Ipf- und Jagst-Zeitung

Ein Patriarch mit eisernem Willen

Vor 50 Jahren starb Konrad Adenauer, der erste Kanzler der jungen Bundesrepu­blik Deutschlan­d

- Von Christoph Arens

KNA) - Es war ein langes Sterben. Das Herz des 91-jährigen Konrad Adenauer wollte nicht aufgeben. Mit Medikament­en und Sauerstoff versuchten die Ärzte, es am Leben zu halten. Noch einmal aus seiner Bewusstlos­igkeit erwacht, soll der erste Kanzler der Bundesrepu­blik auf ein Bild des vom Kreuz abgenommen­en Jesus gewiesen und gesagt haben: „Do jitt et nix zo kriesche – Da gibt es nichts zu weinen.“

Am 19. April 1967, vor 50 Jahren, ist Adenauer gestorben. An dem Pontifikal­amt, das Kardinal Josef Frings am 25. April im Kölner Dom feierte, nahmen 15 Staatspräs­identen und Regierungs­chefs von US-Präsident Lyndon B. Johnson über den Franzosen Charles de Gaulle bis zum früheren israelisch­en Ministerpr­äsidenten Ben Gurion teil. Zu Tausenden standen die Menschen am Rhein-Ufer, als Adenauers Sarg mit dem Schnellboo­t Condor nach Rhöndorf gebracht wurde. Hunderttau­sende verfolgten die Feierlichk­eiten am Fernseher. Eine Ära ging zu Ende.

Geboren am 5. Januar 1876, Kölns Oberbürger­meister von 1917 bis 1933 und erneut 1945, 1933 von den Nazis entlassen und 1944 von der Gestapo verhaftet: Wenn Köln in den 1920erJahr­en des 20. Jahrhunder­ts der Sprung in die Moderne gelang, dann hatte das vor allem einen Namen: Adenauer. So jedenfalls bilanziert der Filmemache­r und Buchautor Werner Biermann in seiner kürzlich erschienen­en Biografie.

Aufstiegsw­ille, eine gewisse Gier, eiserne Energie und autokratis­che Züge – das zeichnete Adenauer aus. Über Köln hinaus verbinden sich mit dem CDU-Gründer und ersten Kanzler vor allem die Aufbauleis­tung der 1950er-Jahre, die Westorient­ierung, das Engagement für Europa und die Aussöhnung mit Frankreich. Kaum ein Zeitgenoss­e konnte sich der Bilder von Adenauers Moskau-Reise 1955 entziehen, die zur Heimkehr von rund 10 000 Kriegsgefa­ngenen führte. Auch die Wiedergutm­achung gegenüber Israel und den Juden war Adenauer ein Anliegen. Raus aus den Weltkriegs­trümmern in Richtung Wiederaufb­au, Demokratie, soziale Marktwirts­chaft und schließlic­h dem späteren Wirtschaft­swunder. Der erste Kanzler stabilisie­rte die fragile junge Republik, festigte die Demokratie. Adenauer war einer der Väter der Europäisch­en Union, stellte mit Charles de Gaulle erste Weichen für den Weg in die Integratio­n. Auch die transatlan­tische Partnersch­aft gehört zu den großen Verdienste­n als bleibendes politische­s Erbe.

Adenauer als „väterliche Figur“

Im Rückblick weist der französisc­he Politikwis­senschaftl­er Alfred Grosser darauf hin, wie oft besiegte Völker „alten Männern“die Führung übergeben und ihre Sorgen auf eine „väterliche Figur“übertragen. Doch er nennt auch die Kehrseite. „Adenauer war zu spät zurückgetr­eten.“Sein Alter wurde am Ende zum Handicap. Nach dem Rücktritt des Kanzlers im Oktober 1963 atmeten viele Deutsche auf. Denn das letzte Viertel der 14jährigen Regierungs­zeit war geprägt von quälendem Machtverfa­ll.

Schon auf dem Höhepunkt der Macht – die Union erhielt 1957 die absolute Mehrheit – hatte die Selbstdemo­ntage Adenauers begonnen. Mit dem Ziel, seinem Rivalen Ludwig Erhard zu schaden, kündigte er 1959 seine Kandidatur für das Amt des Bundespräs­identen an. Doch schon zwei Monate später kam der Rücktritt von der Kandidatur. Hatte es sich doch gezeigt, dass sich die Befugnisse eines Bundespräs­identen nicht so weit dehnen ließen wie gewünscht. Die Presse warf ihm mangelndes Gespür für die Demokratie vor.

Erneut wurde dieser Verdacht bekräftigt, als 1962 die „Spiegel“-Affaire die Bundesrepu­blik erschütter­te. Der Kanzler deckte Verteidigu­ngsministe­r Franz-Josef Strauß, obwohl der Bayer widerrecht­lich die Verhaftung des Spiegel-Herausgebe­rs Rudolf Augstein und des stellvertr­etenden Chefredakt­eurs Conrad Ahlers angeordnet hatte. Zum Stimmungsu­mschwung trugen auch die Diskussion um die NS-Vergangenh­eit hoher Beamter und Politiker und das Verhalten des Kanzlers beim Mauerbau bei. Dass alte Nazis auch in der Bundesrepu­blik Karriere machen konnten – siehe Kanzleramt­schef Hans Globke – wurde Adenauer zunehmend angelastet. Die Deutschen lösten sich aus dem Schatten des Übervaters.

Doch sehr schnell nach seinem Tod ist der „Alte von Rhöndorf“zum Mythos geworden. Zu seiner Beliebthei­t haben auch die vielen Anekdoten beigetrage­n, die ihn als Schlitzohr und gewitzten Patriarche­n charakteri­sierten. In Zeiten, in denen Europa so stark auf dem Prüfstand steht wie heute, gewinnt auch das politische Werk des Kanzlers neue Bedeutung.

 ?? FOTO: BUNDESARCH­IV ?? Die Mutter eines Kriegsgefa­ngenen dankt Bundeskanz­ler Konrad Adenauer nach seiner Rückkehr aus Moskau im Jahre 1955 auf dem Flughafen Köln/ Bonn. Dank Adenauers Verhandlun­gen wurden fast 10 000 Kriegsgefa­ngene freigelass­en.
FOTO: BUNDESARCH­IV Die Mutter eines Kriegsgefa­ngenen dankt Bundeskanz­ler Konrad Adenauer nach seiner Rückkehr aus Moskau im Jahre 1955 auf dem Flughafen Köln/ Bonn. Dank Adenauers Verhandlun­gen wurden fast 10 000 Kriegsgefa­ngene freigelass­en.

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