Der Sinneswandel der Theresa May
Premierministerin überrascht Briten
- Großbritannien kommt politisch nicht zur Ruhe. Mit der Ankündigung baldiger Neuwahlen überraschte die britische Premierministerin Theresa May die gerade erst aus den Osterferien zurückgekehrten Abgeordneten. Sie will sich damit Rückhalt für die anstehenden Brexit-Verhandlungen holen. May kämpft gegen einen riesigen Berg von Problemen, die der Brexit mit sich bringt. Aber: Sie kann sich des Rückhalts ihrer Partei sicher sein – und den will sie mit der Neuwahl ausbauen.
Sie sei widerwillig zu dem Schluss gekommen, dass ihre konservative Regierung für die EU-Austrittsverhandlungen ein neues Mandat brauche, teilte die Regierungschefin in einer Erklärung vor ihrem Amtssitz in der Londoner Downing Street mit. „Unser Land braucht starke und stabile Führung.“Schon heute soll das erst im Mai 2015 gewählte Parlament den Weg für den vorgezogenen Urnengang freimachen.
Seitdem sie im Gefolge des BrexitVotums vergangenen Juli ins Amt gekommen war, hatte sich May stets gegen Spekulationen gewehrt, sie wolle ein eigenes Mandat gewinnen. Das Land brauche Stabilität und stetige Führung, nicht die Unsicherheit einer Neuwahl, lautete damals das Argument der 60-Jährigen. Im Lauf der vergangenen Wochen war aber der Druck aus den eigenen Reihen immer größer geworden, weil die Konservativen (44 Prozent) in den Umfragen um bis zu 21 Prozent vor der größten Oppositionspartei Labour (23) lagen. Deren Vorsitzenden Jeremy Corbyn halten 14 Prozent der Briten für den besseren Premierminister, Mays Wert liegt bei 50 Prozent. Im britischen Mehrheitswahlrecht ist damit ein Erdrutschsieg programmiert.
Vorwürfe an die Opposition
Während eines kurzen Wanderurlaubs mit ihrem Mann vergangene Woche in Wales entschied sich die Premierministerin zu dem spektakulären Kurswechsel. Während ihre Regierung „im nationalen Interesse“die richtigen Brexit-Entscheidungen getroffen habe, argumentierte May in ihrer siebenminütigen Ansprache, betrachte die Opposition die Politik als Spiel. Die Oppositionsparteien im Unterhaus sowie die nicht gewählten Mitglieder des Oberhauses wollten ihre Position bei den Austrittsverhandlungen untergraben. „Dies würde den Erfolg des Brexit gefährden.“Fünfmal konstrastierte die Konservative ihre „starke und stabile“Führungskraft mit der Schwäche ihres Kontrahenten Corbyn und mahnte nationale Geschlossenheit an: „Jede Stimme für die Konservativen macht mich stärker in den Verhandlungen mit Europa.“
Anders als ihre Vorgänger kann die 60-Jährige May nicht einfach die Queen um Auflösung des Parlaments bitten. Erst 2011 hatten die damaligen konservativ-liberalen Koalitionspartner ein neues Gesetz beschlossen, das Premierministern diese Vollmacht entzieht. Seither ist die Länge der Legislaturperiode auf fünf Jahre festgelegt. Das Unterhaus kann aber mit Zweidrittel-Mehrheit seine vorzeitige Selbstauflösung beschließen. Einen entsprechenden Antrag will May schon am Mittwoch im Unterhaus einbringen.
Corbyn kündigt Zustimmung an
Oppositionsführer Corbyn kündigte die Zustimmung seiner Fraktion zu den geplanten Neuwahlen an. Das Land habe nun die Chance, über das „gescheiterte Wirtschaftsprogramm der Regierung“abzustimmen. Tatsächlich haben die Konservativen seit ihrer Amtsübernahme unter David Cameron 2010 durch ein hartes Sparprogramm das Haushaltsdefizit abgebaut; es wird aber in diesem Jahr noch immer hohe vier Prozent betragen. Das Nationale Gesundheitssystem NHS, die staatlichen Schulen sowie die Polizei leiden unter immer neuen Einsparungen. Eine kürzlich erfolgte Steuererhöhung musste Finanzminister Philip Hammond wieder zurücknehmen.
Während Labour offenbar mit klassischen Themen wie Bildung und Gesundheit Wahlkampf machen will, nahmen Liberaldemokraten und schottische Nationalisten Mays Brexit-Herausforderung an. Der Urnengang sei die Chance, „den harten Brexit zu vermeiden“, teilte der liberale Parteichef Tim Farron mit. Der bei der Wahl vor zwei Jahren schwer gerupften Partei sagen die Umfragen deutliche Stimmengewinne voraus, die aber nicht unbedingt zusätzliche Mandate (derzeit neun) mit sich bringen. Die schottische Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon von der Nationalpartei SNP verknüpfte Innenund Europapolitik: Die Tories wollten das Vereinigte Königreich „nach Rechts rücken, den harten Brexit und größere Sozialkürzungen durchsetzen“.
Für die Schotten ist die Unterhauswahl im Juni bereits der fünfte Urnengang innerhalb von drei Jahren, Nordiren müssen zum vierten Mal binnen gut zwei Jahren ihre Stimmen abgeben. Beobachter wie Professor John Curtice von der Glasgower Strathclyde-Universität sprechen deshalb von einer Wahlmüdigkeit als möglichem Problem für die ambitionierten Pläne der Premierministerin.