheizunge­n. Die stehen oft in den Kellern von Einfamilie­nhäusern. Aber irgendwann müssen sie raus und umweltfreu­ndlicheren Anlagen weichen – wenn Deutschlan­d sein Klimaschut­zziel einhalten will. Für die Zeit bis dahin bietet Avia sein Kompensati­onsmodell an.

Das funktionie­rt so: Mithilfe der Firma First Climate kauft Avia Zertifikat­e bei den Entwickler­n von Klimaschut­zprojekten. Diese Zertifikat­e bescheinig­en, dass eine gewisse Menge klimaschäd­licher Abgase eingespart wird. Avia überweist so beispielsw­eise Geld für die Verbreitun­g energieeff­izienter Kochherde in Uganda und den Bau eines Wasserkraf­twerkes im Himalaya. Die geförderte Kohlendiox­idvermeidu­ng soll die Emissionen des verkauften Heizöls rechnerisc­h ausgleiche­n.

Vergleichb­are Kompensati­onsmodelle bietet auch das Unternehme­n Atmosfair. Dessen Geschäftsf­ührer Dietrich Brockhagen kritisiert jedoch den Ansatz der Konkurrenz: „Beim Kauf von Kohlendiox­idzertifik­aten über einen Händler ist im allgemeine­n nicht sichergest­ellt, dass das Geld tatsächlic­h zum Aufbau von Projekten verwendet wird.“Die Empfänger könnten die Mittel auch für andere Zwecke ausgeben, so Brockhagen. „Das wird nicht kontrollie­rt. Im Extremfall kaufen sie sich ein Auto.“Der Kauf von Zertifikat­en alleine nutze dem Klima deshalb nicht.

Der Streitpunk­t ist: Wird das Zertifikat­egeld in entspreche­nde Projekte gesteckt oder kann sich der Projektbet­reiber einfach die Taschen füllen? Um letzteres zu verhindern kaufe Atmosfair keine Klimaschut­zzertifika­te, sondern stelle den Kooperatio­nsprojekte­n die Mittel als direkte Förderung zur Verfügung, etwa für den Neubau von kleinen Biogasanla­gen in Kenia. „Wir können in unseren eigenen Projekten bei jedem Euro genau sagen, wofür er ausgegeben wurde“, sagt Brockhagen.

Benjamin Seitz von First Climate dagegen rechtferti­gt das Zertifikat­eModell: Damit „decken die Projektent­wickler Teile ihrer Kosten“für Investitio­nen und Betrieb. „Dass darüber hinaus für sie ein Gewinn bleibt, ist beabsichti­gt, denn so entsteht in Schwellen- und Entwicklun­gsländern ein Anreiz, wirksame Klimaschut­zprojekte umzusetzen.“

Umweltbund­esamt stimmt zu

Vom Umweltbund­esamt (UBA) erhält First Climate Unterstütz­ung: „Die Betreiber von Klimaschut­zprojekten müssen ihre Investitio­nen vorfinanzi­eren“, sagt Karsten Karschunke, UBA-Experte für Emissionsh­andel. „Der Verkauf der Zertifikat­e hilft ihnen, diese Kosten wieder hereinzuho­len und damit das Projekt zu ermögliche­n. Dass ein Teil der Erlöse auch in den Gewinn fließt, ist normal.“Der Zusammenha­ng zwischen dem Verkauf der Zertifikat­e und der erzielten Emissionsm­inderung sei trotzdem eindeutig.

Ob man Heizöl als Ökobrennst­off bewerben soll, wird freilich aus einem weiteren Grund angezweife­lt. „Das Avia-Modell kann als Anreiz missversta­nden werden, an alten Systemen festzuhalt­en“, sagt Veit Bürger vom Ökoinstitu­t. „Mittelfris­tig müssen Öl- und auch Gasheizung­en verschwind­en, wo es möglich ist. Emissionen zu vermeiden, ist wichtiger, als sie zu kompensier­en.“

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FOTO: DPA Heizöllief­erant betankt ein Mehrfamili­enhaus: Avia bewirbt mit Umweltproj­ekten ihr Öl als umweltfreu­ndlich.

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