Streit um „Arbeitslosengeld Q“
Kritik aus Union und Wirtschaft – Linke bietet SPD Pakt an
(dpa) - Der Vorstoß der SPD für eine längere Zahlung des Arbeitslosengeldes bis zu 48 Monaten stößt bei Union und Arbeitgebern auf heftige Gegenwehr. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz will Arbeitslose durch längeren Bezug von Arbeitslosengeld besser vor Hartz IV schützen. Erwerbslose sollen sich weiterqualifizieren, umschulen lassen oder einen Berufsabschluss nachholen und derweil „Arbeitslosengeld Q“beziehen. Das sieht ein Wahlkampfpapier der SPD aus der Feder von Arbeitsministerin Andrea Nahles vor.
CDU-Generalsekretär Peter Tauber warf der SPD und Schulz vor, in der Vergangenheit verhaftet zu sein und nach links zu driften. Deutschlands Arbeitgeber warnten vor neuen Frühverrentungen. Die Linke bot der SPD einen „Solidarpakt gegen die Armut“an. Linke-Vorsitzende Katja Kipping forderte allerdings, die Agenda 2010 komplett rückgängig zu machen.
- Vor zwei Wochen hatte SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz ein Konzept für Korrekturen bei den Arbeitsmarktreformen der Agenda 2010 angekündigt. Fehler zu machen, sei nicht ehrenrührig – wichtig dagegen, sie abzustellen, so Schulz. Am Wochenende sind die Details bekannt geworden, was er mit dem Arbeitslosengeld machen will. Rasmus Buchsteiner beleuchtet die Hintergründe zu den Plänen.
Was ist der zentrale Punkt im SPD-Konzept?
Die Bezugsdauer beim Arbeitslosengeld I wird verlängert – bei Älteren um bis zu 24 Monate. Voraussetzung ist jedoch, dass die Betroffenen sich weiter qualifizieren, etwa eine Umschulung machen. Währenddessen soll künftig ein „Arbeitslosengeld Q“gezahlt werden. Ziel sei es, „dass eine längere Phase der Arbeitslosigkeit möglichst vermieden wird, beziehungsweise, dass Phasen der Arbeitslosigkeit genutzt werden, um die vorhandene Qualifikation zu erweitern“, heißt es in dem SPD-Papier, das unserer Berliner Redaktion vorliegt.
Wie ist die Lage bisher?
Im Normalfall wird zwölf Monate Arbeitslosengeld I gezahlt. Wer älter als 50 Jahre ist, bekommt es für 15 Monate, über 55-Jährige für 18 Monate und über 58-Jährige für 24 Monate. Bei Weiterbildung verlängert sich die Bezugsdauer bereits heute. Beispiel: Wer ein halbes Jahr eine Qualifizierung macht, erhält drei Monate länger Arbeitslosengeld I.
Wie wird das Arbeitslosengeld I bislang genutzt?
66 519 Männer und Frauen gab es im November 2016, die das Arbeitslosengeld I bei Weiterbildung bezogen. Zuletzt hatte die Arbeitslosenversicherung rund 14 Milliarden Euro jährlich für das Arbeitslosengeld I ausgegeben. Im November 2016 wurden 779 238 Anspruchsberechtigte für die Leistung bei Arbeitslosigkeit gezählt, 313 446 davon waren 50 Jahre oder älter. Die durchschnittliche Bezugsdauer lag bei 136 Tagen. Auch ältere Arbeitslose schöpfen die maximale Frist in der Regel nicht aus. Bei den gut 220 000 Über-55-Jährigen, die im vergangenen Jahr Arbeitslosengeld I bezogen hatten, lag die durchschnittliche Bezugsdauer bei gut 210 Tagen. Der Anspruch beläuft sich für diese Altersgruppe auf 15 bis 24 Monate.
Welche Änderungen sind darüber hinaus geplant?
Arbeitslose sollen ein Recht auf Weiterbildung erhalten. Falls sie innerhalb von drei Monaten keinen Job haben, soll die Bundesagentur für Arbeit ein Qualifizierungsangebot machen müssen. Nach den Plänen der SPD würde die Nürnberger Behörde in eine Bundesagentur für Arbeit und Qualifizierung umgebaut. Die Hürden für den Bezug von Arbeitslosengeld I will die SPD senken. Voraussetzung für die Zahlung soll künftig sein, dass der Betroffene vorher mindestens zehn Monate innerhalb von drei Jahren gearbeitet hat. Bislang liegt die Grenze bei zwölf Monaten innerhalb von zwei Jahren. Darüber hinaus will die SPD das Schonvermögen bei Hartz IV verdoppeln – auf 300 Euro je Lebensjahr.
Wie teuer wäre die Reform?
In SPD-Kreisen ist die Rede von Mehrkosten in Höhe von circa einer Milliarde Euro jährlich. Die Rücklagen der Arbeitslosenversicherung liegen aktuell bei 11,5 Milliarden Euro – und das, obwohl der Beitragssatz seit dem Start der Agenda-2010-Reformen um mehr als die Hälfte verringert worden ist.
Wirft Schulz mit dem Konzept die Agenda 2010 komplett über den Haufen?
Es handelt sich um Korrekturen, um eine Weiterentwicklung. Qualifizierung zur Voraussetzung für eine längere ALG-I-Bezugsdauer zu machen, entspricht nach Lesart der Sozialdemokraten dem Prinzip von Fördern und Fordern. Die SPD hält weiter an Hartz IV fest und damit daran, dass Langzeitarbeitslose lediglich eine Grundsicherung erhalten und dafür ihre Einkommensund Vermögensverhältnisse voll offenlegen müssen.
Was sagen Kritiker?
Linken und Grünen gehen die Pläne nicht weit genug. Sie kritisieren, dass die SPD Hartz IV weitestgehend unangetastet lässt und auch an den Sanktionen festhalten will. Die Arbeitgeber warnen vor falschen Weichenstellungen.