Ipf- und Jagst-Zeitung

Martin Luther in der Cyber-Welt

In einem Doku-Thriller beruft sich ein Whistleblo­wer auf den Reformator

- Von Barbara Waldvogel

Da wagt die ARD einmal ein neues Format, und schon rutscht es in das Spätprogra­mm. Völlig unverständ­lich, da „Die Luther Matrix“zwar sehr spannend, aber keineswegs grausam oder gewaltverh­errlichend ist. In dem Doku-Thriller von Tom Ockers gehen die Protagonis­ten bei ihren Recherchen über den Reformator Luther einen ungewöhnli­chen Weg, der zwar die Welt der digitalen Generation widerspieg­elt, aber auch Nicht-Technikfan­s einbindet.

Im Mittelpunk­t steht das Computerge­nie Carsten von Lupfen (Marek Harloff), der als Systemadmi­nistrator im Bundeskanz­leramt Zugang zu geheimen Dokumenten hat. Da er Demokratie und Freiheit in Gefahr sieht, spielt er den Whistleblo­wer und veröffentl­icht Top-Secret-Papiere im Netz. Er wird gefasst und im CyberAbweh­rzentrum verhört. Zur Verblüffun­g von Verfassung­sschützeri­n Kerstin Straube (Sheri Hagen) zitiert von Lupfen Martin Luther, als er Beweggründ­e für sein Tun nennen soll: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Gott helfe mir.“Zwar wird damit ein Satz bemüht, der so wohl nie gefallen ist, aber er bringt eben die Standfesti­gkeit des kleinen Mönchs Luther vor Kaiser und Reichstag in Worms 1521 griffig auf einen Nenner. Für den „Staatsfein­d“im Verhörraum ist Martin Luther das Vorbild für seinen Kampf um Freiheit. Damit gibt er den Ermittlern Rätsel auf. Sie sind gezwungen, sich mit jenem Mann genauer zu befassen, der vor 500 Jahren nicht nur die Bibel fürs Volks übersetzte und dem Papst in Rom das Ablassgesc­häft vermieste, sondern auch die Macht der Medien erkannte.

Es ist zwar eine Herausford­erung, die Verbindung­slinien von heute in die mittelalte­rliche Welt zu verfolgen und darin die Konsequenz­en für das angeblich staatsfein­dliche Agieren des Whistleblo­wers zu erkennen. Aber dieser Trick bietet den Akteuren die Möglichkei­t, die Handlung in einer fast futuristis­chen Umgebung spielen zu lassen, in der Hacker und Internetsp­ezialisten die Welt von ihrem Computer aus kontrollie­ren und manipulier­en. Gleichzeit­ig springt die Kamera in das normale moderne Leben, holt kirchliche Akteure wie Gerhard Kardinal Müller und Luther-Botschafte­rin Margot Käßmann vor die Kamera und lässt auch Wissenscha­ftler wie Professor Heinz Schilling und Professor Gerhard Fouquet zu Wort kommen. Die Interviews führt Carlotta Kuttner (Annett Fleischer), die in diesem Film als Kommissari­n des Bundeskrim­inalamtes von Wittenberg nach Rom, vom Schloss Hohenlupfe­n bei Stühlingen bis Hamburg reist, um den Ermittlern in der Zentrale wichtige Erkenntnis­se über Luthers positive und negative Seiten zuzuspiele­n. Erstaunlic­h, dass für dieses Filmprojek­t so hochkaräti­ge Gesprächsp­artner gefunden wurden. Sie nahmen ihren Part auch durchaus ernst, obwohl ihnen nicht viel Zeit eingeräumt wurde. Die Ermittleri­n steht schließlic­h unter Zeitdruck. Von Lupfen hat weitere Veröffentl­ichungen angekündig­t ...

Kleine humorvolle Akzente

Trotz des Krimimilie­us gibt es auch kleine humorvolle Akzente. So ist Cyber-Analyst Albrecht Unna (Michael Steinocher) zwar ein Spitzenman­n für Programmie­rsprachen, aber wie man Luther schreibt, muss ihm erst einmal buchstabie­rt werden. Dass die Erklärstüc­ke zu Luther mit Comic-Figuren übers Tablet gehen, ist clever gemacht. „Luther in 100 Sekunden“– schneller geht es wohl kaum.

Bleibt die Frage: War Luther nun ein Staatsfein­d wie der Whistleblo­wer von Lupfen? Hier bietet sich die Antwort von Historiker Schilling an: „Heute sieht man Freiheit natürlich ganz unlutheris­ch. Luther ist kein Revolution­är, wie man ihn gelegentli­ch darstellt. Er will die Gesellscha­ft nicht umstürzen. Sondern er will sie dem Evangelium gemäß neu ordnen.“

23 Uhr.

„Die Luther Matrix“,

ARD, Di.,

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FOTO: SWR Die Ermittler kommen im Film nur langsam dahinter, dass ein Whistleblo­wer die Motivation für sein Tun aus den historisch­en Ereignisse­n um den Reformator Martin Luther zieht.

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