Der Falkner, der die Freiheit liebt
Leo Mandlsperger vertreibt gerade Saatkrähen in Laupheim – Sonst züchtet der Oberbayer Greifvögel für arabische Scheichs
- Leo Mandlsperger ist nicht gläubig. „Gottgegeben“, sagt der Falkner aus Oberbayern, sei aber seine Gabe, wie er mit Vögeln umgehen kann. Sogar Scheichs aus Abu Dhabi, Kuwait und den Vereinigten Arabischen Emiraten, den Mutterländern der Beizjagd, vertrauen dem 65-Jährigen ihre Greifvögel an, damit er den Tieren das Jagen lehrt. Seit Februar soll Mandlsperger in Laupheim im Landkreis Biberach mithilfe seiner „gottgegebenen“Gabe eine bereits jahrzehntelang andauernde Saatkrähen-Plage beenden. Ob das klappt, ist offen.
Noch bevor sich die Krähen ein Nest bauen können, sollen ihnen die Greifvögel Angst einjagen und sie vertreiben. Sieben Tage die Woche und bis zu 14 Stunden am Tag sind Falkner Mandlsperger und sein Team deshalb auf den Beinen. Wie der Hund einer Schafherde sollen die Falken den 1500 Krähen die richtige Richtung vorgeben. Sie dürfen sich nur dort sicher fühlen, wo sie sich später auch niederlassen sollen. Sobald Mitte April die Brutzeit beginnt, werden die Tiere in Ruhe gelassen.
Die Jagdvögel haben es fast ausschließlich auf eine Attrappe abgesehen, die der Falkner an einer Art Angel durch die Luft schwingt. Dieses Federspiel, so nennt es der Fachmann, ähnelt einem spanischen Stierkampf – der Falkner ist der Torero: Kurz bevor der Greifvogel die Attrappe zu packen bekommt, zieht Mandlsperger die Angel weg, der Vogel fliegt ins Leere und startet den Angriff erneut. Allein die Anwesenheit der Greifvögel und die Androhung von Gefahr schüchtere die Krähen ein, erklärt der Falkner dieses Schauspiel. Ab und an lässt er seine Vögel aber auch richtig Beute machen; andernfalls, erklärt er, würden die Krähen die Taktik schnell durchschauen.
In Deutschland wird geschossen
Eine solche Vogelvergrämung mit Greifvögeln hat Mandlsperger schon mehrmals in Deutschland geleitet, erstmals auf einem Militärflughafen in Nordholz an der Nordsee. „Überall wird das gemacht, nur in Deutschland schießt man die Vögel lieber ab“, sagt der gebürtige Oberbayer, der die Greifvögel extra dafür in seiner Falknerei in Egenburg, südöstlich von Augsburg, ausgebildet hat.
70 Tage nach der Geburt werden die Tiere von ihren Eltern getrennt und das Jagdtraining beginnt. Wie bei der Vergrämung spielt auch hier das Federspiel eine wichtige Rolle. Ein gut trainierter Vogel schafft zwischen 60 und 80 solcher Angriffsflüge auf die Attrappe, dann ist er erschöpft. Nach drei Monaten könne ein durchschnittlicher Falke auf richtige Beutejagd gehen. Dabei steigen die Greifvögel bis zu 3000 Meter auf, suchen nach ihrer Beute und stürzen dann auf ihr ausgewähltes Ziel herab. Sie erreichen Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 380 Kilometern pro Stunde. „Das ist brutal. Man hat das Gefühl, selber mit herunterzustürzen“, schwärmt der Falkner. Als Belohnung bekommen die Vögel ein Fleischstück und zerrupfen es mit ihrem Schnabel.
Auch die Rüstungsindustrie und das Militär würden sich diese Art des Fliegens und des Jagens zum Vorbild nehmen. „Kampfjets sind entsprechend gebaut“, erklärt Mandlsperger. Das Formationsfliegen sei den Wanderfalken abgeschaut.
Obwohl es sich bei der Ausbildung der Vögel zum Jagdwerkzeug um eine mehr als 2000 Jahre alte Schule handelt, wirkt das Handwerk aktuell. Auch die Digitalisierung wird von den Falknern genutzt. Aufgaben, die früher Heliumballone beim Training übernahmen, werden jetzt von Drohnen ausgeführt: „Das macht das Training noch einfacher und effizienter“, sagt Mandlsperger. „Du darfst nicht stehen bleiben. Du musst immer vorwärts denken.“Doch am Grundsätzlichen hat sich nichts verändert. Die Handlung bleibt naturbelassen, der Falkner gibt kein Kommando zum Jagen: Das Tier will töten, es will Beute machen.
Und genau das ist es, was Mandlsperger so an seinen Vögeln fasziniert. „Ich liebe es, dem Vogel zuzuschauen, wie er in seiner aberwitzigen Art Beute macht.“Makaber sei das nicht, das Jagen und Töten passiere in der Natur „millionenfach“. Er verspüre ein schwer zu beschreibendes „gutes Gefühl“, wenn sich das Tier aus 3000 Meter auf einen Fasan stürze. Es sei zwar brutal, aber es löse bei ihm immer wieder „Gänsehaut“aus.
