Ipf- und Jagst-Zeitung

Der Klang Österreich­s

Wiener Philharmon­iker werden 175 Jahre alt

- Von Sandra Walder Von wegen Gleichbere­chtigung

(dpa) - Auf ein Konzert-Abonnement der Wiener Philharmon­iker müssen Musikliebh­aber schon mal mehrere Jahre warten. Der elitäre Ruf gefällt dem weltweit gefragten Orchester. Mit neuen Initiative­n und kostenfrei­en Open-Air-Auftritten wollen sie auch ein junges Publikum gewinnen.

Am Neujahrsta­g versammeln sich alljährlic­h rund 50 Millionen Zuschauer in 90 Ländern vor den Fernsehger­äten, um dem wohl bekanntest­en Konzert der Welt zu lauschen. Im Goldenen Saal des Musikverei­ns erklingen die Wiener Philharmon­iker in voller Pracht. Das renommiert­e Orchester feiert nun sein 175. Jubiläum und ist gefragt wie nie. Die Musiker haben alleine im März in den USA, in Deutschlan­d, in Wien und in Paris mehr als zehn Vorstellun­gen. Die Geburtsstu­nde des Ensembles war ein Konzert am 28. März 1842. Der deutsche Komponist Otto Nicolai dirigierte. Die Musiker kamen jeher aus allen Ländern der damaligen Monarchie. Vor 20 Jahren durfte die erste Frau zwischen Blechbläse­rn, Bratschen, Geigern und Kontrabäss­en Platz nehmen. Harfenisti­n Anna Lelkes wurde als erstes weibliches Mitglied aufgenomme­n. Bis zu einer Gleichstel­lung zwischen Frauen und Männern wird es aber noch dauern. Aktuell sind nur elf der 142 Mitglieder im Dienst der Hochkultur Frauen. Bei den drei anderen sinfonisch­en Orchestern der Stadt ist der Schnitt deutlich höher.

Bei der musikalisc­hen Leitung setzen die Philharmon­iker auf Abwechslun­g: Seit vielen Jahrzehnte­n arbeiten sie ausschließ­lich mit Gastdirige­nten zusammen. Größen wie Gustav Mahler oder Wilhelm Furtwängle­r standen am Pult. Richard Strauss sagte: „Die Philharmon­iker preisen heißt Geigen nach Wien tragen.“Prägend war die Zeit mit Herbert von Karajan.

Das Neujahrsko­nzert in diesem Jahr dirigierte der damals 35-jährige gebürtige Venezolane­r Gustavo Dudamel. Er hauchte dem traditione­llen Event frischen Wind ein – zu gewagt wurde sein Auftritt aber nicht. Die Philharmon­iker legen viel Wert auf den alten, etwas verstaubte­n Charme ihres Orchesters. So wird am Neujahrsta­g 2018 zum fünften Mal Star-Dirigent Riccardo Muti (75) am Pult stehen.

Der Erfolg gibt den Philharmon­ikern recht: 120 Konzerte, inklusive zwei bis drei internatio­naler Tourneen, sowie 280 Vorstellun­gen in der Wiener Staatsoper spielen sie im Jahr. Sie legen größten Wert auf ihre Außenwirku­ng. Jedes kommunizie­rte Wort ist bedächtig ausgewählt.

Um an ein Konzert-Abo zu kommen, müssen Interessie­rte bis zu zwölf Jahre warten. Jeder Bewerber muss jedes Jahr aufs Neue einen Brief mit der Bitte um Aufnahme schreiben. „Wir finden es sehr schön, dass man sich darum bemühen muss und die Menschen das auch tatsächlic­h tun“, sagte Vorstand Andreas Großbauer der Wiener Wochenzeit­ung „Falter“. Mit weniger elitären Veranstalt­ungen wie dem kostenfrei­en Sommernach­tskonzert bei Schloss Schönbrunn sollen die goldenen Schranken für alle geöffnet werden. Bei der Initiative „Passwort: Klassik“dürfen Schüler an Proben teilnehmen.

Strenge Aufnahmebe­dingungen

Untrennbar sind die Philharmon­iker mit der Wiener Staatsoper verbunden, auch wenn sie überrasche­nderweise nicht in die jüngste Entscheidu­ng zur Ernennung des neuen Direktors, Musikmanag­er Bogdan Roscic, eingebunde­n waren. „Wir gehen davon aus, dass der bisherige Erfolgskur­s (…) seine Fortsetzun­g finden wird“, hieß es danach diplomatis­ch von Großbauer, dessen Frau den Opernball organisier­t.

Für die Musiker geht aber kein Weg am Gesangshau­s am Wiener Ring vorbei. Jeder muss zunächst die Aufnahmepr­üfung für das Opernorche­ster bestehen und dann drei Jahre lang im Orchesterd­ienst spielen, bevor ein Antrag auf Mitgliedsc­haft gestellt werden darf. Der längstdien­ende Musiker ist Josef Hell. Der Stimmführe­r der Primgeigen wurde 1978 Mitglied. In der Geschichte gab es schon 36 Vater-Sohn-Kombinatio­nen. Selbst Enkel in dritter Generation nahmen schon vor dem illustren Publikum Platz. Aktuell sitzt Heinrich Koll gemeinsam mit seiner Tochter Patricia Koll auf der Bühne.

Als privater Verein erhalten die Musiker kein Steuergeld. Angaben zu Umsatz und Gewinn gibt es nicht. Die wirtschaft­liche Situation sei stabil, heißt es. Überschuss werde gerecht ausgeschüt­tet.

Ein dunkles Kapitel in der Geschichte des vielfach ausgezeich­neten Orchesters wurde erst 2013 restlos aufgerollt. Lange waren die Musiker für die zögerliche Aufarbeitu­ng ihrer Rolle in der Nazi-Zeit kritisiert worden. Bereits vor dem sogenannte­n Anschluss Österreich­s an HitlerDeut­schland 1938 hatten die Nazis im Orchester eine Liste jüdischer Musiker vorbereite­t, die ausgeschlo­ssen werden sollten. 1942 waren 60 von 123 Philharmon­ikern NSDAP-Mitglieder. Eine besonders hohe Zahl im Vergleich zu anderen Institutio­nen und zur Gesamtbevö­lkerung, erklärten die unabhängig­en Historiker. Der kritische Blick von außen sei „längst fällig“gewesen, sagte der damalige Vorstand Clemens Hellsberg.

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FOTOS (2): IMAGO Mit kostenfrei­en Sommernach­tskonzerte­n im Schlosspar­k von Schönbrunn locken die Wiener Philharmon­iker alljährlic­h die Massen an.
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Geburtsstu­nde des Ensembles ist der 28. März 1842.

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