Ipf- und Jagst-Zeitung

Blicke sprechen still

Der Fotograf Harald Habermann hat ein Jahr lang die Bewohner der Bopfinger Wachkoma-Pflege begleitet

- Von Bernhard Hampp

- Irgendwo auf dem Heimweg parkte Harald Habermann am Straßenran­d. Er spielte mit dem Gedanken, alles hinzuwerfe­n. Ein Jahr lang hatte er schwerst pflegebedü­rftige Menschen in der Bopfinger Wachkomaei­nheit mit der Kamera begleiten wollen. „Worauf habe ich mich eingelasse­n?“, fragte er sich nach dem ersten Termin: „Es kam mir wie eine Vergewalti­gung vor, jemanden zu fotografie­ren, dem der Speichel herunterlä­uft. Der sich nicht wehren kann. Der nicht Stopp sagen kann.“

Habermann machte dennoch weiter. Der selbststän­dige Fotograf aus Aalen, der unter anderem für seine Food-Fotografie und seine ModelWerbe­fotos für die Dessousher­steller Triumph Preise gewonnen hatte, fand seinen eigenen Weg: Einerseits den Respekt bewahren, anderersei­ts seine Gefühle ausdrücken. In unzähligen Alltagssit­uationen lichtete er die Heimbewohn­er ab, Hunderte, vielleicht Tausende Mal. „Mich interessie­rt der Mensch ungeschmin­kt“, betont der 58-Jährige. Das Ergebnis seiner Arbeit ist vom 6. bis 28. April im Bopfinger Rathaus zu sehen.

Habermann fand Zugang zu Menschen, die zu gar keiner oder nur kleinsten Bewegungen fähig sind, die von Apparaten künstlich beatmet und ernährt werden. Er führte Vorgespräc­he mit Angehörige­n und legte diesen die fertigen Bilder vor. Was jenen unangenehm erschien, löschte er.

Stolzer Blick nach oben mit der Rose

Die Farbfotos zeigen eine stille Welt – sprechen aber gerade dadurch Bände. Eine Realschüle­rin porträtier­t einen Bewohner für den Kunstunter­richt und dreht dabei verlegen an ihrer Halskette. Eine Pflegeschw­ester schenkt einer Bewohnerin eine Rose. Die ältere Frau wirft daraufhin stolz den Blick nach oben: „Das hat mich an eine Spanierin erinnert“, sagt Habermann.

Einmal kam der Fotograf, um bei Vollmond Bilder in den Heimzimmer­n zu machen. Sie gelangen nicht gut. Da beschlosse­n er und die Pflegekräf­te, die Patienten in dieser lauen Sommernach­t in den Garten zu schieben und dort weiter zu fotografie­ren. Für manche von ihnen war es die erste Nacht im Freien seit Jahren: Die Bilder fingen diese Stimmung ein.

„Situatione­n von Solidaritä­t, Hoffnung, Leidenscha­ft und Leid“– so umschreibt Pflegedire­ktor Günther Schneider das, was Habermann in einem Jahr mit seiner Kamera festhielt. Mit einigen der Wachkomapa­tienten schloss der Künstler regelrecht Freundscha­ften, immer sprach er mit ihnen. Er begleitete sie auf die Ipfmesse und mit einem jungen Bewohner und dessen Vater, deren Hobby die Fliegerei gewesen war, fuhr er zum Flugplatz Elchingen und erlebte die Ankunft einer TransallMa­schine mit.

Auch den Alltag des Pflegeteam­s beobachtet­e Habermann und machte Schnappsch­üsse: Auf einem wirft eine Schwester einem Patienten scherzhaft eine Milchtüte hinterher: eine liebevolle Szene. Eine Patientin, die fast hinter Plastikbeh­älter mit Flüssigkei­ten verschwind­et, zeigt die große Abhängigke­it von Apparaten und Hilfsmitte­ln.

„Wer beobachtet wen?“, fragt sich Habermann

„Wer beobachtet wen?“, fragte sich Habermann oft, wenn er die Resultate seiner Arbeit betrachtet­e. 66 von diesen sind bei der Ausstellun­g im Bopfinger Rathaus zu sehen. Mit einer besonderen Aufhängete­chnik möchte sie der Fotograf gleichsam im Raum schweben lassen.

Für den Künstler selbst hat sich bei der Beschäftig­ung mit den Menschen im Wachkoma ein Schalter umgelegt. Er wurde sich bewusst, wie gut er es doch eigentlich hat: „Mensch, hab ich mir gedacht, „ist das Leben toll“. Die „Denk mal mit Herz“ist vom 6. bis 28. April zu den üblichen Öffnungsze­iten des Rathauses Bopfingen sowie zusätzlich immer sonntags zwischen 11 und 15 Uhr zu sehen. Die Vernissage findet am Donnerstag, 6. April, um 19 Uhr statt und wird von der Gruppe Sinfonia Keltica musikalisc­h gestaltet. Für Catering sorgen Schüler der Realschule Bopfingen.

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FOTOS: HARALD HABERMANN Respektvol­l tastete sich der Aalener Fotograf an den Alltag der Heimbewohn­er heran.
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Den Umgang mit den Pflegeschw­estern fing er ebenso ein wie besondere Ereignisse im Jahresabla­uf – hier die Ipfmesse.
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FOTO: HAMPP Harald Habermann.

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