Ipf- und Jagst-Zeitung

Tote Kinder „wie Müll“weggeworfe­n

In einem irischen Mutter-Kind-Heim führten katholisch­e Nonnen bis 1961 ein übles Regime

- Von Silvia Kusidlo

(dpa/KNA) - Die westirisch­e Kleinstadt Tuam gilt als eher beschaulic­her Ort. Für viele alleinsteh­ende Mütter und ihre Kinder muss er bis vor etwa 55 Jahren aber die Hölle gewesen sein. Denn hier wurden Unverheira­tete in einem MutterKind-Heim gedemütigt, als Arbeitskrä­fte ausgebeute­t und deren tote Kinder wie Abfall verscharrt. Gerüchte und Indizien dafür gab es schon länger. Das Ausmaß kommt aber erst jetzt ans Licht: Ermittler entdeckten auf dem Grundstück des Heims ein Massengrab mit Kinderleic­hen.

Die Experten fanden in 17 von 20 unterirdis­chen Kammern menschlich­e Überreste in „erhebliche­n Mengen“– Föten und Kleinkinde­r im Alter von bis zu drei Jahren. Das St. Mary’s Mother and Baby Home wurde von 1925 bis 1961 von Nonnen betrieben. Sie gehörten dem katholisch­en Orden The Sisters of Bon Secours an. Die Leichen stammen Untersuchu­ngen zufolge höchstwahr­scheinlich aus dieser Zeit.

„Traurigkei­t und Scham“

Der Erzbischof von Tuam, Michael Neary, zeigte sich am Sonntag schockiert über die Größenordn­ung des Funds. Die Vereinigun­g katholisch­er Priester Irlands (ACP) sprach von „Traurigkei­t und Scham“.

Kinder, die in der Einrichtun­g starben, wurden einem ehemaligen Heimbewohn­er zufolge „wie Müll“weggeworfe­n. „Es gab Hunderte Kinder in dem Heim. In meinen Augen war das wie eine Kaninchenk­olonie“, sagte der Mann dem „Irish Mirror“. Die Kinder litten, wie er selbst auch, unter vielen Krankheite­n. Er wurde 1947 in dem Heim geboren, von seiner Mutter getrennt und zur Adoption freigegebe­n. Ein anderer ehemaliger Bewohner des Heims berichtete der Zeitung „Irish Times“, seine Mutter habe ein Jahr lang wie eine Sklavin für die Nonnen arbeiten müssen. Mutter und Sohn fanden sich erst 2010 wieder.

Den Fall ins Rollen brachte die Historiker­in Catherine Corless (62). Sie fand im Sterberegi­ster Einträge für fast 800 Kinder, die im Laufe der 36 Jahre in dem Heim gelebt hatten. Aber nur für ein Kind konnte sie nachweisen, dass es beerdigt worden war. Wo waren die anderen? Als sie der Sache auf dem Grundstück des Heims habe nachgehen wollen, sei sie gefragt worden: „Warum machst du das? Wenn da Leichen sind, dann lass sie dort doch liegen.“Viele hätten Bescheid gewusst, aber alles verheimlic­ht, sagte Coreless dem „Irish Mirror“.

Es soll schon zuvor viele Hinweise auf das Massengrab gegeben haben. Anwohner haben Berichten zufolge geglaubt, dass es sich bei ersten Knochenfun­den um Opfer der irischen Hungersnot im 19. Jahrhunder­t handeln müsse. Nach der Veröffentl­ichung der ersten Ergebnisse von den Grabungen steht aber fest: Die Knochen sind nur wenige Jahrzehnte alt. „Das sind sehr traurige und beunruhige­nde Nachrichte­n“, teilte die für Kinder zuständige Ministerin Katherine Zappone mit.

Nur die Spitze des Eisbergs

Tuam ist kein Einzelfall, Experten sprechen von der Spitze des Eisbergs. Auch einige Filme haben sich bereits diesem düsteren Kapitel der irischen Geschichte gewidmet. Seit Anfang 2015 arbeitet eine Untersuchu­ngskommiss­ion Vorgänge aus 14 irischen Mutter-Kind-Heimen im Zeitraum von 1922 bis 1998 auf. Während dieser Zeit lebten rund 35 000 Frauen in solchen Einrichtun­gen. Meist handelte es sich um unverheira­tete Schwangere, die dort ihre Kinder zur Welt bringen sollten. Die Sterblichk­eitsrate der Kinder war Medienberi­chten zufolge unverhältn­ismäßig hoch.

Auch im benachbart­en Nordirland herrschten schrecklic­he Zustände in ähnlichen Einrichtun­gen. „Es gibt Beweise für sexuelle, körperlich­e und emotionale Misshandlu­ng“, sagte der Präsident einer Untersuchu­ngskommiss­ion kürzlich bei der Vorstellun­g eines Reports. Die Experten hatten Fälle aus den Jahren 1922 bis 1995 in Einrichtun­gen der Kirche, des Staates und von Wohlfahrts­verbänden untersucht. Demnach haben die Einrichtun­gen teilweise lange versucht, ihren Ruf zu schützen – und damit auch die Täter. Dazu zählten Priester und Nonnen, die ihre Schützling­e körperlich und emotional missbrauch­ten.

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FOTO: DPA Tuam in Irland: Massengrab für Kinder alleinsteh­ender Frauen.

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