May geht es um die Macht
Theresa May redet von stabiler Führung und nationalem Interesse, um die Neuwahl am 8. Juni zu begründen. Die britische Premierministerin behauptet, die Bevölkerung im Land wachse nach der Spaltung durch das Brexit-Votum zwar wieder zusammen, aber im Parlament herrsche Uneinigkeit. Die könne sie für die anstehenden Austrittsverhandlungen nicht brauchen.
Doch diese Argumente stimmen nicht. Die Führung des Landes ist nicht gefährdet. Trotz katastrophaler Fehlentscheidungen, nicht zuletzt ihrem Eintreten für einen harten Brexit, hat May das Austrittsgesetz unangefochten durchs Unterhaus gebracht. Die Konservativen haben dort mit nordirischen Unionisten und Unabhängigen eine stabile Mehrheit. Und dass die parlamentarische Opposition der Regierung Widerstand leistet, ist in Demokratien schlicht so üblich.
Das Land bleibt gespalten wie eh und je, und ein Wahlkampf wird zur Einigkeit kaum beitragen. Zudem ist Mays Glaubwürdigkeit beschädigt, schließlich hat sie bisher die Notwendigkeit einer Neuwahl abgestritten. Aber ganz abgesehen davon: Weder heute noch am 8. Juni hat die Wählerschaft auch nur eine grobe Vorstellung davon, was die Abkehr vom europäischen Projekt für die Insel bedeuten wird. Bereits jetzt machen immer mehr Firmen ihre Abwanderungspläne öffentlich. Die europäischen Agenturen in London bereiten ihren Umzug vor. Der vermeintliche Zugewinn an Souveränität, auf den die EU-Feinde hofften, hat seinen Preis.
Die Konservative hat für Neuwahlen nur einen einzigen Grund: Ihre Partei liegt in Umfragen um mehr als 20 Prozent vor der zerstrittenen Labour-Opposition unter dem unfähigen Vorsitzenden Jeremy Corbyn. Wenn sie mindestens die Hälfte dieses Vorsprungs ins Ziel rettet, wofür fast alles spricht, kann May mit einer erheblich vergrößerten Fraktion durchregieren. Weder Liberaldemokraten auf der linken noch Ukip auf der rechten Seite stellen eine ernsthafte Gefahr dar. Das Gerede vom nationalen Interesse ist deshalb an Verlogenheit kaum zu überbieten. politik@schwaebische.de