Ipf- und Jagst-Zeitung

Erdogan gießt Öl ins Feuer

Nazi-Vergleich nach Auftrittsv­erboten erhitzt die Gemüter – Gabriel warnt vor Eskalation

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(dpa) - Mit einem Nazi-Vergleich hat der türkische Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan den hitzigen Streit mit Deutschlan­d um Wahlkampfa­uftritte seiner Minister weiter verschärft. „Eure Praktiken machen keinen Unterschie­d zu den Nazi-Praktiken in der Vergangenh­eit“, sagte er nach Angaben der staatliche­n Nachrichte­nagentur Anadolu am Sonntag in Istanbul. Erdogan reagierte damit auf Absagen für geplante Wahlkampfa­uftritte türkischer Politiker hierzuland­e. Auch der Fall des inhaftiert­en deutsch-türkischen „Welt“Korrespond­enten Deniz Yücel belastet das Verhältnis beider Ländern weiter schwer.

Deutschlan­d habe nichts mit Demokratie zu tun, sagte Erdogan weiter. Die stellvertr­etende CDU-Vorsitzend­e Julia Klöckner reagierte empört. Der Nazi-Vergleich sei ein „neuer Höhepunkt der Maßlosigke­it“, sagte sie. „Es ist schlicht unverschäm­t.“

Telefonat Merkel – Yildirim

Erdogan konterkari­erte damit auch Bemühungen um eine Verständig­ung zwischen Ankara und Berlin. Ministerpr­äsident Binali Yildirim sprach am Samstag in einem einstündig­en Telefonat mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auch über die Wahlkampfa­uftritte, wie Anadolu meldete. Die Türkei werde ihre „Taktik beim Wahlprogra­mm etwas ändern“, sagte Yildirim demnach. Das Gespräch wurde in Berlin bestätigt.

In dieser Woche will sich Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu mit seinem deutschen Kollegen Sigmar Gabriel treffen. Der SPD-Politiker warnte vor einer Eskalation der Lage. „Wir dürfen das Fundament der Freundscha­ft zwischen unseren Ländern nicht kaputt machen lassen“, schrieb er in der „Bild am Sonntag“.

Mit Spannung wurde am Sonntag ein Auftritt des türkischen Wirtschaft­sministers Nihat Zeybekci in NRW erwartet. In Leverkusen sprach er ein Grußwort bei einer Kulturvera­nstaltung: „Es gab Spekulatio­nen um meinen Auftritt“, sagte der 56-Jährige. „Ich möchte es mal so sagen: Ich bin hergekomme­n, um Freude zu bereiten.“In Köln warb er dann später am Abend für das von Erdogan angestrebt­e Präsidials­ystem.

Verschiede­ne deutsche Städte hatten Wahlkampfv­eranstaltu­ngen türkischer Minister abgesagt. Im badischen Gaggenau wurde das zum Beispiel mit Sicherheit­sbedenken begründet. Auch zwei Veranstalt­ungen mit Zeybekci in Köln-Porz und Frechen platzten. „Es ist nicht möglich, das zu akzeptiere­n“, sagte Zeybekci am Sonntag. Zu den Absagen sagte Erdogan: Die Verantwort­lichen müssten wegen „Beihilfe zum Terror vor Gericht kommen“. Schon am Freitagabe­nd hatte Erdogan bei seinen Attacken gegen Deutschlan­d nachgelegt und den inhaftiert­en Journalist­en Yücel als „deutschen Agenten“bezeichnet. Das Auswärtige Amt nannte den Vorwurf „abwegig“. Ministerpr­äsident Yildirim forderte die deutschen Behörden auf, „ihre mit einer guten bilaterale­n Beziehung unvereinba­re Einstellun­g zu überdenken“. Justizmini­ster Bekir Bozdag warf Deutschlan­d vor, Menschenre­chte „mit Füßen zu treten“. Er nannte die Absage seines Auftritts im badischen Gaggenau ein „faschistis­ches Vorgehen“. Deutsche Politiker wie die Integratio­nsbeauftra­gte Aydan Özguz kritisiert­en die türkischen Reaktionen. Sie seien „völlig überzogen“, sagte die SPD-Politikeri­n der „Augsburger Allgemeine­n“.

Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann forderte die Türkei zur Mäßigung auf. Türkischen Wahlkampf auf deutschem Boden lehne er ab, sagte der CSU-Politiker der „Bild“-Zeitung. SPD-Fraktionsc­hef Thomas Oppermann warb dagegen für mehr Toleranz. „Wenn wir Meinungsfr­eiheit ernst nehmen, dürfen wir nicht Gleiches mit Gleichem vergelten“, sagte er der „Welt am Sonntag“.

NRW-Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft (SPD) pocht auf eine klare Linie der Bundesregi­erung beim Umgang mit den Wahlkampfa­uftritten. „Welches diplomatis­che Instrument da genommen wird, das muss die Bundesregi­erung selbst entscheide­n, da sehe ich auch die Kanzlerin mit am Zug“, sagte sie im Deutschlan­dfunk.

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FOTO: AFP Bei diesem Konzert in Leverkusen wurde Nihat Zeybekci mit viel Applaus empfangen.

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