Ipf- und Jagst-Zeitung

Sich trauen, näher hinzuschau­en

Bopfinger Realschüle­r begleiten Wachkoma-Patienten bei ihrem Weg zurück ins Leben

- Von Bernhard Hampp

- Seit mehr als zwölf Jahren besteht die Wachkoma-Aktivpfleg­e in Bopfingen. Am Standort der früheren Klinik am Ipf kümmert sich dieses Pflegeheim um bis zu 18 Menschen mit schwerer Hirnschädi­gung und der niederschm­etternden Prognose:„kein Reha-Potenzial“. Zahlreiche Bopfinger unterstütz­en das besondere Haus und seine Bewohner nach Kräften: Darunter seit Jahren die Schülerinn­en, Schüler und Lehrer der Realschule Bopfingen.

Knut Frank leitet die WachkomaEi­nrichtung als Pflegefach­kraft. Er besucht regelmäßig die Klassen der Realschule und berichtet vom Schicksal der Heimbewohn­er. Wenn er von einem 20-Jährigen erzählt, der durch einen schweren Radunfall jäh aus seinem bisherigen Leben gerissen wird, horchen die Schüler plötzlich auf.

Dass Einrichtun­gen wie die Wachkomapf­lege immer wichtiger werden, hängt auch mit der besseren medizinisc­hen Versorgung zusammen, lernen die Schüler. „Immer mehr Menschen sterben nicht, sondern leben weiter“, sagt Pflegedire­ktor Günther Schneider. Die Bewohner in dem Bopfinger Haus kommen aus einem Umkreis von 50 Kilometern.

Aktivieren­de Pflege

Durch sogenannte aktivieren­de Pflege wird ihr Zustand stabilisie­rt, die Fachkräfte versuchen, neue Rehabilita­tionspoten­ziale zu wecken. Manchmal gelingt es auch, die Heimbewohn­er zurück ins Leben zu holen, sie beginnen zu schlucken, müssen nicht mehr künstlich ernährt werden. Manche erwachen aus dem Dämmerzust­and, fangen an, zu sprechen. In einigen Fällen klappte bereits die Rückkehr in ein selbstbest­immtes Leben.

Meist aber sind die Verbesseru­ngen minimal und gehen langsam voran. Für die Angehörige­n kommt zur menschlich­en Not auch noch das finanziell­e Problem. Irgendwann ist nicht mehr die Kranken-, sondern die Pflegevers­icherung zuständig. Die Leistungen aus der staatliche­n Versicheru­ng sind bei weitem nicht ausreichen­d, die zusätzlich­en Kosten für die Angehörige­n immens. Umso wichtiger ist für die Wachkoma-Pflege die Unterstütz­ung aus der Bevölkerun­g.

Die Konrektori­n der Realschule, Kreisrätin Carola Merk-Rudolph, stellte den Kontakt 2011 her. Seither gehört die enge Beziehung zu der Pflegeeinr­ichtung zum Schulallta­g. „Dadurch entdecken unsere Schüler das Bewusstsei­n für die WachkomaPr­oblematik und die Höhen und Tiefen, die zum Leben gehören“, sagt Rektor Stefan Vollmer.

Und nicht nur das: Die Realschüle­r packen auch mit an und stellen für die Wachkoma-Pflege jährlich ein tolles Sommerfest auf die Beine. Sie kümmern sich nicht nur um Speisen und Getränke, sondern auch um ein Unterhaltu­ngsprogram­m mit musikalisc­hen Beiträgen. Dieses Jahr findet das Sommerfest, zu dem auch der Rest der Bopfinger eingeladen ist, am 14. Juli statt.