Seine Eltern, eine „ganz normale Arbeiterfamilie“, waren von seiner Liebe zu den Vögeln nie begeistert. „Ich wollte immer einen Vogel haben“, erzählt er. Als „kleiner Bub“hat er dann einen Turmfalken gefunden, der in seiner Heimatstadt Gernlinden bei Maisach im oberbayerischen Landkreis Fürstenfeldbruck wegen zu starkem Wind aus einem Nest gefallen ist. „Zwei waren schon tot, der eine hat noch gelebt.“Und den nahm der damals zehnjährige Mandlsperger mit nach Hause. „Damals waren die Vorschriften noch anders.“Er zog seinen Horst groß – Horst, weil sein Freund, der bei der Rettungsaktion dabei war, eben Horst hieß.
Mandlsperger kaufte sich das Buch „Der wilde Falke ist mein Gesell“von Renz Waller – die „Bibel, wenn du etwas mit Vögeln machen willst“. Daraus lernte er alles, was er für sein Hobby wissen musste. Renz Waller, Vogelexperte und mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet, wurde zu einem Vorbild für Mandlsperger. Jedes weitere Wissen brachte sich der Volksschüler, der danach 25 Jahre als Fernmeldetechniker bei der Bundespost arbeitete, selber bei. Zu seiner Jubiläumsfeier bei der Bundespost ging er gar nicht erst. „Ich lag am Morgen in meinem Bett und hatte keinen Bock mehr, beim Staat angestellt zu sein.“
Er macht die Werkstatt dicht
Der „unkündbare Leo“, wie ihn seine Postkollegen nannten, eröffnete eine Motorradwerkstatt für Harley-Davidson-Maschinen. „Immer Vögel, immer Harley“, war lange Zeit sein Motto. Bis zu jener Nacht, in der der damalige US-Präsident George W. Bush befahl, als Reaktion auf den Terroranschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 in Afghanistan einzumarschieren: „Dann war bei mir Schluss mit ,Made in USA’.“Iran, Irak und Afghanistan – in den Augen des Falkners wunderschöne Länder wie das „Klischeebild von Adam und Eva“. Dann hört er auf mit dem Motorradladen „Easy Rider“, die Werkstatt wurde geschlossen. Es blieb ihm nur die Liebe zu seinen Vögeln, die bis dahin noch gar kein Geschäft war.
Dann kam aus Abu Dhabi Mohammed al-Badi, der erste Araber, der ihn mehrmals darum gebeten hat, seine zwölf Falken gleichzeitig für die Jagd auszubilden – egal was es kostet. Das konnte Mandlsperger nicht mehr nebenher leisten und wurde hauptberuflich Falkner. Ein Entschluss, der aber wohl nicht nur als eine Folge aus dem Afghanistan-krieg zu verstehen ist, sondern auch, weil die arabischen Länder, wo Falken ein Statussymbol darstellen, dem Washingtoner Artenschutzabkommen beigetreten waren. Mit wildlebenden Tieren durfte kein Handel mehr betrieben werden, die Falken mussten gezüchtet werden und darin kannten sich die Araber nicht aus. „Viele haben davon profitiert“, sagt Mandlsperger, der sich damit einen Jugendtraum erfüllen konnte: „Ich wollte immer mal in der Wüste im Sand sitzen, in einem Land, wo die Falknerei herkommt.“Er fliegt aber nicht nur nach Abu Dhabi, Dubai oder Kuwait, die Scheichs besuchen den Vogelliebhaber auch in Oberbayern.
Und obwohl er den Arabern „viel zu verdanken“hat und er die arabische Gastfreundschaft zu schätzen weiß, will er immer weniger mit den Geschäften und mit dem vielen Geld zu tun haben. „Die Vögel werden rauf und runter gehandelt wie Autoreifen.“Je nach Vogelart, Gefieder, Geschlecht und Verwendung können die Tiere auf dem Markt ganz schön teuer werden. Ein unausgebildeter männlicher Sakarfalke kostet zwar gerade mal 800 Euro, ein Gerfalke in superweiß oder ein Sakarfalke, der aufgrund eines Genfehlers mit goldenem Gefieder geschmückt ist, könne bis zu 70 000 Euro wert sein, erklärt der Falkner. Allein das vierbis fünfmonatige Training mit einem Gerfalken kostet 8000 Euro.
Das ist viel Geld, das Mandlsperger aber nicht mehr wirklich interessiert. Auch wenn er sich jung fühlt, denkt er bereits ans Bücherschreiben. Er will sein Wissen über die Vögel weitergeben. Seinen beiden Söhnen, Jan und Georg, würde er die Falknerei gerne überlassen, doch sie „winken ab“, wenn er in ihrer Gegenwart von den Vögeln spricht. Seine Nachfolgerin soll die 17-jährige Lillian Hartmann werden. Eine Nachwuchsfalknerin, die vor fünf Jahren ihre Falknerprüfung bei ihm abgelegt hat und seither jede freie Minute mit den Vögeln verbringt.
Beide Söhne würden zwar gerne jagen, aber eben nicht mit Vögeln. Georg war schon mal Teil des Falkner-Unternehmens, das habe aber nicht funktioniert. „Ich liebe meine Kinder, aber meine nicht ganz so rühmliche Papi-Karriere bereue ich ein bisschen“, sagt Mandlsperger, der bereits zweimal verheiratet war.
Seine Frauen kamen am Ende doch nicht mit seiner Freiheitsliebe zurecht. Irgendwann hätten sie ihn zähmen wollen. Das ging aber nicht, denn in seinem Herzen sind vor allem die Vögel und die Freiheit.