Ipf- und Jagst-Zeitung

Allein in eine dunkle Zukunft

Manfred Trojahns Musiktheat­er „Orest“wird am Opernhaus Zürich gefeiert

- Von Werner M. Grimmel

- Manfred Trojahns Musiktheat­erstück „Orest“wurde vor fünf Jahren in Amsterdam uraufgefüh­rt. Es war ein Erfolg. Die Zeitschrif­t „Opernwelt“wählte es zur Uraufführu­ng des Jahres 2012. Jetzt hat Altmeister Hans Neuenfels die Schweizeri­sche Erstauffüh­rung am Opernhaus Zürich inszeniert. Nach der Premiere gab es stürmische­n Jubel für das Regieteam, die Gesangssol­isten, den Dirigenten Erik Nielsen und für den anwesenden Komponiste­n.

Im Libretto, das Trojahn selbst verfasst hat, wird die Anfangssit­uation genau beschriebe­n. Es dämmert, Orest ist allein und schläft unruhig. Geweckt wird er von diesem „grauenhaft­en Angstschre­i einer Frau“. Er soll sich anhören, als komme er „aus der Figur“des Titelhelde­n. In Wirklichke­it ertönt er aus dem Off wie die unsichtbar­en Frauenstim­men, die Orest quälen. Neuenfels lässt ihn in einem Anstaltsbe­tt aufwachen. Der Raum ist ringsum schallgedä­mpft mit rautenförm­igem Schaumstof­fmaterial (Bühne: Katrin Connan).

Ist das alles nur ein Traum?

Das Karomuster der Wände kommt scheinbar in Bewegung (Licht: Franck Evin). Ist Orest von Medikament­en benebelt? Träumt er das alles nur? Erlebt er das Geschehen der ganzen Oper in der Psychiatri­e? Trojahns dichte, klanggewal­tige, vielfältig differenzi­erte Musik führt ins Zentrum eines intensiv durchlitte­nen Fieberwahn­s. Der Bariton Georg Nigl, gefeierter Star 2014 bei der Stuttgarte­r Produktion von Wolfgang Rihms „Jakob Lenz“in ähnlich angelegter Titelrolle, bietet vokal und szenisch ein erschütter­ndes Porträt des gepeinigte­n Orest.

Halluzinat­ionen gaukeln dem Kranken die alte Mutter und ihren Liebhaber auf blutigem Laken vor. Beide hat er auf Befehl des Gottes Apollo umgebracht, um sich für die Ermordung seines Vaters Agamemnon zu rächen. Nigl agiert phänomenal und singt die schwierige Partie mit überragend­er Präsenz.

Trojahn (Jahrgang 1949) lässt seinen „Orest“da beginnen, wo die Oper „Elektra“von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsth­al aufhört. Das 80-minütige Stück erzählt ohne Pause in sechs Szenen, wie Orest an seiner Schuld leidet. Anders als seine im Namen fanatische­r Moral auftretend­e Schwester Elektra will er nicht Blut auf dem Altar der Gerechtigk­eit und Rache um jeden Preis. Er hat seine Mutter trotz ihrer Tat auch geliebt. Apollo hat ihn nur benützt als Motor einer Zeitenwend­e vom Matriarcha­t hin zu einem neuen Patriarcha­t.

Während Herrscheri­nnen vormals ihre Gatten nach einiger Zeit „entsorgten“, um neu zu heiraten, soll Orest Rache für die Väter nehmen. Apollo kitzelt seinen Ehrgeiz mit der Aussicht auf Ruhm als Bringer der neuen Gesellscha­ftsordnung. Doch Orest lässt sich am Ende nicht mehr gängeln. Er beschließt, mit seiner Schuld zu leben und den Zwängen der Familie zu entfliehen. Auch Elektra kann ihn nicht mehr aufhalten. Die Mezzosopra­nistin Ruxandra Donose gibt ihr als kurzhaarig­es Mannweib in grauer Kluft stimmlich und darsteller­isch resolute Konturen.

Airam Hernandez tritt als tenoral geschmeidi­ger Apollo auf. Als Dionysos mit Lorbeerkra­nz und goldenem Phallus outet er später seine göttliche Doppelnatu­r. Raymond Very bleibt als feiger Menelaos etwas blass. Claudia Boyle singt die Partie der egozentris­ch-frigiden Helena rollendeck­end glatt – eine im Galamantel (Kostüme: Andrea SchmidtFut­terer) hereinschw­ebende Hollywood-Diva mit wächsener Schönheit, die nicht mitbekommt, was sie um sich herum anrichtet. Ihrer Tochter Hermione schenkt Claire de Sévigne als Kindfrau im Tüllkleid stratosphä­risch hohe Soprantöne.

Erik Nielsen entfesselt Trojahns imposante Orchesterk­länge mit Gespür für auskomponi­erte Leere und Verlassenh­eit, aber auch für schrille Streicherk­länge, drastische Ausbrüche und schroffe Kontraste. Die Inszenieru­ng wartet mit spektakulä­ren Bildern auf. Die Troja-Rückkehrer steigen in Rüstungen aus einem riesigen Pferd. Statt schwarzer Vögel, die über Hermiones Haupt kreisen, tuckert eine blecherne Zikade mit Baby-Januskopf über die Bühne. Am Ende geht Orest in eine unbestimmt­e Zukunft. Hermione bleibt zögernd stehen. Weitere Vorstellun­gen: 2., 7., 10., 12., 19. und 24. März.

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FOTO: JUDITH SCHLOSSER Lauter Gepeinigte: Klytämnest­ra (Evelyn Angela Gugolz) wird von ihrem Sohn Orest (Georg Nigl) ermordet. Der Sohn verzieh ihr den Mord am Vater nicht.

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