Glücksfall Gauck
Heute Abend wird der Bundespräsident aus dem Amt verabschiedet
Dass ein Bundespräsident wenig zu sagen habe, dass er getrieben sei vom Protokoll und dem Zwang zur Höflichkeit, ist eine Mär. Spätestens seit Richard von Weizsäcker und Roman Herzog ist klar geworden, dass die Limitierungen des Amtes, das steife Zeremoniell nur die äußere Hülle sind, die mit viel Inhalt gefüllt werden kann. Ein Bundespräsident kann sich einmischen, nicht in die Tagespolitik, sondern ins Grundsätzliche. Er kann sagen, was eine Kanzlerin oder ein Minister aus politischen Gründen oft im Moment nicht sagen können oder dürfen.
Dieses Privileg des Bundespräsidentenamtes hat Joachim Gauck, der parteilose Pastor aus dem Osten, immer wieder genutzt. Lange vor Flüchtlingsdeals und Präsidialreferenden hat Gauck den damaligen türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan bereits in seiner ganzen argumentativen Schlichtheit vorgeführt. Bei einem Staatsbesuch 2014 in der Türkei hat der deutsche Mann des Glaubens jenem Mann, der seinen Glauben immer wieder betont, eine öffentliche Vorlesung über sein Leben in einer Diktatur gegeben und die Türkei vor dem Weg in ebendiese gewarnt. Erdogan war außer sich und geiferte, Gauck blieb ruhig und legte ein Jahr später mit einer Rede zum Völkermord an den Armeniern noch einmal nach.
Wie wichtig Gauck war, wurde dann besonders deutlich, wenn es mal lange dauerte, bis er sich zu einem Thema zu Wort meldete. Hatte er in den Monaten nach der Amtsübernahme von Christian Wulff erst einmal seine Rolle finden müssen, so dauerte es auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise ungewöhnlich lange, bis er sich meldete. Und was er sagte über die endlichen Ressourcen, war dann nicht im Sinne der euphorisierten Flüchtlingshelfer. Gauck hat im Amt Empathie und Unbequemlichkeit kunstvoll miteinander verbunden.
An den Menschen interessiert
Er liebt die Debatte und die gepflegte Auseinandersetzung. Ob bei einem Hintergrundgespräch im Schloss Bellevue oder beim Austausch mit Bürgern bei einem Sommerfest vermittelt der heute 77-Jährige den Menschen das Gefühl, er sei an ihnen und ihren Geschichten interessiert. Manche Beobachter haben das Pastorale an ihm kritisiert. Doch das verschwindet sehr schnell, wenn keine Kameras in der Nähe sind. Gauck wirkt viel gelöster, wenn er nur Staatsmann ist und nicht auch noch Geistlicher sein muss.
Dem Theologen, der sich in der DDR irgendwie arrangiert hat, ohne der radikale Bürgerrechtler zu werden, war die Freiheit immer das wichtigste Thema in seinen Reden. Dabei war immer klar, dass er das Amt für viel wichtiger hielt als sich selbst. Obwohl er, nicht uneitel, sich für einen angemessenen Amtsinhaber gehalten hat. Nicht alle Deutschen schätzten diese Symbiose zwischen Volksnähe und Intellektualität, die Gauck wie kein anderer vor ihm verkörperte. Viele von denen, die ihn hassen, finden sich im Osten, in „Dunkeldeutschland“, wie er es gelegentlich nannte. Er war sichtlich erschüttert, wenn in Heide oder Dresden mal wieder gezeigt wurde, dass Teile des Ostens nicht in einem Deutschland angekommen waren, von dem Gauck einmal sagte, es sei das beste, das es jemals gegeben hat.
Seine größte und wichtigste Rede hat er vor drei Jahren bei der Münchner Sicherheitskonferenz gehalten. Er forderte darin von Deutschland ein Ende des Abseitsstehens, er verlangte mehr – auch militärisches – Engagement. Diese Ansprache wird in die Geschichtsbücher eingehen, sie ist sein Vermächtnis. Gauck als Bundespräsident war ein Glücksfall für Deutschland.