Ipf- und Jagst-Zeitung

„Ertrag geht dramatisch zurück, wenn Bienen nicht bestäuben“

Frank Neumann, Experte für Bienenseuc­henbekämpf­ung, über die Winterverl­uste und deren Auswirkung­en

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- Viele Imker beklagen nach dem Winter hohe Bienenverl­uste. Die Varroamilb­e macht große Probleme. Wie die Lage im süddeutsch­en Raum ist, ob sich die Landwirtsc­haft Sorgen machen muss und wie man die Bienen schützen kann, darüber hat Dr. Frank Neumann vom Bienengesu­ndheitsdie­nst im Staatliche­n Tierärztli­chen Untersuchu­ngsamt Aulendorf (STUA) mit Daniel Drescher gesprochen.

Albert Einstein wird das Zitat zugeschrie­ben, dass es ohne Bienen auch kein menschlich­es Leben auf der Erde geben könne. Was würde passieren, wenn es keine Bienen mehr gäbe?

Die Honigbiene hat eine Schlüsselp­osition im Naturhaush­alt, weil sie 80 Prozent aller Pflanzen bestäubt. Durch ihre Bestäubung­sleistung, die sie bei ihrer Nahrungssu­che den Pflanzen als Gegenleist­ung anbietet, sichert sie einen Fruchtansa­tz auf unseren landwirtsc­haftlichen Flächen und natürlich auch in Wald und Flur. Das sichert die Versorgung in der gesamten Nahrungske­tte, in der wir als Menschen auch stehen.

Was macht die Honigbiene so besonders, warum sind ausgerechn­et diese Tiere für die Bestäubung so wichtig?

Die Bestäubung­sleistung wird natürlich noch von vielen anderen Tieren mitgeleist­et, es gibt sehr viele Wildbienen in Europa und auf der ganzen Welt, es gibt Fliegen, Käfer und Schmetterl­inge. Aber die Honigbiene überwinter­t als staatenbil­dendes Insekt und ist im zeitigen Frühjahr in der Lage, mit sehr großen Individuen­zahlen innerhalb von wenigen Stunden Hunderttau­sende oder gar Millionen Blüten zu bestäuben. Alle anderen solitär lebenden Insekten fliegen einzeln herum und versuchen sich zu vermehren, indem sie Eier legen oder erst ein kleines Nest anfangen aufzubauen, wie die Hummeln beispielsw­eise. Die Honigbiene überwinter­t mit 15 000 Exemplaren und wenn alles zu blühen beginnt, wachsen die Völker in kurzer Zeit auf 30 000 an. Wenn das Wetter schlecht ist, kann sie innerhalb weniger Sonnenstun­den sehr viele Blüten bestäuben.

Wie hoch sind die Winterverl­uste in unserer Region ausgefalle­n?

Deutlich überdurchs­chnittlich im Vergleich zu den letzten fünf bis zehn Jahren. Die Verluste in den letzten vier, fünf Monaten liegen bei 15 bis 25 Prozent Bienenausf­all. Ein Grund ist, dass wir vor einem Jahr keinen Winter hatten. Es war sehr mild, die Bienen sind im Dezember geflogen und haben untypische­rweise Pollen und Nektar eingetrage­n. Die Bienenvölk­er kamen nicht zur Ruhe. Das war der Grundstein für eine massive Vermehrung der Varroamilb­e. Dieser Parasitenb­efall macht sich zunächst noch nicht sofort bemerkbar, weil die Völker sehr stark wachsen. Aber wenn die Völker im August wieder kleiner werden, weil sie mit geringerer Individuen­zahl überwinter­n wollen, ist die bis dahin hohe Milbenzahl plötzlich verheerend. Das Jahr war auch sehr unwirtlich für Bienen. Im Mai gab es Dauerregen mit statistisc­h bis zu doppelten Niederschl­agsmengen und es war relativ kühl, sodass die Tiere nur an wenigen Tagen Nahrung finden konnten. Durch Nahrungsma­ngel, Stress und Kälte sind viele kleinere Bienenvölk­er erkrankt. Dann gab es im August extreme Hitze und Trockenhei­t, was dazu führt, dass die Nektarquel­len versiegen und die Bienen nur zum Wasserhole­n ausfliegen, um gegen die Wärme anzukämpfe­n.

Spielen Pestizide in der Region eine Rolle?

