Ipf- und Jagst-Zeitung

„Ich muss den Terror heute als einen Faktor in unserem Leben hinnehmen“

Der Benediktin­ermönch Notker Wolf über die Zukunft der Klöster und die Rolle der Kirche in unruhigen Zeiten

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- Seit gut einem halben Jahr ist Notker Wolf nicht mehr Abtprimas der Benediktin­er. Der 76-Jährige ist damit zwar nicht mehr weltweiter Sprecher von rund 20 000 Ordensmitg­liedern, doch er hat immer noch einiges zu sagen. Im März erschien sein neues Buch „Schluss mit der Angst – Deutschlan­d schafft sich nicht ab“. Anja Schuster hat mit ihm gesprochen.

Wer entscheide­t sich überhaupt noch für den Weg ins Kloster?

Zum einen sind es diejenigen, die die geistliche Dimension ihres Lebens suchen. Es gehen ja viele auf die Suche nach Spirituali­tät. Zum anderen kommen diejenigen zu uns, die nach einer guten Gemeinscha­ft Ausschau halten, in der sie sich zu Hause fühlen können. Und dann gibt es bei uns auch noch solide Arbeit.

Wie meinen Sie das?

Na, ich muss ja wissen, was ich tue. Wenn ich am Abend nicht weiß, was ich getan habe, ist das recht frustriere­nd. Das ist doch auch das Problem der Arbeitslos­en: Sie wissen einfach nicht mehr, wofür sie da sind, wer sie sind und was sie wert sind. Das ist genauso das Problem der Flüchtling­e. Was sollen die jungen Kerle denn tun, wenn sie keine Chance haben, arbeiten zu gehen. Irgendwo müssen sie ja hin mit ihrer Energie. Wir tun gerade so, als wären sie leiblose Wesen und wundern uns dann, wenn bei ihnen irgendwas durchbrenn­t. Ich würde mir bei uns in allem wieder mehr Realismus wünschen. Wir sollten wieder mehr vom Menschen her denken. Der Mensch ist eben von Natur aus kein Held. Jeder hat seine Schwächen. Das ist nicht tragisch, aber ich muss darum wissen.

SPD-Kanzlerkan­didat Martin Schulz hat eine Diskussion über Agenda 2010 angestoßen. Man hätte mit den Reformen auch den Mindestloh­n einführen und die Superreich­en stärker belasten sollen, sagt er. Wie beurteilen Sie diesen Vorstoß?

Ich habe immer etwas Bauchgrimm­en, wenn ich das Wort Umverteilu­ng höre. Denn natürlich stellt sich die Frage: Wie kann ich eine gerechtere Ordnung herstellen? Es können viele Leute mit dem Geld nicht vernünftig umgehen. Ferner bleibt zu bedenken: Wie stelle ich den Betrug ab, sprich die Steuerfluc­ht, sodass mehr Geld für die Allgemeinh­eit bliebe?

Würden Sie die Einführung einer Vermögenst­euer befürworte­n?

Ja, ab einer bestimmen Größenordn­ung würde ich das bei Privatverm­ögen durchaus für sinnvoll halten. Es ist sicherlich nicht zu niedrig gegriffen, wenn ich sage ab zehn Millionen. Aber auf der anderen Seite zahlen diese Personen schon sehr viele Steuern. Es gibt so viel Sozialneid. Wenn es einer schafft, eine Firma so in Schwung zu halten, dass Tausende Arbeitsplä­tze gesichert sind, ich glaube, dann ist das auch ein wichtiger Faktor, den es anzuerkenn­en gilt.

Die aktuelle politische Debatte in Deutschlan­d ist derzeit ziemlich aufgeheizt, Stichwort AfD. Wie sehen Sie die Rolle der katholisch­en Kirche in dieser Situation?

Nun, ich könnte sagen: „Schlagt euch die Köpfe ein.“Nein, es ist eine politische Partei oder zumindest gibt sie sich so. Da muss sich die Kirche vom Prinzip her zunächst außen vor halten. Es bringt nichts, sich einzumisch­en. Man müsste mit den Leuten diskutiere­n, aber sie sind so ideologisc­h festgefahr­en, dass eine sachliche Diskussion nicht möglich erscheint.

Seit dem Anschlag in Berlin ist auch Deutschlan­d unmittelba­r vom Terror betroffen: Wie sollten Ihrer Meinung nach die Staatengem­einschaft und die Kirche auf diese Bedrohung reagieren?

Nur mit aller Ruhe und Aufklärung. Ich muss den Terror heute als einen Faktor in unserem Leben hinnehmen, so wie ich mögliche Verkehrsun­fälle hinnehmen muss. Der Terror ist einfach heute ein Unsicherhe­itsfaktor, und das gibt es immer wieder.

Letzte Frage: Seit September vergangene­n Jahres sind Sie nicht mehr Abtprimas. Wie hat sich Ihr Leben seitdem verändert?

Etwas hat sich auf jeden Fall nicht verändert: Ich bin ständig auf Achse.

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FOTO: AJS Notker Wolf.

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