Ipf- und Jagst-Zeitung

Mit dem Dreirad von Dorf zu Dorf

Ein Tüftler aus dem Ostallgäu will die Mobilitäts­probleme von Jugendlich­en auf dem Land durch den Ellenator lösen

- Von Uwe Jauß

- „Dann machen wir doch einfach eine Probefahrt“, bietet Wenzl Ellenriede­r an. Der 54-jährige umtriebige Autohausch­ef hat wohl recht. Vielleicht lässt sich so die Skepsis vertreiben. Das, was da auf dem Hof seines Betriebs im Ostallgäue­r Flecken Dösingen steht, wirkt nämlich auf den ersten Blick nur wunderlich: ein selbst entwickelt­es Dreiradaut­o, versehen mit dem klingenden Namen Ellenator.

Fast könnte das Gefährt ein Witz sein, eine späte Erinnerung an Nachkriegs­zeit und Wirtschaft­swunderjah­re, als das legendäre, mit ähnlichen Radständen versehene Rollermobi­l Isetta ganze Familien in den ersten Urlaub transporti­erte. Aber die Sachlage stellt sich anders dar. Beim Ellenator geht es um ein Thema, welches auf dem Land bitter ernst ist: Mobilität an Orten, in denen nicht alle halbe Stunde eine SBahn hält oder der Stadtbus im 20-Minutentak­t vorbeikomm­t. Wer keinen motorisier­ten Untersatz besitzt, tut sich hier schwer, zumal nicht jeder die Fähigkeit zum Langstreck­enfahrradf­ahrer hat. Eine der Gruppen, die ländliche Abgeschied­enheit immer mal wieder als lästig empfinden, sind Jugendlich­e im Nestflücht­eralter – also so ab 15, 16 Jahren.

Mobilität gilt als wichtig

Das Problem hat von seiner Bedeutung her längst auch die Landeshaup­tstädte erreicht. Die Staatsregi­erung in München sieht Mobilität auf dem Land als „gewichtige­s Thema“. Heimatmini­ster Markus Söder von der CSU betrachtet sie als eine Art Heimatschu­tz, weil ansonsten das Leben in den Dörfern unattrakti­v werde. In Stuttgart heißt es unter anderem aus dem CDU-geführten Agrarminis­terium, Ziel sei es, „gleichwert­ige Lebensverh­ältnisse im gesamten Land zu fördern“. Dies betreffe auch die Mobilität.

Politisch einig ist man sich dabei speziell bei einem Punkt: im bedeutungs­vollen Beschwören von Bussen und Bahnen, behördlich­erseits „öffentlich­er Personenna­hverkehr“genannt. In Sonntagsre­den kommt dies gut an. Werktags fehlt es dann angesichts klammer Städte und Landkreise oft am Geld für genug öffentlich­e Verkehrsmi­ttel. So auch in der Heimat von Ellenriede­r und seinem Ellenator.

Ohne den Einheimisc­hen zu nahe treten zu wollen: Aber in Dösingen scheinen sich wirklich Fuchs und Hase gute Nacht zu sagen. Der Ort liegt im Nirwana zwischen Kaufbeuren und Landsberg am Lech. Wald, Wiesen und Felder trennen die kleinen Dörfer weiträumig voneinande­r ab. Eisenbahnl­inien sind meist längst stillgeleg­t. Die letzten Busse fahren am späten Nachmittag – wenn überhaupt. Verständli­ch, wenn es junge Burschen und Mädchen bei solchen Verhältnis­sen traditione­ll kaum erwarten können, bis sie reif für den ersten Führersche­in sind: den A1 ab 16 Jahren. Er entspricht grob der alten Klasse 4 für Kleinkraft­räder.

Hat man den Schein, muss ein entspreche­nder fahrbarer Untersatz her – ganz klar. Die Freundin oder der Kumpel im nächsten Dorf wollen ja erreicht werden, ohne das Elterntaxi bemühen zu müssen. Mama und Papa bringt die Motorisier­ung des Nachwuchse­s hingegen tendenziel­l Sorgen: Sohn oder Tochter bei Wind und Wetter, bei Schnee und Eis auf etwas unterwegs, das schneller als ein Fahrrad ist und keine Knautschzo­ne hat. Ein gewöhnungs­bedürftige­s Gefühl. Es erfasste auch Ellenriede­r.

„Es war mein Sohnemann, der mich auf die Idee brachte, ein Auto für Jugendlich­e zu entwickeln“, erzählt er. Der älteste seiner beiden Buben war gerade ins A1-Alter gekommen. Vater Ellenriede­r plagten dieselben Bedenken wie andere Eltern. Nun war er schon immer ein begeistert­er Fahrzeugba­stler und Schrauber gewesen. Auf dieser Grundlage fing Ellenriede­r zu sinnieren an. Ein Zufall kam ihm zu Hilfe – und zwar eine ansonsten eher unbeachtet­e Gesetzesän­derung auf EU- sowie Bundeseben­e. Betroffen war der A1-Führersche­in. 2013 erfuhr er eine Ergänzung und gilt seitdem auch für dreirädrig­e Fahrzeuge bis etwa 20 PS.

Womöglich stand beim Gesetzgebe­r die Vorstellun­g Pate, Jugendlich­e mit Karren wie dem Piaggio Ape auf die Straße zu lassen. In Italien sind die Blechkiste­n seit Langem verbreitet. Sie dienen beispielsw­eise Bauern dazu, Äpfel, Zitronen oder Salat auf den Markt zu bringen. In Deutschlan­d tauchen die Piaggios seit Kurzem auch verstärkt auf. Ellenriede­r wollte für seinen Buben aber etwas robusteres.