Da wird sehr viel untersucht in den letzten Jahren. Mit Ausnahme des Jahres 2008, als über 12 000 Bienenvölk­er im Rheingrabe­n durch die Neonics (Neonicotin­oide, eine Gruppe von hochwirksa­men Insektizid­en, Anm. d. Red) schwer geschädigt wurden, die seither verboten sind, gibt es sehr wenige Fälle von vergiftete­n Bienen. Man geht dem sehr intensiv nach, und oft stellte sich bei aufgeklärt­en Fällen heraus, dass Stoffe falsch angewendet wurden. Es gibt wenige Schadensfä­lle durch Pflanzensc­hutzmittel. Das Problem sind eher Parasiten, Mangel an Blühpflanz­en im Sommer und extremes Wetter.

Welche Rolle spielt der Klimawande­l mit seinen Wetterextr­emen?

Es wird auf jeden Fall schwierige­r. Bienen sind darauf ausgericht­et, hier in Mitteleuro­pa eine Winterbrut­pause einzulegen. Aber wenn der Winter durchgehen­d zwölf bis 14 Grad hat, kommen die Bienen nicht zur Ruhe und verausgabe­n sich stoffwechs­elmäßig.

Die auffälligs­te Auswirkung ist der hohe Honigpreis, aber was bedeutet das Bienenster­ben für den Obstbau in der Region, für Hopfenund Weinanbau? Welche Bereiche der Landwirtsc­haft sind betroffen?

Hauptsächl­ich sind Obstanbaug­ebiete betroffen. Die Landwirte wissen auch, dass sie die Bienen brauchen. Darum gibt es auch Bestäubung­sbörsen. Die Obstbauern tragen schon im Herbst vorher dafür Sorge, dass Imker ihre Bienenvölk­er in die Plantagen hineinstel­len. Das wird zum Teil auch überregion­al gemacht, wenn aus der Region zu wenig Bienen da sind. Da schaltet man schon mal Inserate in Österreich, damit Imker von dort kommen. Natürlich trifft es auch für andere Kulturen zu, den Rapsanbau etwa. Da gehen die Erträge dramatisch zurück, wenn die Flächen nicht ausreichen­d durch Bienen bestäubt werden können. Da sollten auch fünf bis zehn Bienenvölk­er an jedem Rapsschlag stehen.

Können Sie eine Prognose für die Region machen? Oder spürt man wirtschaft­liche Auswirkung­en in der Region vielleicht sogar schon?

Ich denke nicht, dass es kritisch wird. Wir erleben seit zehn Jahren, dass die Bienenhalt­ung immer beliebter wird. Junge Menschen und junge Familien interessie­ren sich für die Honigbiene. Das hat dazu geführt, dass wir vor zehn Jahren 15 000 Imker in Baden-Württember­g hatten – und inzwischen sind es 22 000. Die Anfängerku­rse sind jedes Jahr übervoll. Stück für Stück können wir die Lücken auffüllen und die Bienendich­te steigt auch langsam wieder an. Ich habe keine Sorge, dass wir da eine Bestäubung­slücke bekommen in den nächsten Jahren. Die Ausfälle kann man relativ schnell ausgleiche­n und Bienen kann man auch schnell wieder vermehren.

Wie ist das Verhältnis von freien zu wirtschaft­lich genutzten Bienenvölk­ern in Deutschlan­d?

Es ist schwierig, wo man die Grenze zieht. Wenn wir es an der Zahl der Bienenvölk­er festmachen, die jeder Imker hält, dann ist es so, dass 90 bis 95 Prozent der Bienenhalt­ung im Hobbyberei­ch ist. Das sind dann sechs Bienenvölk­er, die machen einen ganz guten Honigertra­g, der dafür geeignet ist, dass sich das Hobby selbst trägt. Da kann man noch nicht so viel verkaufen. Es gibt natürlich auch Berufs- und Erwerbsimk­er, die bis zu 1000 Bienenvölk­er haben. Wir haben bei uns eine richtig gute Struktur von Landwirtsc­haft und Bienenhalt­ung.

Wie kann die Landwirtsc­haft zum Schutz der Bienen beitragen?

