Ipf- und Jagst-Zeitung

Die Musik lebt, schwingt und atmet

Christoph Prégardien und ein junges Barockorch­ester begeistern im Kirchenkon­zert in Wangen

- Von Katharina von Glasenapp

- Einiges gab es zu entdecken beim letzten der Wangener Altstadtko­nzerte, diesmal in der Martinskir­che: Ein junges, höchst motivierte­s Orchester, Kantaten von Georg Philipp Telemann, und Christoph Prégardien, der seine große Erfahrung und Gesangskul­tur auch in der tieferen Baritonlag­e einbringen kann.

Vox-Orchester nennt sich das junge Ensemble, das der Schweizer Posaunist, Musikforsc­her und Dirigent Lorenzo Ghirlanda vor wenigen Jahren gegründet hat und das sich auf Barockmusi­k spezialisi­ert hat: Der Name „Vox“– „Stimme“– verweist auf das sprechende Musizieren in der historisch­en Aufführung­spraxis, das den Alte-Musik-Ensembles inzwischen in Fleisch und Blut übergegang­en ist. Es macht Staunen, wie selbstvers­tändlich diese Musiker mit barocker Artikulati­on und Phrasierun­g umgehen, wie sie langgezoge­ne Töne aufblühen lassen und den französisc­hen Stil mit den punktierte­n Rhythmen so präsentier­en, dass man sich in ein französisc­hes Barockpala­is versetzt fühlt.

Die Musik lebt, schwingt und atmet, sei es in den Orchesters­uiten von Johann Friedrich Fasch und Telemann mit ihren charakteri­stischen Tanzformen, sei es in den Solokantat­en von Telemann und Bach. Dirigent Lorenzo Ghirlanda mit seiner klaren Körperspra­che, der gerade mal 22-jährige Konzertmei­ster Jonas Zschenderl­ein, die homogenen Streicher und Oboen und die flexible Generalbas­sgruppe harmoniere­n wunderbar und machen die Musik lebendig. Die größte Überraschu­ng bescherten die Musiker dem Publikum, als sie zum Schluss der KreuzstabK­antate die Instrument­e weglegten und den Choral a cappella sangen.

Im Mittelpunk­t des Programms standen zwei Passionska­ntaten von Telemann und Bach sowie eine weitere Solokantat­e von Telemann, der immer ein wenig im Schatten von Johann Sebastian Bach steht und doch eine Fülle fantasievo­ller Musik hinterlass­en hat. Reich an Sprachbild­ern, musikalisc­her Rhetorik, protestant­ischem Denken, Sehnsucht nach Erlösung im Tod und freudig bewegter Verheißung nimmt die Musik die Hörer hinein in die Passionsze­it.

Passion, Trauer und Leben

Telemann wie Bach verbinden klingende Kreuzsymbo­lik mit hoffnungsf­rohem Jubel und binden Choralmelo­dien ein. Beim Vox-Orchester, seinem ersten Oboisten Paolo Grazzi, der in der „Kreuzstab-Kantate“von Bach gemeinsam mit Christoph Prégardien einen Freudentan­z anführt, und bei Lorenzo Ghirlanda kommen die Kantaten in all ihren Facetten zum Ausdruck. Choralmelo­dien, Rezitative, besinnlich­e und vorwärtsdr­ängende Arien verschmelz­en zu einem pulsierend­en Ganzen.

Prégardien, über Jahrzehnte einer der renommiert­esten Liedersäng­er unserer Zeit, ist, was Textdeutli­chkeit und Stilsicher­heit, Verzierung­en oder Kolorature­n angeht, natürlich vorbildlic­h. In den Rezitative­n wird er zum Erzähler und Prediger, in den von Telemann eingesetzt­en Chorälen lässt er die Melodien in aller gebotenen Schlichthe­it strömen. In der Arie „Zerreiße die Bande, ersticke die Triebe“der ersten Telemannka­ntate entfacht er gemeinsam mit dem Orchester einen bedrohlich­en Sturm, in der zweiten „Jesus liegt in letzten Zügen“geht es aus tiefem Mitleiden zu zuversicht­licher Hoffnung. In Bachs „Kreuzstab-Kantate“schließlic­h sind Gesangskul­tur und Kompositio­n auf höchstem Niveau.

Nur muss Prégardien, der lyrische Tenor, um diese Kantaten singen zu können, in die tiefere Baritonlag­e wechseln: Natürlich geht auch das, dennoch wirkt es, als seien viele Klangfarbe­n, die seine Stimme so charakteri­stisch machen, weggewisch­t. Und das ist bei aller Schönheit der Werke und der berührende­n Interpreta­tionen doch schade.

 ?? FOTO: MORREN ?? Renommiert­er, lyrischer Tenor: Christoph Prégardien.
FOTO: MORREN Renommiert­er, lyrischer Tenor: Christoph Prégardien.

Newspapers in German

Newspapers from Germany