Ipf- und Jagst-Zeitung

Bandenstre­it in beschaulic­her Kulisse

Schon in vergangene­n Jahren sind in Ulm Rocker aufeinande­r losgegange­n – Nun machen zwei neue Gruppierun­gen der Polizei Sorgen

- Von Uwe Jauß

- Die Ulmer Innenstadt wirkt im Allgemeine­n recht aufgeräumt und gepflegt – eine City zum Flanieren für brave Bürger. Umso mehr fällt es auf, wenn weniger brave Mitmensche­n in Hordenstär­ke unterwegs sind. Dies war Mitte März mal wieder der Fall. Eine etwa 50-köpfige Bande bewegte sich durch die Schwilmeng­asse im beschaulic­hen Fischervie­rtel. Von einer rockerähnl­ichen Gruppe ist vonseiten der Polizei die Rede. Damit meint sie jene Schläger, die zwar nicht mehr Motorrad fahren, aber so ähnlich wie traditione­lle Rockervere­ine organisier­t sind. Jedenfalls witterten die Beamten Ungemach. Mittels eines Großeinsat­zes wurde die Bande gestoppt.

Wer sich hinter dem Schlägerko­mmando verbirgt, wurde bisher nicht mitgeteilt. Wolfgang Jürgens, Sprecher des Ulmer Polizeiprä­sidiums, sagte Journalist­en nur: „Es hätte gefährlich werden können.“In der Stadt gehen aber Szene-Insider von einer Verbindung zu einem Zwischenfa­ll am örtlichen Schwörmont­ag im vergangene­n Juli aus. Schauplatz war die Hafengasse hinter dem Münster, gesäumt von kleinen Läden und Lokalen. Seinerzeit gab es dort noch einen veganen türkischen Imbiss. Nach Augenzeuge­n tauchten plötzlich etwa 15 zum Teil maskierte Männer auf und attackiert­en das Geschäft. Sie warfen Steine in die Scheiben. Zwei Gäste wurden direkt angegriffe­n.

Streit im Rotlichtmi­lieu

Für Ulm stellt sich vor dem Hintergrun­d der beiden Zwischenfä­lle die Frage, ob die örtlichen Bandenkonf­likte inzwischen definitiv die bürgerlich­e Welt der Stadt erreicht haben. Ein Novum sind solche Auseinande­rsetzungen an der Donau zwar nicht. Aber von wenigen Ausnahmen abgesehen, lagen die Schauplätz­e eher an jenen Örtlichkei­ten, an denen sie der gesittete Teil der Einwohners­chaft auch vermuten würde: etwa im Rotlichtmi­lieu an der Blaubeurer­straße, einem Gewerbevie­rtel neben dem Güterbahnh­of. Dort fielen in den vergangene­n Jahren mehrmals auch Schüsse, wohl eher als Warnung gedacht. Zu Schaden kam niemand. 2012 gab es dafür einen Toten und einen Schwerverl­etzten im Neu-Ulmer Industrieg­ebiet. Rocker und Türsteher aus dem Rotlichtmi­lieu waren für eine Aussprache aufeinande­rgetroffen. Sie lief aus dem Ruder. Ein Rocker schoss.

Die erwähnten Zwischenfä­lle betrafen größtentei­ls klassische Banden, die sich auch noch als Motorcycle Club verstanden. In verschiede­nen Prozessen zeigte sich, dass wohl der Ortsverein der Bandidos involviert war. Zudem eine kleine Gruppe namens Rock Machine sowie ein Ableger davon. Bereits nicht mehr in dieses Muster passten die 2004 gegründete­n United Tribuns. Sie setzen sich vor allem aus Menschen zusammen, die ihre Wurzeln auf dem Balkan haben. Motorradfa­hren spielt keine Rolle. Weshalb sie von der Polizei ebenso in die Rubrik rockerähnl­iche Gruppierun­gen verräumt werden.

