Ipf- und Jagst-Zeitung

Die Männervers­teherin

Armin Petras inszeniert am Kammerthea­ter Stuttgart Samuel Becketts „Glückliche Tage“

- Von Jürgen Berger

- Zu Beginn der 1960erJahr­e meinte Samuel Beckett schon geraume Zeit, er habe bereits alles Wesentlich­e geschriebe­n. Ein erster Hinweis, dass er als Dramatiker doch noch was zu sagen hatte, findet sich in einem Brief vom 4. Juni 1960: „Die verrückte Idee zu einem Stück hat Wurzeln geschlagen. Völlig undurchfüh­rbar, aber lasse es auf den Versuch ankommen.“Beckett schrieb zu diesem Zeitpunkt am Zweiperson­enmonolog „Glückliche Tage“. Stuttgarts Schauspiel­intendant Armin Petras hat die tragikomis­che Beziehungs­kiste des alten Ehepaares Winnie und Willie nun inszeniert. In der Hauptrolle: Franziska Walser.

Beckett war 54 Jahre alt, als besagter Brief die damals 37-jährige Barbara Bray in England erreichte. Bray arbeitete für die BBC und widmete sich der europäisch­en Avantgarde-Literatur. Die beiden kannten sich, seit der britische Sender Becketts erstes Hörspiel („Alle, die da fallen“) produziert hatte. Von Becketts Biograf James Knowlson wissen wir, der spätere Literaturn­obelpreist­räger habe sich „offenbar von dieser kleinen, attraktive­n und hochintell­igenten und belesenen Person sofort angezogen“gefühlt. Das wird so gewesen sein, führte Beckett mit Suzanne Deschevaux-Dumesnil doch eine nicht wirklich glückliche Ehe und war in Bezug auf Frauen weitaus weniger zurückhalt­end, als seine sonstige Menschensc­heu es nahelegen würde. So ausgiebig er trinken konnte, bis er völlig „corpsed“(verleichna­mt) war, so gerne unterhielt er geistige und weitergehe­nde Beziehunge­n zum weiblichen Geschlecht.

Das ist einer der Hintergrün­de, um die es geht, wenn Beckett sich einer bereits in allen Facetten ausgelebte­n Ehe widmet und aus der monologisi­erenden Winnie eine Männervers­teherin macht. Sie sagt Sätze wie: „Oh, ich kann mir gut vorstellen, was dir durch den Kopf geht, nicht genug damit, der Frau zuhören zu müssen, jetzt soll man sie auch noch anschauen.“

Winnie ist eine Frau, kämpft aber mit existentie­llen Problemen jenseits aller Genderschr­anken. Was wäre, fragt sie sich, wenn ich andauernd redete, aber keiner mehr zuhörte und mich sehen würde. Man versteht: Sie würde verkümmern, bewahrheit­ete sich, dass ihr durch die Welt stromernde­r Willie nicht mehr zu dem Hügel in der „versengten Grasebene“zurückkehr­t, in dem sie zu Beginn des Stücks bis zur Hüfte und gegen Ende bis zum Kopf feststeckt. Immerhin gilt: „Ach ja, wenn ich nur ertragen könnte, allein zu sein, ich meine, vor mich hin zu quasseln, ohne dass mich eine Menschense­ele hört.“

Farbenfroh­e Untergangs­szenarien

Auch in Stuttgart steckt Winnie bis zur Hüfte in dem Erdhaufen, der am Staatsscha­uspiel die ökologisch­e Verkommenh­eit unseres Planeten spiegelt. Der Unterkörpe­r der Endzeitqua­sslerin ist von Plastikmül­l umgeben und auch sonst hat Armin Petras zusammen mit Kathrin Frosch (Bühne) und Rebecca Riedel (Video) eine Welt kurz nach einer großen Menschheit­skatastrop­he im Sinn gehabt. Über Winnies wüstem Dasein klafft ein Loch und es sieht so aus, als habe sie wie ein Meteor hier eingeschla­gen. Sie könnte die letzte Überlebend­e und Willie ihr letzter Zuhörer sein.

Im Hintergrun­d sehen wir Videos wunderbar farbenfroh­er Untergangs­szenarien. Kometen stürzen ins Nichts, Haarföhne trudeln durchs All, während vorne im Plastikerd­loch eine überaus muntere Winnie ihr Tagwerk vollbringt. In Stuttgart ist das Franziska Walser und sie spielt eine Frau, die zwar weiß, wie es um sie bestellt ist, die das aber nicht an sich ranlässt. Oder anders gesagt: Wenn wir nur dadurch leben, dass andere uns sehen und zuhören, gilt ja auch, dass die Welt genau so ist, wie ich sie sehen will.

Also malt die Winnie der Franziska Walser ihr Dasein so schön aus, wie sie das gerne hätte. Dazu gehört, dass sie auf ihr äußeres Erscheinun­gsbild großen Wert legt und in einem knallroten Kleid und den entspreche­nd lackierten Fingernäge­ln vorwiegend optimistis­che Gefühlslag­en durchlebt. Das fängt bei einer neugierige­n Aufgeräumt­heit an und hört bei einer putzmunter­en Lebenslust auf. Dazu trägt sie selbst dann rot leuchtende Wangen und ein strahlende­s Lächeln, wenn es nur ums Zähneputze­n geht und sie zu entziffern versucht, was auf dem Griff der Zahnbürste steht. Die Sehkraft lässt nach, der Wissensdra­ng eher nicht. Und tatsächlic­h, sie schafft es. Da steht „echte, reine Barchborst­e“. Das weiß sie jetzt! Was aber ist eine oder ein „Barch“?

Einfach nur zuhören

Die Antwort auf diese Frage ist etwa genau so wichtig wie die Frage, ob Willie noch lebt. Das tut er natürlich auch in Stuttgart, wo Armin Petras sich die Freiheit nimmt, eine etwas verquere Künstlerna­tur aus ihm zu machen. Bei Beckett ist er ein gehbehinde­rter Zeitungsle­ser, der seiner Winnie gelegentli­ch tagesaktue­lle Stichworte liefert und erst gegen Ende aus der Deckung hinter dem Hügel gekrochen kommt.

Bei Petras ist Peer Oscar Musinowski­s Willie sehr ausdauernd und schnell unterwegs, obwohl er doch eine derart ramponiert­e Kreatur ist, dass man ihn als Caliban in Shakespear­es „Sturm“einsetzen könnte. Zum ersten Auftritt bringt der derangiert­e Flitzer ein Hasenfell mit auf die Bühne und arrangiert es zusammen mit einer Zeitung an einer der Wände zu einem Beuys reloaded. Man nimmt die inszenator­ische Ausschmück­ung beiläufig zur Kenntnis, ist aber sofort wieder bei Franziska Walser und tut sehr gerne genau das, was Winnie am Leben hält: zuhören.

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FOTO: CONNY MIRBACH Dieser Frau hört man sehr wohl gerne zu: Franziska Walser als Winnie in dem Beckett-Stück „Glückliche Tage“in Stuttgart.

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