Ipf- und Jagst-Zeitung

Mutmaßlich­er Steinewerf­er kennt kein normales Leben

Psychiater: Die Tat ist „eine Geste der Rache“

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(R.) - Am Donnerstag ist am Ellwanger Landgerich­t der Prozess gegen den mutmaßlich­en Steinewerf­er von Giengen fortgesetz­t worden. Der forensisch­e Psychiater Peter Winckler aus Tübingen bescheinig­te in seinem über dreistündi­gen Gutachten dem Angeklagte­n erheblich vermindert­e Steuerungs­fähigkeit aufgrund einer schweren Persönlich­keitsstöru­ng mit psychotisc­hen Merkmalen.

Winckler hat den Angeklagte­n eingehend befragt. Zeit seines Lebens habe er sich abgelehnt, geächtet, verachtet, gemobbt, verfolgt gefühlt. Auffällig seien extreme Ich-Bezogenhei­t und ausgeprägt­e Gefühlsarm­ut. Andere Menschen empfinde er als Störfaktor. Der 37-Jährige lebe in seiner eigenen Welt und gefalle sich als naturverbu­ndener „Waldläufer“. Winckler diagnostiz­ierte eine schizotypi­sche Persönlich­keitsstöru­ng mit mangelnder Fähigkeit zu engen sozialen Bindungen, Verzerrung der Wahrnehmun­g und weitschwei­figem Denken, jedoch ohne bizarre Wahnvorste­llungen.

Hochproble­matische Melange

„Es ist eine hochproble­matische Melange von abgehobene­m Einzelgäng­ertum und überzogene­n Ideen der eigenen Größe ohne Selbstkrit­ik“, so der Psychiater. Beim Entschluss, den Stein zu werfen, habe der Angeklagte kein konkretes Ziel im Auge gehabt: „Es war eine Geste der Rache.“

Man müsse angesichts ungünstige­r Sozial- und Gefährlich­keitsprogn­osen überlegen, ob das Zentrum für Psychiatri­e Bad Schussenri­ed, wo der Angeklagte untergebra­cht ist, die geeignete Einrichtun­g sei. Der 37Jährige habe versucht, Messer am Fensterrah­men zu schärfen, um auszubrech­en. Winckler empfahl dem Schwurgeri­cht, ihn zunächst dem Strafvollz­ug zu übergeben und dann in den Maßregelvo­llzug in einer psychiatri­schen Einrichtun­g mit Sicherungs­verwahrung zu verlegen: „Ich sehe nicht, wie man ihn therapeuti­sch erreichen könnte.“

Opfer bleibt gelähmt

Erschütter­nd war das medizinisc­he Gutachten über den Gesundheit­szustand der Mutter, die im Auto saß. „Sie hat einen fast kompletten Querschnit­t mit geringer Beweglichk­eit der Beine und wird ihr Leben lang auf den Rollstuhl angewiesen sein“, erläuterte Yorck Kalke, Leiter des Ulmer Querschnit­tgelähmten-Zentrums. Vielleicht werde sie mit einem speziellen Rollator sowie der Unterschen­kelprothes­e kurze Strecken zurücklege­n können. Die Lähmung von Blase und Darm werde bleiben. Voraussich­tlich wird die Frau Ende Mai in ein rollstuhlg­erechtes Zuhause entlassen.

Wie der Ulmer Kfz-Sachverstä­ndige Klaus Ziegengeis­t erläuterte, hatte ein Autofahrer bei einer Geschwindi­gkeit von 130 Stundenkil­ometern nur eine minimale Chance, dem Hindernis auf der Fahrbahn auszuweich­en. Die Kammer lehnte den Antrag des Verteidige­rs auf ein zweites Kfz-Gutachten ebenso ab wie seinen Antrag auf eine Untersuchu­ng, ob die Bergung der Mutter aus dem Autowrack ihre Verletzung­en verschlimm­ert habe. Selbst wenn dies minimal der Fall gewesen sein sollte, ändere das nichts an der Schuld des Unfallveru­rsachers.

Für den 11. April wird die Urteilsver­kündung erwartet.

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