Wer hatte es nun aber aktuell in der Ulmer City aufeinande­r abgesehen? Die Spur führt zu zwei Neulingen in der deutschen Bandenszen­e: den nationaltü­rkisch orientiert­en Osmanen Germania und der kurdisch geprägten Bahoz, zu deutsch „Sturm“. So gelang es den Ermittlern nach dem am vergangene­n Schwörmont­ag durchgefüh­rten Angriff auf den türkischen Imbiss, acht Tatverdäch­tige festzunehm­en. Die Staatsanwa­ltschaft sieht in ihnen mutmaßlich­e Bahoz-Angehörige. Desweitere­n sickerte durch, dass zumindest einer der verprügelt­en Imbissgäst­e ins Osmanen-Umfeld gehört.

Womöglich sollte es jetzt im Fischervie­rtel eine Revanche geben – oder einfach die nächste Attacke. Polizeispr­echer Jürgens ließ sich nach dem Ereignis im Weiteren noch folgenderm­aßen zitieren: „Was sie konkret vorhatten, wissen wir nicht. Aber es war zu vermuten, dass sie den Konflikt suchen.“Dieser Gedanke liegt bereits durch die Ausrüstung der Truppe nahe. Die Polizei fand fünf verbotene Messer, mehrere Paar Quarzhands­chuhe zum besonders brutalen Zuschlagen, Pfefferspr­ays, zwei Hiebwaffen, einen Elektrosch­ocker sowie weitere Taschenmes­ser.

Als Herkunftso­rt der Männer wurden Stuttgart, Göppingen und Günzburg genannt. Alle drei Städte haben eine aus der Türkei stammende Wohnbevölk­erung, die sich wiederum in ethnische Türken und ethnische Kurden teilt. Ob nun Osmanen oder Bahoz-Angehörige aufmarschi­ert sind, lässt sich deshalb anhand der Herkunftso­rte nicht konkret sagen. Im Zusammenha­ng mit der baden-württember­gischen Landeshaup­tstadt gilt aber, dass sie seit Langem eine Kurdenhoch­burg ist. Nach wie vor gibt es in der Stuttgarte­r Gegend eine breite Sympathisa­ntenszene der PKK, der in Deutschlan­d als terroristi­sch verbotenen kurdischen Arbeiterpa­rtei.

Bahoz soll Anfang 2016 entstanden sein. Der Großraum Stuttgart wird von der Polizei als Urzelle betrachtet. Ganz genau wissen sie das aber nicht. Hierzu würden solche Gruppen zu abgeschott­et agieren. Eine irgendwie geartete Kooperatio­n werde abgelehnt, heißt es von Ermittlers­eite. An diesem Punkt herrscht also der gleiche Kodex wie bei den traditione­llen Rockern oder auch wie bei der Mafia. Prinzipiel­l geht die Polizei davon aus, dass Bahoz ein Stück weit eine Nachfolgeo­rganisatio­n der Red Legion ist. Diese extrem brutale Gruppe agierte bis zu ihrem Verbot 2013 in der Stuttgarte­r Gegend. Sie galt als PKK-nah und war in den regionalen Machtkampf um Einfluss im Türsteher- und Rotlichtmi­lieu beteiligt.

Auffallend bei Bahoz ist die Selbstklas­sifizierun­g als „antirassis­tisches, antifaschi­stisches Projekt“. Dies verweist auf die in ihrem Grundverst­ändnis sozialisti­sche PKK. Die Polizei sieht in Bahoz ein „Sammelsuri­um kurdischer Personen mit unterschie­dlichen Standpunkt­en“. Welche Agenda sie letztlich verfechten, lässt sich ebenso wenig definitiv sagen. Ein Freundeskr­eis? Eine Interessen­sgruppe zur Sicherung von Geldquelle­n im Bereich von Diskotheke­n-Eingängen, Bordellen, Frauen-, Drogenund Waffenhand­el? Eine politische Stoßrichtu­ng? Vielleicht von allem etwas, sagen Polizeibea­mte.

Einen konkreten Anlaufpunk­t für Bahoz-Recherchen gibt es nicht, weder Vereinshei­me noch notorische Kneipentre­ffpunkte. „Hier spielt sich vieles in den sozialen Medien des Internets ab“, erklärt Ulrich Heffner, Sprecher des Landeskrim­inalamtes in Stuttgart. Zumindest lässt sich ein Facebook-Auftritt von Bahoz Ulm finden. Er ist zwar inzwischen geschlosse­n, lässt aber einige Einblicke zu. Das Feindbild umfasst dabei ganz klar die örtlichen Osmanen. Sie werden als „Dönerdiskr­iminiert sowie als „faschistis­che Hunde“bezeichnet.

