Ipf- und Jagst-Zeitung

Musik als wirkungsvo­llste Propaganda

Ehemaliger Star der rechten Szene liefert im NSU-Ausschuss Einblicke

- Von Katja Korf

- Sie sang von angebliche­r Überfremdu­ng, von Meinungsma­che der Etablierte­n, von Widerstand gegen „die da oben“: Annett H. (48) gehörte lange zu den Stars der rechten Musikszene in Deutschlan­d. Nach dem Tod ihres Ehemannes stieg sie 2009 aus. Am Montag gab sie dem NSU-Untersuchu­ngsausschu­ss des Landtages in Stuttgart Einblicke in eine Welt, die nach Auffassung von Experten ein Nährboden für extreme Gesinnunge­n ist und vor allem junge Menschen in den Bann rechter Ideologien ziehen soll.

Der Ausschuss widmet sich dem Umfeld der Rechtsterr­oristen des „Nationalso­zialistisc­hen Untergrund­s“(NSU) in Baden-Württember­g. Vor allem in den 1990er-Jahren waren Uwe Mundlos, Uwe Bönhardt und Beate Zschäpe mindestens 30mal im Land unterwegs, unter anderem in Ludwigsbur­g und Heilbronn. Der Ausschuss will deshalb herausfind­en, ob das Trio dort Unterstütz­ung für seine Mordserie erhielt.

85 Bands in der rechten Szene

85 von bundesweit 180 aktiven Bands und Sängern des Rechtsrock­s waren oder sind nach Ansicht des Szenekenne­rs Jan Raabe seit 1993 in BadenWürtt­emberg aktiv. Sie gelten als wichtige Akteure. Annett H. verdeutlic­hte am Montag den Grund dafür. Die Altenpfleg­erin und Sängerin war bis 2009 mit Michael M. verheirate­t. Der Bundesverf­assungssch­utz kam 2005 zu dem Ergebnis, M. und seine Frau seien die bekanntest­en Musiker in rechten Kreisen.

H. stammt aus dem Osten. Sie lernte den damaligen Regensburg­er Burschensc­hafter Michael M. bei einem der sogenannte­n „Liederaben­de“kennen. Diese organisier­ten rechte Kameradsch­aften – auch in BadenWürtt­emberg. „Wir sind hier ein paar Mal vor 50 oder 100 Zuhörern aufgetrete­n“, erzählte H. Geld habe sie damit aber nicht verdient, weil das Duo keine Gagen genommen habe. Das ist ihrer Schilderun­g nach Usus: Von den Eintrittsg­eldern bei solchen Konzerten finanziert­en sich die Organisato­ren. Auch die Gewinne aus dem CDVerkauf gingen in die Taschen der führenden Szenemitgl­ieder. Sachverstä­ndige hatten dem Ausschuss bereits in vorherigen Sitzungen erläutert, dass das Musikgesch­äft Millionen bringt und eine der Einnahmequ­ellen rechter Netzwerke ist.

Die Musiker der Szene sind eng miteinande­r verbunden. Andreas G., Gitarrist der Band „Noie Werte“, ist eines der wichtigste­n Bindeglied­er des NSU nach Baden-Württember­g“. Er zog aus Sachsen in den RemsMurr-Kreis und hatte enge Verbindung­en zur Gruppe um den NSU. Songs der Band nutzte der NSU, um ein Bekennervi­deo musikalisc­h zu untermalen. Mit „Noie Werte“produziert­en Annett H. und ihr damaliger Mann eine CD unter dem Bandnamen „Faktor Widerstand“.

Außerdem sind Lieder des Duos auf den „Schulhof-CDs“. Diese verteilten NPD-Anhänger unter Kindern und Jugendlich­en, um sie mit der Musik für Konzerte und andere Szeneparty­s zu begeistern. „Natürlich sollten sie dann dort an das Gedankengu­t herangefüh­rt werden“, sagt H. am Montag. Musik sei dabei die wirkungsvo­llste Propaganda. Sie habe die Mitwirkung an den CDs erst im Nachhinein als „gefährlich“und als Fehler erkannt. Obwohl ein NPDMitglie­d mit Kontakt zum Parteivors­itzenden Udo Voigt, habe sie vor allem ihre Musik machen wollen.

Diese hat mit balladenha­ften Gitarrenkl­ängen und politisch aufgeladen­en Texten den Anspruch, auch ein Publikum abseits der SkinheadSz­ene zu erreichen. Nach Einschätzu­ng von Szenekenne­rn versuchte man über solche Bands, seriöser zu wirken und sich von der offen gewaltbere­iten Neonazi-Szene zumindest nach außen abzugrenze­n.

Auch H. unterstric­h diesen Eindruck: „Wir waren der intellektu­elle Teil, nicht das Gesocks oder der Pöbel“. Sie hatte nach eigenen Worten keinen persönlich­en Kontakt zum NSU-Trio und will nichts von deren Aktivitäte­n gewusst haben.

H. selbst wandte sich von der Szene ab. Sie fühlte sich während der Krebserkra­nkung ihres Mannes alleingela­ssen. „Wenn ich heute das Wort Kamerad höre, könnte ich kotzen.“Die Rechten propagiert­en Ehre und Treue, hätten sie aber fallen gelassen, sobald das Gesangs-Duo kein Geld mehr einbrachte, sagte die Frau.

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FOTO: DPA Neonazi-Konzerte ziehen auch viele junge Menschen in den Bann rechter Ideologien.

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