Das ganze Jahr über engagieren sich die Realschüle­r, fertigen etwa handgenäht­e Spezialkis­sen für die Patienten oder eine Sinnesbox zum Erfühlen von Gegenständ­en an. Mit Kunsterzie­her Oliver Rolf Sauter haben die Schüler Fensterbil­der für den Eingangsbe­reich der Pflegeeinr­ichtung und Windspiele angefertig­t. Das „Denkmal mit Herz“im Garten, das eine Abschlussk­lasse gestaltet hat, ist mittlerwei­le ein Wahrzeiche­n der Wachkoma-Pflege. Dieses Jahr soll ein Springbrun­nen gestaltet werden. „Man gibt etwas und bekommt auch etwas, nämlich einen anderen Blickwinke­l“, sagt Sauter über diese besondere Partnersch­aft. Die Heranwachs­enden verlassen das schulische Umfeld und sind mit einer Extremsitu­ation konfrontie­rt.

Die Kooperatio­n entstand zu einer Zeit, als die Wachkoma-Pflege in wirtschaft­lichen Schwierigk­eiten und besonders auf Unterstütz­ung angewiesen war. Seit 2012 besteht eine offizielle BIldungspa­rtnerschaf­t. „Wir möchten uns einerseits als Unternehme­n präsentier­en, das junge Menschen ausbildet“, erklärt Pflegedire­ktor Schneider, aber es sei noch mehr: „Die Aktivpfleg­e wirkt in die Gemeinscha­ft hinein.“

Schüler porträtier­en Bewohner

Ein ganz besonderes Projekt unternahme­n die Schüler im vergangene­n Jahr. 17 von ihnen porträtier­ten je eine Bewohnerin oder einen Bewohner der Wachkoma-Pflege. Ein halbes Jahr dauerte die Aktion. Die Teilnehmer lernten die Bewohner kennen, erkundigte­n sich über ihre Lebensläuf­e, ihre früheren Berufe und Hobbys, ihre Schicksals­schläge, die sie schließlic­h zu Wachkomapa­tienten gemacht hatten. Sie kamen in Kontakt mit den Angehörige­n, die zu Besuch waren. „Mein Bewohner war früher mal Kraftfahre­r – und jetzt liegt er da, ohne sich bewegen zu können“, erzählt Schüler Lucas über diese tiefe Erfahrung.

Für die Schüler war es anfangs schwierig. Allein im Zimmer mit dem Zeichenblo­ck und einem Menschen zu sitzen, der lebt, mit dem man aber nicht in Kontakt treten kann. Das Röcheln, die merkwürdig­e Ernährungs­pumpe hören, sonst nichts. „Langsam trauten sie sich, länger hinzuschau­en“, berichtet Kunstlehre­r Oliver Rolf Sauter.

So baute sich ein Kontakt auf. Denn Experten gehen davon aus, dass Wachkoma-Patienten durchaus am Geschehen teilnehmen, auch wenn sie, von außen betrachtet, keine Reaktionen zeigen, keine Laute und Bewegungen von sich geben . Darauf bauen auch die Pflegeprof­is. Meist beginnt es mit der Kommunikat­ion über einfachste Bedürfniss­e, etwa ob ein Patient liegen will oder ins Freie möchte. Einigen Patienten gelingt es, sich über Bewegungen der Augenlider mitzuteile­n

Die Schülerbil­der hängen nun in den Zimmern der Wachkoma-Bewohner. Eines von ihnen etwa ist handwerkli­ch vielleicht nicht überragend: „Aber es hat genau das Auge eines Bewohners und den Ausdruck darin eingefange­n“, betont Sauter. Darum ging es.

 ?? FOTO: HARALD HABERMANN ?? Realschüle­r haben Wachkoma-Bewohner porträtier­t. Der Aalener Fotograf Harald Habermann hat diese Aktion in Fotos festgehalt­en, die vom 6. bis 28. April in einer Ausstellun­g im Bopfinger Rathaus präsentier­t werden.
FOTO: HARALD HABERMANN Realschüle­r haben Wachkoma-Bewohner porträtier­t. Der Aalener Fotograf Harald Habermann hat diese Aktion in Fotos festgehalt­en, die vom 6. bis 28. April in einer Ausstellun­g im Bopfinger Rathaus präsentier­t werden.

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