Innertürki­sche Konflikte

Heffner befürchtet, dass durch Gruppen wie Bahoz und Osmanen neben dem rein kriminelle­n Aspekt zudem „ausländisc­he Konflikte nach Deutschlan­d hineingetr­agen werden“. Das scheint durchaus naheliegen­d. Bei den Osmanen ist bereits der Name Programm. Er geht auf das einstige, von Türken dominierte riesige Osmanische Reich zurück. Dieses historisch­e, mit dem Ersten Weltkrieg untergegan­gene Imperium spielt sinnigerwe­ise in der aktuellen Politik ein Rolle: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan erinnert sich gerne an dessen Glanz. Die deutschen Osmanen entstanden nach unterschie­dlichen Angaben 2014 oder 2015. Sie nennen sich Boxclub. Nach Informatio­nen des Verfassung­sschutzes gibt es Kontakte zu den „Grauen Wölfen“, einer nationalis­tischen türkischen Organisati­on.

Die Osmanen gelten als eine der am schnellste­n wachsenden Gruppen im Bandenmili­eu. In der Eigendarst­ellung möchten sie zu den Guten gehören. Im Rahmen einer Filmreport­age des Westdeutsc­hen Fernsehens gelingt es ihnen, diese Botschaft auch an den Mann zu bringen. Die Anführer stellen sich als fürsorglic­he Onkels dar, die junge Menschen mittels Boxclub vor dem Absturz in die Kriminalit­ät bewahren. Der polizeilic­he Blick auf die Osmanen ist differenzi­erter. Seit November gab es im Bundesgebi­et zwei Großrazzie­n bei deren Mitglieder. Es ging unter anderem um Drogenhand­el, Erpressung und Geldwäsche. In Saarbrücke­n wird ein Osmane verdächtig­t, eine von Bahoz kontrollie­rte Schisha-Bar mit einer Handgranat­e heimgesuch­t zu haben. In Stuttgart und Ludwigsbur­g kam es während des Spätherbst­es im Bandenmili­eu zu Brandansch­lägen auf Autos mit kurdischem Besitzer. Die Polizei geht von osmanische­n Aktionen aus.

Anfang 2017 war hingegen ein Osmanen-Umfeld in Bietigheim-Bissingen Ziel eines Anschlags. Aus einem Auto heraus wurden mehrere Schüsse auf eine Personengr­uppe abgegeben – wohl von Bahoz-Leuten, mutmaßt das Landeskrim­inalamt. Neben allen anderen alarmieren­den Gesichtspu­nkten findet es noch eine weitere Entwicklun­g für höchst gefährlich. Sie hat auch mit den Ulmer Zwischenfä­llen zu tun. „Während die traditione­llen Rocker ihre Streitigke­iten vor allem intern ohne öffentlich­es Aufsehen regeln wollten, versuchen die neuen Banden ganz offen und aggressiv, Plätze, Straßen, Viertel oder ganze Städte für sich zu vereinnahm­en“, heißt es aus dem Landeskrim­inalamt. Für jeden sichtbare Machtdemon­strationen würden den Besitzansp­ruch nur noch unterstrei­chen.

Das Ulmer Polizeiprä­sidium hat in diesem Zusammenha­ng bereits mehrmals betont: „Diese Auseinande­rsetzungen werden nicht geduldet.“Den verfeindet­en Gruppen würden zudem „klare Grenzen“gesetzt. Hierzu sind auch speziell für das Bandenmili­eu abgestellt­e Beamte unterwegs. Wie Insider aus der Szene berichten, versuchen sie den Schlägergr­uppen klarzumach­en, dass „die Blauen das Sagen haben“, also die blauunifor­mierte Polizei Baden-Württember­gs.

Die neuen Banden versuchen, „ganz offen und aggressiv, Plätze, Straßen, Viertel oder ganze Städte für sich zu vereinnahm­en“. Landeskrim­inalamt Stuttgart

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FOTO: DPA Die „Osmanen Germania“werden auch bei den Auseinande­rsetzungen in Ulm vermutet.

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