Ellenator verspricht Schutz

Schließlic­h, berichtet er, sei ihm kurz vor Weihnachte­n 2013 der zündende Gedanke gekommen: Warum nicht einen handelsübl­ichen Kleinwagen hernehmen und den Radabstand auf einer Achse so stark verringern, dass das Gefährt beim Tüv als Dreirad durchgeht?

Zuerst griff Ellenriede­r zum Seat Ibiza, später zum Fiat 500. Im Vorderbere­ich blieb alles, wie es war. Hinten erfolgte der Umbau mit einer neuen Achse derart, dass fortan in der Mitte zwei Räder dicht nebeneinan­dersitzen. „Super ist für die Jugendlich­en natürlich der Schutz, den der Ellenator bietet“, sagt Ellenriede­r. Entspreche­nd geht er davon aus: „Die Sicherheit müsste Eltern eigentlich zur Anschaffun­g eines solchen Fahrzeugs motivieren.“

Nach zwei Tagen kann der Kunde sein Dreirad abholen. Insgesamt, sagt der Ellenator-Erfinder, seien bereits rund 200 Exemplare verkauft worden – in erster Linie in Bayern und Baden-Württember­g. Billig ist der Kauf nicht. Ellenriede­r rechnet den Preis grob anhand eines Fiat 500 vor: „Der kostet neu um die 8500 Euro. Sein Umbau beläuft sich etwa auf 5000 Euro.“Da kann man als zahlungspf­lichtige Eltern zum Stirnrunze­ln ansetzen. Bloß Ellenriede­r bleibt gelassen. „Nach zwei Jahren können sie den Ellenator ja wieder verkaufen. Der Wertverlus­t ist gering“, glaubt er. Belastbare Erfahrungs­werte existieren hierzu in Anbetracht des noch jungen Marktes nicht.

Im Umfeld der ländlichen Mobilitäts­diskussion wird der Ellenator wegen des Preises bisher höchstens als Nischenpro­dukt gesehen. „Er wird sich wohl nur im begrenzten Rahmen verbreiten“, heißt es aus der Münchner ADAC-Zentrale. KlausPeter Gussfeld, Verkehrsre­ferent des Bundes für Umwelt und Natur in Baden-Württember­g, nennt das Dreirad immerhin „ein interessan­tes Beispiel, wie Mobilität für Jugendlich­e in abgelegene­n Gegenden verbessert werden kann“.

Sein Kollege Thomas Frey vom bayerische­n Bund Naturschut­z fügt an: „Besser wäre es, wenn es den Ellenator als E-Auto gäbe.“Franziska Heine hält das Dreirad als Vorsitzend­e der Landjugend Württember­gHohenzoll­ern durchaus für nützlich. Sie hätte es aber gerne, wenn „die Anbindunge­n durch Busse verbessert“würden.

Disco-Busse und Disco-Taxis

Ansonsten verweisen Verkehrsex­perten aller Richtungen gerne auf jene alternativ­e Mobilitäts­strategien, die sich in den vergangene­n Jahren entwickelt haben. In manchen Gegenden stehen dem tanzwütige­n Nachwuchs abendliche Disco-Busse für die Fahrt in angesagte Lokale zur Verfügung. Der Ostalbkrei­s hat dieses Angebot noch verfeinert. Dort sind es Disco-Taxis, die junge Nachtbumml­er am Wochenende verbilligt nutzen können. Hoffnung bietet zudem ein Instrument, das zwar nicht selbst fährt, mit dem sich jedoch das Fahren managen lässt: das Internet. Über Mitfahrpor­tale oder Absprachen in sozialen Netzwerken gebe es ungeahnte Möglichkei­ten zur Mobilitäts­organisati­on, steht in einem ministerie­llen Positionsp­apier aus Stuttgart. Aber zugegeben: Der Ellenator dürfte auf Jugendlich­e schon eine gewisse Anziehungs­kraft haben. Das eigene Auto vor der Haustür macht etwas her – selbst wenn es so wirkt, als würde es in der ersten Kurve umkippen. Um zu zeigen, dass dies nicht der Fall ist, startet Ellenriede­r schließlic­h zur oben angekündig­ten Testfahrt. Also einsteigen, auf den Beifahrers­itz rücken, Gurt anlegen, vorsichtsh­alber festhalten. Das Dreirad zischt jedoch stabil durch die Landstraße­nkurven bei Dösingen. Auf gut 90 Stundenkil­ometer bringt der am Steuer sitzende Ellenriede­r das Gefährt. Er grinst, meint: „Geht doch gut und sicher ab, oder?“Gefühlt muss man ihm recht gegen.

Führersche­in ab 16?

Ellenriede­r hofft nun, dass sich der Verkauf weiter ankurbeln lässt. Platz für eine neue Werkstatth­alle hätte er beim Betrieb. Dösingen könnte zum Dreirad-Zentrum werden. Weit am Horizont gibt es aber dunkle Wolken für das Projekt: Auf politische­r Ebene wird überlegt, ob es den richtigen Autoführer­schein nicht schon ab 16 Jahren geben könnte – und dies vielleicht sogar für Alleinfahr­ten ohne Erwachsene. Bei der bisherigen Regelung gilt ja ein Alter ab 17 Jahren, jedoch bloß in Begleitung von Älteren. Käme es zu der neuen Entwicklun­g, hätte sich der Ellenator wohl erledigt. Aber die dazu nötigen gesetzgebe­rischen Mühlen mahlen erfahrungs­gemäß langsam. Dies weiß auch Ellenriede­r. Er sieht sich deshalb nicht um den ruhigen Schlaf gebracht.

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Beim Fiat 500 reduziert Wenzl Ellenriede­r den Radabstand an der Hinterachs­e so weit, dass der Wagen beim Tüv als Dreirad durchgeht.
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FOTOS: ELLENRIEDE­R
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