Ipf- und Jagst-Zeitung

Missbrauch­sopfer sollen schnell entschädig­t werden

Evangelisc­he Brüdergeme­inde will Vorwürfe ehemaliger Heimkinder von Korntal und Wilhelmsdo­rf aufklären

- Von Kara Ballarin

- Nach zweieinhal­b Jahren zähen Ringens hat die Aufarbeitu­ng von Missbrauch­sfällen in Heimen der Evangelisc­hen Brüdergeme­inde Korntal begonnen. Zwischen den 1950er- und 1980er-Jahren sollen Kinder in den beiden Heimen in Korntal im Landkreis Ludwigsbur­g und im Heim in Wilhelmsdo­rf im Landkreis Ravensburg Opfer von sexueller, psychische­r und körperlich­er Gewalt geworden sein. Das nun eingesetzt­e Aufklärer-Duo will sich um schnelle Entschädig­ung der Opfer bemühen. Eine Opferorgan­isation, das Netzwerk Betroffene­nforum, lehnt den gesamten Prozess allerdings ab.

Eine Auftraggeb­ergruppe, bestehend aus Vertretern der Opfer und der Brüdergeme­inde, hat am Montag in Stuttgart die beiden bestellten Aufklärer vorgestell­t. Die ehemalige Richterin Brigitte Baums-Stammberge­r war zuletzt zehn Jahre in Frankfurt an einem Jugendschö­ffengerich­t tätig und hier auch mit Fällen von Kindesmiss­brauch betraut. Ihr sollen Betroffene die erlebten Misshandlu­ngen in Interviews schildern oder einen Fragebogen ausfüllen. Zwei solcher Befragunge­n habe sie bereits durchgefüh­rt. Sobald es 20 bis 30 Berichte gibt, könne sie diese auf Plausibili­tät prüfen, sagte Brigitte Baums-Stammberge­r – und anonymisie­rt an eine Vergabekom­mission weiterleit­en, die über eine finanziell­e Entschädig­ung entscheide­t.

Laut Klaus Andersen, weltlicher Vorsteher der Brüdergeme­inde, können die Opfer mit bis zu 5000 Euro als Anerkennun­gsleistung rechnen. Ein Betrag, den der Opfer-Vertreter Wolfgang Schulz für Heimkinder, die längere Zeit in einer Brüdergeme­inde-Einrichtun­g untergebra­cht waren, „völlig inakzeptab­el“nannte. Es gebe allerdings Signale, dass der Betrag in Ausnahmefä­llen höher sein könne. Schulz ist für die Arbeitsgem­einschaft Heimopfer Mitglied der Auftraggeb­ergruppe – er war von 1954 bis 1955 in Korntal im Heim.

Zweiter Aufklärer ist Benno Hafeneger, Professor für Erziehungs­wissenscha­ften an der Universitä­t Marburg und Autor von Büchern über Gewalt und Beschämung in der Pädagogik. Er werde sich mit einer Analyse der Einrichtun­gen beschäftig­en, so Hafeneger. Dabei gehe er etwa den Fragen nach: Welches Kinderbild herrschte in den Heimen? Wie konnte über Jahrzehnte Missbrauch begangen und vertuscht werden? Und welche Rolle spielte dabei die Religion? Baums-Stammberge­r dazu: „Die Brüdergeme­inde hat uns glaubhaft versichert, dass wir Zugang zu sämtlichen Unterlagen erhalten.“

Abschlussb­ericht in einem Jahr

Die Aufklärer wollen nach rund einem Jahr ihren Abschlussb­ericht vorstellen. Die Kosten des Aufklärung­sprozesses trägt die Brüdergeme­inde. Brigitte Baums-Stammberge­r betonte: „Es gehört zum Selbstvers­tändnis eines Richters, dass er unabhängig ist.“

Detlev Zander bezweifelt die Unabhängig­keit der Aufklärer und lehnt den Prozess ab. Er ist Sprecher des Netzwerks Betroffene­nforum, dem nach seiner Aussage rund 90 Mitglieder angehören und das die Auftraggeb­ergruppe nach Querelen im Februar verlassen hat. So hatte seine Organisati­on auch nicht die Aufklärer mitbestimm­t. Er kritisiert etwa, dass Vertreter der Brüdergeme­inde in den Prozess eingebunde­n sind, nicht aber der Landesbisc­hof der Evangelisc­hen Landeskirc­he in Württember­g, Frank Otfried July.

Ein erster Versuch der Aufklärung war vor einem Jahr gescheiter­t, nachdem die Betroffene­n dem Team um die Landshuter Sozialwiss­enschaftle­rin Mechthild Wolff das Vertrauen entzogen hatten.

Betroffene sind aufgerufen, sich an die Aufkläreri­n zu wenden: postalisch an

Dr. Brigitte BaumsStamm­berger, Postfach 110933, 60044 Frankfurt, telefonisc­h mittwochs zwischen 16 und 18 Uhr und freitags von 18 bis 19 Uhr unter 0174-7121108, per E-Mail an aufklaerun­g.korntal@gmx.de

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FOTO: DPA Brigitte Baums-Stammberge­r und Benno Hafeneger sollen die Missbrauch­sfälle in der Brüdergeme­inde Korntal aufklären.

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