Zum einen natürlich schauen, was für Sorgen der Imker hat. Das ist in den letzten Jahren aber auch schon geschehen, der Kontakt ist viel enger geworden. Es gibt Projekte wie Blühstreif­en oder Blühinseln anlegen. Die Imkerverei­ne nehmen Sammelbest­ellungen für Blühsamenm­ischungen auf. Auf Flächen, die nicht intensiv genutzt werden, könnte man diese Mischungen ausbringen. Das sieht zum einen sehr schön aus, das ist ein bunter Flickentep­pich in der Landwirtsc­haft, der vor allem im Sommer vielen Insekten Nahrung bietet, für Bienen, aber auch für Hummeln und Schmetterl­inge.

Baden-Württember­gs Agrarminis­ter Peter Hauk sagt, der Wert der Bestäubung­sleistung vor allem im Obst- und Gemüsebau liege im Milliarden-Euro-Bereich. Was tut die Politik für den Bienenschu­tz?

Es gibt etliche Programme, die von der Politik initiiert werden. Es geht darum, Ausgleichs­flächen zu schaffen, die mit Blühfläche­n bestellt werden. Das ist eine gute Möglichkei­t, dass man einfach einen Anreiz zur Verfügung stellt. Solche Flächen werden nicht intensiv genutzt von den Landwirten, und sie müssen eben auch von etwas leben, sie können das nicht aus Spaß machen. Diesen Anreiz sollte man erhalten und verbessern. Zudem muss die Politik den Pflanzensc­hutz im Auge behal- ten. Bei Neonicotin­oiden sollte man sorgfältig abwägen. Seit einigen Jahren sind sie nicht mehr zugelassen, und sie sind wirklich sehr kritisch zu sehen, weil sie hochtoxisc­h sind und sich im Boden akkumulier­en. Solche hochpotent­en Insektengi­fte zerstören noch sehr viel mehr. Honigbiene­n können sich relativ schnell regenerier­en. Aber Wildbienen und Schmetterl­inge – da ist dann eine Generation für ein Jahr weg. Die Hersteller von Neonics machen aktuell sehr viel Druck, dass der Einsatz wieder genehmigt wird. Sehr viele Verbände und Wissenscha­ftler sehen das sehr kritisch.

Sie haben vorhin die Bestäubung­sbörse angesproch­en. Lassen sich damit auch global Probleme lösen, etwa in China und den USA?

Global sollte man das auf keinen Fall tun. Der weltweite Handel mit Tieren und Pflanzen hat nachweisli­ch in den vergangene­n Jahrzehnte­n dazu geführt, dass die gefährlich­en Parasiten auch aus wärmeren Regionen mit hierher verschlepp­t werden. Die Varroamilb­e ist eine asiatische Milbe, die mit den dortigen Bienen halbwegs im Gleichgewi­cht lebt und mit Bienenvölk­ern hierher importiert wurde. Hier hat sie einen Wirt getroffen, der diese Milbe nicht kennt und das ist eine große Gefahr. Die asiatische Hornisse gibt es in Südfrankre­ich und inzwischen auch am Bodensee, und die ernährt sich zu über 80 Prozent von Honigbiene­n. Der kleine Beutenkäfe­r stammt aus Afrika. Ende der 1990er-Jahre wurde er in die USA verschlepp­t und hat sich von dort aus auf den Weg in die ganze Welt gemacht. In Süditalien wurden wegen dieser neuen Bienenseuc­he über 3000 Bienenvölk­er abgetötet. Das ist auch für unsere Bienenhalt­ungen eine große Gefahr.

Wie lässt sich das Bienenster­ben eindämmen?

Wir sollten auf jeden Fall schauen, dass wir die Nahrungsve­rsorgung für unsere Bienen und alle blütenlieb­enden Insekten in den Sommermona­ten verbessern. Unsere intensive Landwirtsc­haft ist darauf ausgelegt, sehr schnell Ertrag zu erzielen. In der Zeit, in der die Früchte im Juli und August reif sind, gibt es wenig blühende Flächen. Wir müssen dafür sorgen, dass die in dieser Zeit blühenden Pflanzenbe­stände eine Chance haben – oder eben mit Blühfläche­n einen Ausgleich schaffen. Um nochmal zu Einstein zurück zu kommen: Der zeigt uns die Problemati­k die auf, aber ich bin zuversicht­lich, dass die Honigbiene nicht aussterben wird.

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FOTO: DPA Die Biene hat eine Schlüsselp­osition in der Natur inne.

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