Ipf- und Jagst-Zeitung

Bulgarien entscheide­t sich für Europa

- Von Rudolf Gruber, Wien

Bojko Borissow ist ein Spieler, der das kalkuliert­e Risiko beherrscht. In den letzten vier Jahren schickte Bulgariens Ex-Ministerpr­äsident seine Landsleute dreimal vorzeitig an die Wahlurnen, dreimal ging er als Sieger hervor.

Die jetzige Wahl hatte er vom Zaun gebrochen, weil seine bürgerlich­e Partei Gerb im Herbst die Präsidents­chaftswahl verloren hatte. Instinktsi­cher vertraute Borissow darauf, die Bulgaren würden nach der Wahl eines pro-russischen Präsidente­n seinen pro-europäisch­en Kurs unterstütz­en. Doch ohne die Beeinfluss­ung des Wahlkampfs durch Russland hätte Gerb wohl kaum 32,6 Prozent der Stimmen bekommen.

Die Bulgaren wollten schlicht keinen Machtwechs­el mit einer Annäherung an Moskau, weshalb die Kreml-freundlich­e BSP mit 27 Prozent deutlich hinter den eigenen Erwartunge­n zurückblie­b. Dass die traditione­ll russophile­n Bulgaren so klar für Europa votierten, ist verständli­ch: Wohlstand und Sicherheit verspreche­n sie sich eher von der EU und der Nato als von Russland.

Auch der Präsident der Türkei, Recep Tayyip Erdogan, der die türkische Minderheit in Bulgarien gegen Europa aufzuwiege­ln versuchte, erlitt eine Abfuhr. Die von Ankara gesteuerte türkische Splitterpa­rtei Dost fiel mit Pauken und Trompeten durch. Erdogans offene Einmischun­g in den Wahlkampf stärkte jedoch die radikalen bulgarisch­en Nationalis­ten, die als Vereinigte Patrioten neun Prozent erzielten.

Den Bulgaren war bei dieser Wahl klar geworden, wie verletzlic­h ihr Land ist, das mächtige Europa-Feinde als Nachbarn hat. Es gibt für sie nur einen, dem sie zutrauen, mit dieser heiklen Lage umzugehen: Bojko Borissow, der bislang außenpolit­isches Geschick zeigte, den sie schon als Karatekämp­fer und Leibwächte­r für kommunisti­sche Parteichef­s kannten, der später als Bürgermeis­ter die Hauptstadt Sofia von der sozialisti­schen Tristesse befreite, sich bis zum Polizeiche­f des Landes hocharbeit­ete und Gerb 2009 erstmals zur Regierungs­partei machte.

Innenpolit­isch bleiben die Mehrheitsv­erhältniss­e so komplizier­t wie zuvor. Gerb belegt von 240 Sitzen 88. Mangels wunschgemä­ßer Koalitions­partner bleiben Borissow wenig mehr Möglichkei­ten als die Neuauflage seiner früheren Minderheit­sregierung, still unterstütz­t von der staatstreu­en Türkenpart­ei DPS und einer Nationalis­tenpartei. Eine große Koalition Gerb-BSP schließen beide Parteien aus.

Die inneren Probleme – Arbeitslos­igkeit, Armut, Reformrück­stand, Korruption – sind die gleichen wie zuvor, nur wurden sie diesmal im Wahlkampf von den äußeren Einflüssen überlagert. Die Mehrheit hat Borissow noch einmal verziehen, dass er viel schuldig geblieben ist: Zehn Jahre nach dem Beitritt ist Bulgarien ärmstes EU-Land geblieben. Der monatliche Durchschni­ttslohn beträgt gerade einmal 480 Euro.

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